II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 157

box 26
21. Konlesse Mizz1oder der FaniLientag
barkeit der Momente viel inneren Zusammenhang und gewann
gegen Ende des Stückes in der Darstellung des Kleinmenschlich¬
Beschränkten Nachdruck und Glauben. Die Gräfin Julie gab
Emilie Unda mit Intelligenz und Kraft, an etlichen Stellen
mit eindringlicher, erotischer Leidenschaft — die dieser Künstlerin
immer mehr als ihr Eigenes zur Aufgabe und zum Können
wächst —, die tief in die Herzen drang, aber leider durch die
Ungunst des Stoffes und dadurch verursachte Sprünge und Un¬
ebenheiten der Haltung mehr nervös=aufregend als künstlerisch¬
wohltuend auf den Hörer wirkte. Paula Janowers Köchin
Christel, Jeans rechtmäßige Braut und Geliebte, fand den rechten
Gegenton an geiniger und körperlicher Schwerfälligkeit. — Der.
Ansprüchen des Publikums kam das Stück sicher nicht gelegen,
fand es die seiner ethischen Ernsthaftigkeit angemessen

chtung und Aufmerksamkeit.
sr Düsseldorf, 23. Juni. Schauspielhaus, Zu den bergessenen
Eine freundlichere Aufnahme fand an demselben Abend
Dokumenten der literarischen Revolution vor zwanzig Hahren
ers einaktige Komödie Komtesse
1.6
zählt auch August Strindbergs naturalistisches
Arihr Sommerscherz von jenem leichten,
D
Trauerspiel Fräulein Julie, dessen Aufführung im
warmen Timbre der späten Sommertage, wenn die Hitze des
Schauspielhause darum auch weit weniger Interesse und Echo er¬
Blutes schon verkühlt ist und die Menschen anfangen, milde und
wecken konnte, als der ehemalige Ruhm dieses Stückes vermuten
etwas rührselig zu werden. Ein freundliches Dreieck von Menschen,
ieß. Man erlebte mit Staunen, daß ein vielumstrittenes und
die 20 Jahre nach den heißen Schlägen des Herzens Zeit gehabt
gepriesenes Stück, das gestern oder ehegestern noch ein Programm
haben, ruhig und sächelnd zurück zu sehen und dann mit gelassener:
bedeutete, künstlerisch ganz kalt lassen und menschlich fast abstoßen
Hand die wirren und gezerrten Fäden der Vergangenheit zurecht
konnte. Heute, wo uns der Naturalismus nicht mehr als Welt¬
zu richten. In dem feinen, überkultivierten Milieu des Wiener
anschauung, fast gleichbedeutend mit anklagendem Sozialismus,
Hochadels, nichtohne einen festen Grund im breiten Volkstum,
im Sinne ist, sondern als eine mißratene Technik, wo dem schärfer
ein alter Graf, der vor 18 Jahren sein Herz an eine Tänzerin
rückblickenden Auge des Historikers auch die vertiefte Analyse
verlor und nun wie ein sentimentaler Junge tvauert, daß diese
scheinbar einfacher feelischer Vorgänge nicht mehr als eine Er¬
liebe Person ihn um reputierliche Hausfrauengelüste drangibt,
oberung jener Epoche erscheint, erkennen wir in den meisten
eine Durchlaucht, der des Grafen Tochter einen Sohn schenkte,
Werken jener Strömung, und zwar eben in denen, die das natura¬
von dem keiner weiß, keiner wissen durfte, weil Durchlaucht eine
listische Dogma bis zum äußersten zu verwirklichen vorgaben,
Gemahlin hatte und Minister werden wollte. Und dann diese
ganz etwas anderes, als typische Einzelfälle. So ist auch Fräu¬
Komtesse Mizzi, die Durchlaucht verachtete und dem Buben, den
ein Julis niemals ein photogcaphisch wiedergegebener Lebens¬
man ihr nahm, weil doch keiner von ihm wissen durfte, auch keinens
zusschnitt, sondern eine ausgeklügelte und komplizierte Gleichung,
Platz in ihrem Herzen gönnte und sich dafür mit Malerei unds
die ein mathematischer Geist durch alle möglichen Variationen
einem Professor tröstete und nach außen altjungferlich wurde,
hrer Lösung hindurch geführt hat. Mit dem Erfolg, daß wir
während sie im Herzen echt jung wienerisch blieb Und dann an
gerade die Lösung, die er als letzte zu finden glaubt, nicht für
einem Sommertag im alten Park des Grafenschlosses — wo die
virklich, noch weniger für notwendig und damit für tragisch
Hindernisse alle gestorben und Durchlaucht seinen Ministerehrgeiz#
halten mögen. Zwei menschliche Wesen, der Diener Jean und
vergessen hat — erscheint Durchlaucht mit dem ungeahnten Sohn.
seine Herrentochter Julie begegnen sich an dem Punkte, wo Mann
und es gibt eine späte Hochzeit. Das Stück ist fein und zart ans
und Weib zusammentreffen. Da kreuzen sich ihre Lebenslinien,
allem Heikeln vorbeikomponiert und hätten die Komtesse und der#
und das Weib, das Naturweib, geht an diesem Treffen zugrunde.
junge Fürst nicht den feinen Wiener Zungenschlag mit seiner¬
Die Bedientenseele, der das erotische Erlebnis nicht Lebens¬
schmerzlosen Ironie, man Fürde nicht auf Schnitzler als den
weil er eben als Bedienter zur
nhalt, nur Episode war
Autor raten. Sicher nicht nach der delikaten Darstellung, die
Maschine gedrillt ist — lebt weiter und behält sogar die Möglich¬
es unter. der Regie Eugen Dumonts auf der Bühne des
eit weiterer Liebesepisoden vor sich. Strindberg, der Weiber¬
Schauspielhauses fand und die ihm als Spielleiter und Darsteller des
jasser, hat hier eine verblümte Heldensymphonie auf das Weib
alten Grafen einen warmen Erfolg eintxug. Ebenso seinen Mit¬
eschrieben, das nicht mehr leben kann ohne den Mann, dem es
spielern, Helene Zoberts als Komtesse Mizzi, Walter
ich, wenn auch nur im stumpfen, tierischen Instinkt, dahin gab. —
Steinbeck als Fürst Egon, Paul Henckels als junge
für die Inszenierung des Einakters war Eugen Dumont
Durchlaucht Philipp, beider Sohn, Maja Sehring als Lolo¬
erantwortlich, der sich an diesem Abend zum ersten Male den
Langhuber, des alten Grafen achtzehnjährige treue Liebste.
hästen des Hauses als Sviekleiter und Darsteller vorstellte.
Von Björnson, dessen letztes Lustspiel „Wenn der junge Wein
seine Regie war klar und überzeugend und gab dem psychologi¬
blüht“ im diesjährigen Spielplan eine immense Lebenskraft be¬
chen Experiment des Dichters alles an plastischer Form, was es
nnehmen konnte, Sein Bedienter Jean batte bei aller Wandel=Iwies, die all die andere Ware des Jahres weit hinter sich ließ und
Ce Gu