II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 185

Ausere
Berüner Börsen-Courfe
31 1. 1912
Vor den Kulissen.
Das Lessing=Theater brachte uns gestern einen
Tösterreichischen Abend. Zwei sehr verschieden geartete
„Wiener Autoren haben mit zwei sehr verschieden ge¬
arteten Stücken eine bundesbrüderliche Aufnahme ge¬
sunden. Die Neuheit des Abends war Arthur
Schn##4, Komtesse Mizzi öder der
Familientag“, wie der satirische Untertitel lautet.
Auch diese einaktige Komödie hat bereits anderwärts
ihre Feuerprobe bestanden, hat ihren Erfolg schon
mehrfach erneuert, nur in Berlin erschien sie zum
ersten Male. Ein wunderliches Gespann: „Komtesse
Mizzi" und „Erde“! Und doch gehören die beiden
Stucke zusammen. Die Moral des hohen austro¬
ungarischen Adels und die des tiroler Bauernbundes
sind da einander gegenübergestellt, beide in ihrer Ab¬
auf der einen Seite die Ueberkultur die Konvention
längst übersprungen hat, während auf der anderen
die derbe Naturursprünglichkeit von Konventionen noch
gar nichts weiß.
Man kennt von den Wiener Berichten her die vor
nehme Gesellschaft, die bei Komtesse Mizzi sich zu¬
sammenfindet. Graf Arpad Pazmandy ist ganz us¬
glücklich darüber, daß die Balletdame, mit der er etn
achtzehn Jahre in den intimsten Beziehungen lebté
ihn verabschiedet um sich zu
verheiraten. Fürst“
Ravenstein, dem er sein Mißgeschick klagt; war
gekommen, um seinen natürlichen Sohn, den er
jetzt adoptiert, beim Grafen einzuführen.
Im
nächsten Augenblick erfahren wir überrascht, daß
die Tochter des Grafen, Komtesse Mizzi, die Mutter
dieses achtzehnjährigen Sohnes ist. Vom Vater wie
vom Sohn will sie jetzt nichts mehr wissen, nachdem
man ihr einst das Kind vom Herzen gerissen, da¬
mals als sie bereit gewesen wäre, allen Vor¬
urteilen zu trotzen und mit dem Manne zu
kliehen den sie ehedem geliebt und nun verachtet.
Das Liebespaar a. D. sagt
sich derb die
Wahrheit. Sie weiß von seinen Liebesaffären, er von
den ihren. Das Zusammentreffen dieser lieben
Familie mit der bisherigen und nunmehr in den gut¬
bürgerlichen Ehestand einbiegenden Geliebten des
Grafen, mit dem frischanerkannten jungen Sohn des
fürstlich = gräflichen Liebespaares, mit dem Fiaker
Wasner endlich, den die Ballettdame und
gräfliche Geliebte jetzt liebt und heiratetführt zur überaus
hellen Beleuchtung der Wiener Gesellschaft. Die
Satire ist scharf, doch nicht verletzend, die Pikanterie
stark, doch ohne den Geschmack zu stören, die Pointen
witzig und treffend. Spitzer und wirksamer freilich im
Zug der Szenen und des Dialogs als im Schluß,
der kein stärker aufgebautes Finale bildet.
Man hatte ein heiteres Behagen an der klar
umrissenen Gesellschaftsgruppe, an ihrer geschickten
Charakterisierung, an dem feinzugespitzten Dialog, an
diesem ganzen Werk, das so deutlich die Schnitzlerschen
Züge aufweist. Aber auch an der Darstellung!
Emanuel Reicher charakterisierte den inner¬
lich gutmütigen,
leichtgerührten
ungarischen
Grafen in Dialekt,
Ton und Wesen
gleich wirklichkeitstreu. Herr Monnard, der schon
in den Anatol=Einaktern durch die treffende Schilde¬
rung des weichlichen Wiener Lebemannes überraschte,
war in der etwas vorgebeugten lässig=vornehmen
Haltung, im weichen leicht näselnden Gigerlton der
Urtypus des Wiener Aristokraten. Frl. Sussin kenn¬
zeichnete als ältere Balletdame mit ihrem geliebten
Fiaker die moralisch gesündre Unterschicht vor¬
trefflich. Herr Erich Walter hatte den frischen
Ton für den kecken jungen Grafen.
Die
Rolle der hinter äußerer Frivolität überlegen¬
charaktervollen Komtesse Mizzi ist in ihren wenigen
wichtigen Momenten eine rechte Aufgabe für die
starke, aus den Tiefen schöpfende Darstellung von
:
Irene Triesch. „Wie gefällt dir der Junge?“
fragt der ahnungslose Graf Pazmandy seine Tochter,
die Komtesse. „Frech ist er!“ antwortet sie und die
ganze, lang verhaltene Zärtlichkeit, ein strahlender
Mutterstolz scheint bei diesem einen Wort in Ton, in
Blick und Miene hervorzubrechen. Das volle behagen=
gesättigte Haus verabschiedete das Stück mit heiterem
Beifall. Dir. Brahm dankte im Namen des Verfassers, 1
den er vom Erfolg zu benachrichtigen versprach.
emer I. ll: wider, aber boc urd
mehr mit der Kraft und Wucht der ersten Begegnung.
Emanuel Reicher, der eben erst ganz magyarischer
Aristokrat war, erschien uns hier als die kraft¬
strotzende Bauernnatur, als der überlegen=selbst¬
bewußte Despot auf seinem Bauernhof. Wie er
den Sieg davonträgt über den Tod, der ihn
schon beim Kragen hatte und seinen Sarg zer¬
schlägt,
das war von einer imponierenden,
humorüberglänzten Kraft. Else Lehmann war in
der vordem von Rosa Bertens packend dargestellten
Rolle der Mena die echte, kraftstrotzende Bauernmagd
nur machte ihr der fremdartige Dialekt viel
Beschwer. Der Hannes mit seiner dumpfen Sehn¬
sucht nach dem Kind, nach dem Bodenerbe war in Kurt
Stielers Darstellung überzeugend geschildert.
Eine köstliche Episode bot Ziener
als ge¬
fräßiger Roßknecht. Frl. Sussin, Carl Forest,
Fr. Albrecht als in Erscheinung und Ton
unheimlich charakteristisches Totenweibele setzten sich
für das Werk ein. Die eine oder andere kleinere
Rolle hatte früher stärkere Wirkung, die Aufführung,
von Emil Lessings Regie sonst in treues Leben über¬
tragen, war zeitweise zu schleppend, der Dialekt führte
zu Verwirrung, das alles beeinträchtigte den Erfolg
empfindlich, es regte sich sogar Widerspruch. Immer¬
hin wird wohl auch dieses ältere Werk Schönherrs
an der Siegesstätte von „Glaube und Heimat“ einige
Zeit Glauben und Heimat finden.
J. 2.#
S