II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 194

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21. Konn1oder der Fanilientag
Paslamn A
Die Post, Berh.
# 191.
Schönherrs „Erde“.
(Lessing=Theater.)
Auf den neuen Schönherr wurde die theaterbegeisterte Welt
schon kurz nach dem Riesenerfolg des Stückes „Glaube und Heimat“.
aufmerksam gemacht. Man erwartete ihn also mit einiger Span¬
nung; denn wir haben wenige Talente von so gesunder deutscher
Artung, wie uns Karl Schönherr eines offenbarte.
Aber es ist merkwürdig, wie schwer es auch unseren guten
Dichtern wird, Maß zu finden. Sie glauben uns klaren Wein zu
bieten, und in Wirklichkeit ist es immer schäumender, heftig gären¬
der Most — am Schlusse bleibt ein Bodensatz: die Hefe. Die ist
bitter. So ähnlich war es bei Schmidtbonns neuestem Werke ind
so ähnlich ist es beim neuesten Schönherr. Ueberall walten an sich
richtige Gedanken. Aber die Dichter begnügen sich nicht, diese Ge¬
danken sachentsprechend walten zu lassen, sondern reiten sie immer
bis in die Wüste. Bei Schmidtbonn war es das Bewußtsein des
Individualwertes. Bei Schönherr ist es der Heimat= und Boden¬
ständigkeitsgedanke.
Seit das Sehnen nach dem Lande in unserem Volke so kräftig
neu emporgesproßt ist, daß sich fast alles, was noch gesund ist,
hinauswünscht auf die Scholle; seit man durch das Schrifttum den
zur Phrase gewordenen Ausdruck „Erdgeruch“ schleift; seit man sich
bemüht, dem flachen Lande einen Teil der ihm früher so sorglos
entrissenen seelisch=kulturellen Werte wiederzugeben, seitdem wird
auch die Grundwurzel dieser Entwicklung übergipfelt. Auch beim
neuen Schönherr ist das der Fall. Wäre die Erdsehnsucht dieser
Alpenmenschen nicht gar so stark betont; würden sie nicht alle so
sehr Tendenz predigen, so würde Schönherr ein tiefes, schier voll¬
kommenes Drama vom Lande geliefert haben. Aber so hat man
immer die Tendenz vor der Nase sitzen; eine sehr erfreuliche Ten¬
denz zwar, aber Drama und unmittelbare Predigt sind eben
zweierlei. Die gewollten Uebertreibungen stören und sie verringern
auch die Bedeutung des im Grundgedanken großen, im Aufbau ge¬
schickten, in der Charakterisierung seinen Stückes.
Es spielt auf dem Grutzenhof. Der alte Grutzenbauer ist ein
Herrscher. Ein Robert Gutskard. Ein Achill. 72 Jahre ist er
und gibt den Hof nicht ab. Der 46jährige Sohn, der darauf wartet,
ist geistig schier schwach geworden. Er mußte sich eine Liebe vor¬
tüberblühen lassen. Wäre er in die Wekt gegangen mit der wacke¬
ren Magd, so wäre vielleicht alles gut geworden. Vielleicht hälte
der alte Grutz sogar abgegeben, wenn ihm aus seinem Sohne solche
Entschlossenheit entgegengetreten wäre. Aber der Sohn „ist kein
Bauer; der ist zu weich“. Der Alte weiß, sobald er seine Hand
abzieht, gehts auf dem Hofe nicht mehr. Den Gedanken kana
er nicht ertragen. Und der Sohn und die Magd bleiben auf dem
Hofe und — warten. Seit zehn Jahren. Ihr Tag muß ja noch
kommen.
Es scheint, daß er kommt. Der Alte wird vom Pferde vor
die Brust geschlagen. Er hat Blutbrechen und es geht dem Tode
zu. Der Sohn muß ihn vertreten. Darüber jauchzt er trotz seiner
echten Sohnesbekümmernis auf. Jetzt muß er für die Bäuerin
sorgen. Seine alte Liebe wartet. Aber sie hat graue Haare be¬
kommen. Er braucht die jüngere, die Mena, die so stark ist und von
der er eine Fortführung des Stammes erhoffen kann. Die zwei
Frauen ringen innerlich auf Tod und Leben. Aber die junge
siegt, die in der Seele schlimmere. Zur Heirat kommt es noch
nicht; denn der alte, in Agonie liegende Bauer tut den letzten!
Atemzug nicht, obwohl er schon hat den Sarg machen lassen und
das Grab gekauft hat. Der junge Bauer — zimmert einstweilen
eine Wiege. Und dann braucht er sie nicht. Nochmals erhebt
sich der Alte und tritt die Herrschaft an. Und gleich geht ein
anderer Zug durch den ganzen Hof; man merkt das Regiment des
galten Teufels“. Die Mena heiratet rasch einen Witwer droben in
der Eiswüste des Firn, den sie vorher verschmäht hat; den eigenen
Boden muß sie unter den Füßen haben. Und wir fühlen, wie der
Alte den vorzeitig angefertigten Sarg zerschlägt: der Bauernsohn
und seine alte Liebe werden noch länger warten ——
So ist das Stück. Drei Akte. Es steckt auch Komisches darin,
das sich aber nicht aufdrängt. Und aus dieser Inhaltsangabe tritt
auch nicht so sehr das hervor, was schließlich in der Aufführung
als Uebertreibung wirken muß. Der Dichter hat ja wohl auch
den Fall künstlich aufgezimmert; es dürfte äußerst selten sein,
daß ein Bauer nicht mit 60 Jahren seinen Besitz gern in die
Hände des Sohnes legt, um noch ein Weilchen zuzusehen, wie er
die Zügel zu halten versteht. Wird da noch gar nicht selten über
die „jungen Bauern=Privatiers“ gespottet im gesamten deutschen:
Südlandsgebiete. Schönherr wallte an dem Falle seine These