bemüht, dem flachen Lande einen Teil der ihm früher so sorglos
entrissenen seelisch=kulturellen Werte wiederzugeben, seitdem wird
auch die Grundwurzel dieser Entwicklung übergipfelt. Auch beim
neuen Schönherr ist das der Fall. Wäre die Erdsehnsucht dieser
Alpenmenschen nicht gar so stark betont; würden sie nicht alle so
sehr Tendenz predigen, so würde Schönherr ein tiefes, schier voll¬
kommenes Drama vom Lande geliefert haben. Aber so hat man
immer die Tendenz vor der Nase sitzen; eine sehr erfreuliche Tea¬
denz zwar, aber Drama und unmittelbare Predigt sind eben
zweierlei. Die gewollten Uebertreibungen stören und sie verringern
auch die Bedeutung des im Grundgedanken großen, im Aufbau ge¬
schickten, in der Charakterisierung seinen Stückes.
Es spielt auf dem Grutzenhof. Der alte Grutzenbauer ist ein
Herrscher. Ein Robert Guiskard. Ein Achill. 72 Jahre ist er
und gibt den Hof nicht ab. Der 46jährige Sohn, der darauf wartet,
ist geistig schier schwach geworden. Er mußte sich eine Liebe vor¬
überblühen lassen. Wäre er in die Welt gegangen mit der wacke¬
ren Magd, so wäre vielleicht alles gut geworden. Vielleicht hätte
der alte Grutz sogar abgegeben, wenn ihm aus seinem Sohne solche
Entschlessenheit entgegengetreten wäre. Aber der Sohn „ist kein;
Bauer; der ist zu weich“. Der Alte weiß, sobald er seine Hand
abzieht, gehts auf dem Hofe nicht mehr. Den Gedanken kana;
er nicht ertragen. Und der Sohn und die Magd bleiben auf dem
Hofe und — warten. Seit zehn Jahren. Ihr Tag muß ja noch
kommen.
Es scheint, daß er kommt. Der Alte wird vom Pferde vor
die Brust geschlagen. Er hat Blutbrechen und es geht dem Tode
zu. Der Sohn muß ihn vertreten. Darüber jauchzt er trotz seiner
echten Sohnesbekümmernis auf. Jetzt muß er für die Bäuerin
sorgen. Seine alte Liebe wartet. Aber sie hat graue Haare be¬
kommen. Er braucht die jüngere, die Mena, die so stark ist und von
der er eine Fortführung des Stammes erhoffen kann. Die zwei
Frauen ringen innerlich auf Tod und Leben. Aber die junge
siegt, die in der Seele schlimmere. Zur Heirat kommt es noch
nicht; denn der alte, in Agonie liegende Bauer tut den letzten:
Atemzug nicht, obwohl er schon hat den Sarg machen lassen und
das Grab gekauft hat. Der junge Bauer — zimmert einstweilen
eine Wiege. Und dann braucht er sie nicht. Nochmals erhebt
sich der Alte und tritt die Herrschaft an. Und gleich geht ein
anderer Zug durch den ganzen Hof; man merkt das Regiment des
„alten Teufels“. Die Mena heiratet rasch einen Witwer droben in
der Eiswüste des Firn, den sie vorher verschmäht hat; den eigenen
Boden muß sie unter den Füßen haben. Und wir fühlen, wie der
Alte den vorzeitig angefertigten Sarg zerschlägt: der Bauernsohn
und seine alte Liebe werden noch länger warten — —
So ist das Stück. Drei Akte. Es steckt auch Komisches varin,
das sich aber nicht aufdrängt. Und aus dieser Inhaltsangabe tritt
auch nicht so sehr das hervor, was schließlich in der Aufführung
als Uebertreibung wirken muß. Der Dichter hat ja wohl auch
den Fall künstlich aufgezimmert; es dürfte äußerst selten sein,
daß ein Bauer nicht mit 60 Jahren seinen Besitz gern in die
Hände des Sohnes legt, um noch ein Weilchen zuzusehen, wie er
die Zügel zu halten versteht. Wird da noch gar nicht selten über
die „jungen Bauern=Privatiers“ gespottet im gesamten deutschen
Südlandsgebiete. Schönherr wollte an dem Falle seine These
zeigen, der zwar eine (hier im Ausdruck übertriebene) innere
Wahrheit beizumessen ist, die aber doch nicht für Wirklichkeit ge¬
nommen werden darf. Immerhin ist auch dieses Werk verdienst¬
lich, weil es zeigt, welche seelischen Kräfte im deutschen Bauern¬
tum walten. Derartiges zu gewahren, tut namentlich der heutigen
Stadtbevölkerung sehr gut.
Die Aufführung war glänzend zu nennen. Emanuel
Reicher schuf im alten Grutz eine ausgezeichnete Gestalt; Kurt
Stieler traf den Sohn Hannes vorzüglich, Mathilde Sus¬
sin die treue Lena und Else Lehmann die weniger sympa¬
thische Wirtschafterin Mena. Daneben seien Margarete
Albrecht als Totenweibele und Gustav Rickelt (der den
ganz prächtigen Landarzt in all seiner Trefflichkeit herausarbeitete)
besonders genannt.
Der Beifall war nicht übertrieben stark; die Wirkung des
Stückes war wohl etwas zu tief für unmittelbare rauschende Hände¬
betätigung. Ich hoffe auch, daß Wiederholungen des Stückes eine
aufnahmefreudigere Besucherschaft finden, als es das Berliner
„Premièren=Publikum“ gewöhnlich ist. Dann wird sich das Stück
vielleicht so dankbar erweisen, wie es bei „Glaube und Heimat“
gewesen ist, obwohl sich der neue Schönherr nicht — antiklerikal
ausnützen läßt.
Aber nun: wie in aller Welt kann man es fertig bringen, vor
diesem Werke den lästigen, widerwärtigen Schnitzlerschen Einakter
„Komtesse Mizzi“ zu geben? Wollte man noch ausdrücklich
dartun, worin der Unterschied zwischen beiden Dichtern besteht, daß
durch Schnitzlers Stücke der Hauch der Fäulnis, der Zersetzung
weht, während Schönherr eine durch und durch aufbauende Natur
ist? Als Experiment für literarisch Interessierte mag diese Zu¬
sammenstellung ganz wirksam sein; von künstlerischen Gesichtspunk¬
ten aus ist sie unbedingt verwerflich. Warum setzt man nicht z. B.
Kleists Guiskard an die Stelle des noch dazu alten Schnitzlerschen
Unfugs.
tu.,