II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 204

21.
Kontesse Mizzi-oderder Fani Lientag
Ausschnitt aus
Karästsehe Hpemeine Teltunr Baz
EL 2. 1912
Theater und Musik.
„mn-I. Nach feinstem Konfekt, das auch der voll Gesättigte
noch mit Lust genießt, festes, derbes Bauernbrot. Das geht
nicht. Karl Schönherr nach Arthur Schnitzler,
das geht ebensowenig, auch im Berliner Lessingtheater.
Umgekehrt, erst die nach Arbeit, Acker, Dung und Gebirgsfrische
duftende „Erde“ und dann die vom weichen Rosenhauch
eines schattigen Vorortparks bei Wien sommerlich umflossene
„Komtesse Mizzi“, wäre die Reihenfolge für Schönherr
günstiger und für Schnitzler sicher nicht ungünstiger gewesen.
So konnte Herr Brahm im Namen des letzteren vor den
Vorhang treten und für einen schönen Beifall danken, wogegen
dem gleichen Höflichkeitsakte nach der „Erde“ nicht zugestimmt!
wurde, weil der Beifall gar nicht dem Dichter Karl Schönherr,
sondern Else Lehmann gegolten hatte.
Also am Dienstag war Schönherrs bereits bekannter
Komödie von der Unverwüstlichkeit in eigener Erde wurzelnder
Lebenskraft im Lessingtheater nicht der Erfolg beschieden, den
das Stück trotz „Glaube und Heimat“ immerhin verdient hätte.
„Aber freilich vordem war es eine Verheißung, die man freudig
begrüßte, und nun hat „Glaube und Heimat“ zwar dem
Dichter einen großen Erfolg, denen aber, die aus der „Erde“
schon einen zweiten Anzengruber steigen sahen, keine Erfüllung
gebracht. Der Sarg, der von dem aus stärkendem Winter¬
schlafe von den Leiden eines Unfalls wieder in zäher Bauern¬
kraft erwachten alten Grutz zusammengehauen wird, und die
Wiege, die für den schlaffen Hannes Grutz leer bleiben soll, sind
zu roh gezimmert, und ihre symbolische Gegenüberstellung ist gar
zu zufällig und bleibt ein bloßer Effekt. Es steckt in der „Erde“
ein Meister der Szene, und man fühlt eine Hand, die aus der
schweren Ackerscholle der Heimat schlichte, urwüchsige Typen
ohne „psychologische“.
wie der Graf in „Komtesse Mizzi#
sagen würde — Behaftung formen kann. Aber der Natur
dramatiker mußte dem feinen Kunstdichter, der alles theatralisch
Wirksame beiseite lassen darf und nur zu plaudern braucht,
unterliegen. Vielleicht ist auch die Aufführung der Komödie
nicht ganz gerecht geworden, die mit sieghaftem Lachen hätte
wirken müssen, als der alte, vermeintlich noch schwer kranke
Grutz auf die Wage tritt und zum drolligen Entsetzen seiner
als künftige Frau Hannes Grutz längst auf den schönen Hof
versessenen Wirtschafterin Mena noch ein respektables, recht
lebenskräftiges Gewicht hat. Diese Wirkung blieb aus.
Und erst und auch nur, als Mena, der der alte Teufel zu
lange lebt, schwer enttäuscht mit ihrer Truhe abzieht, um sich
faute de mienx — auf dem verschneiten Eishof ins eigene
Nest zu setzen, brach die richtige Stimmung durch. Emannel
Reicher als alter Grutz gab den Humor der Sache nicht
in seiner ganzen Stärke, und in der Charakterisierung suchte
er eine Tiefe, die gar nicht vorhanden ist. Echt im Sinne
der Komödie und des Lebens, die Schönherr mit der
stolzen Bezeichnung „Eine Komödie des Lebens“ gleicher¬
maßen verlangt, war Else Lehmanns voluminöse
Wirtschafterin Mena, die auf der Ofenbank auf des alten
Grutz Tod mit breitester Seßhaftigkeit wartet und für schwerere
Arbeit geeignete Armkraft an einen Strickstrumpf vergendet.
Die Schadenfreude beim Unfall des „alten Teufels“, die
Gewißheit, am Ziele zu sein, und die schwere Enttäuschung,
als der Alte im Frühling mit der Natur draußen auch wieder
auflebt, und endlich der köstliche Abzug vom verlorenen Hofe
wurden in Steigerung und Abfall so köstlich wiedergegeben,
daß der Beifall, der gespendet wurde, ausschließlich auf das
Konto der Mena zu setzen ist. Kurt Stieler traf glücklich
den rührenden Ausdruck für den Aufschwung des energielosen
Hannes zur Liebe, die seine Sehnsucht nach eigener Nach¬
kommenschaft erfüllen soll, und das Zurücksinken in seine alte
Schlaffheit. Ernst Neßler Bruno Ziener Erich
Walter, Mathilde Sussin waren mit Lust beim
dreimaligen Knödelessen. Aber der Dialekt! O wehl
Arthur Schnitzler, der amüsante Planderer, läßt
seinen feinen Humor wieder echt wienerisch lächeln über die
gute Moral und enthüllt mit zart andeutender Hand zarte Ge¬
heimnisse liebenswürdiger Vertreter einer früh= und überreifen
Gesellschaft. Graf Arpad Pazmandy, der als Witwer
Trost gesucht und gefunden hat bei der Ballettdame Lolo, muß
ein langjähriges trautes Verhältnis lösen, weil die Ge¬
liebte seiner reifen Jahre sich als ehrhare Gattin eines Fiaker¬
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