II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 205

eheen
Wiege, die für den schlafsen Hannes Grutz leer bleiben soll, sind
zu roh gezimmert, und ihre symbolische Gegenüberstellung ist gar
Zzu zufällig und bleibt ein bloßer Effekt. Es steckt in der „Erde“
ein Meister der Szene, und man fühlt eine Hand, die aus der
schweren Ackerscholle der Heimat schlichte, urwüchsige Typen
ohne „psychologische“ —
wie der Graf in „Komtesse Mizzi¬
sagen würde — Behaftung formen kann. Aber der Natur
dramatiker mußte dem feinen Kunstdichter, der alles theatralisch
Wirksame beiseite lassen darf und nur zu plaudern braucht,
unterliegen. Vielleicht ist auch die Aufführung der Komödie
nicht ganz gerecht geworden, die mit sieghaftem Lachen hätte
wirken müssen, als der alte, vermeintlich noch schwer kranke
Grutz auf die Wage tritt und zum drolligen Entsetzen seiner
als künftige Frau Hannes Grutz längst auf den schönen Hof
versessenen Wirtschafterin Mena noch ein respektables, recht
lebenskräftiges Gewicht hat. Diese Wirkung blieb aus.
Und erst und auch nur, als Mena, der der alte Teufel zu
lange lebt, schwer enttäuscht mit ihrer Truhe abzieht, um sich
faute de mienx — auf dem verschneiten Eishof ins eigene
Nest zu setzen, brach die richtige Stimmung durch. Emanuel
Reicher als alter Grutz gab den Humor der Sache nicht
in seiner ganzen Stärke, und in der Charakterisierung suchte
er eine Tiefe, die gar nicht vorhanden ist. Echt im Sinne
der Komödie und des Lebens, die Schönherr mit der
stolzen Bezeichnung „Eine Komödie des Lebens“ gleicher¬
maßen verlangt, war Else Lehmanns voluminöse
Wirtschafterin Mena, die auf der Ofenbank auf des alten
Grutz Tod mit breitester Seßhaftigkeit wartet und für schwerere
Arbeit geeignete Armkraft an einen Strickstrumpf vergendet.
Die Schadenfreude beim Unfall des „alten Teufels“, die
Gewißheit, am Ziele zu sein, und die schwere Enttäuschung,
als der Alte im Frühling mit der Natur draußen auch wieder
auflebt, und endlich der köstliche Abzug vom verlorenen Hose
wurden in Steigerung und Abfall so köstlich wiedergegeben,
daß der Beifall, der gespendet wurde, ausschließlich auf das
Konto der Mena zu setzen ist. Kurt Stieler traf glücklich
den rührenden Ausdruck für den Aufschwung des energielosen
Hannes zur Liebe, die seine Sehnsucht nach eigener Nach¬
kommenschaft erfüllen soll, und das Zurücksinken in seine alte
Schlaffheit. Ernst Neßler Bruno Ziener, Erich
Walter, Mathilde Sussin waren mit Lust beim
dreimaligen Knödelessen. Aber der Dialekt! O weh!
Arthur Schnitzler, der amüsante Plauderer, läßt
seinen feinen Humor wieder echt wienerisch lächeln über die
gute Moral und enthüllt mit zart andeutender Hand zarte Ge¬
heimnisse liebenswürdiger Vertreter einer früh= und überreifen
Gesellschaft. Graf Arpad Pazmandy, der als Witwer
Trost gesucht und gefunden hat bei der Ballettdame Lolo, muß
ein langjähriges trautes Verhältnis lösen, weil die Ge¬
liebte seiner reifen Jahre sich als ehrbare Gattin eines Fiaker¬
besitzers ins Privatleben zurückzieht. Wehmütige Abschieds¬
stimmung auf der einen Seite und ganz heimliches Wieder¬
sehen oder überhaupt erst Kennenlernen eines nahestehenden
Wesens auf der anderen Seite vereinen sich und
lassen einen Familientag eigener Art zusammenkommen, der
mit einer späten Verlobung schließt. Komtesse Mizzi, die
mit dem Fürsten Ravenstein ein Geheimnis hegt in Gestalt
eines nunmehr achtzehnjährigen Sohnes, reicht dem Vater
dieses Jünglings nach anfänglichem, wohlbedachtem Sträuben
die Hand, um dem jungen, adoptierten Fürsten das zu sein,
was sie ihm heimlich schon ist: Mutter. Als des Fürsten
Gattin noch lebte, geschah's, und es wurde geheim gehalten
vor der Welt. Nun tritt der Sohn an des Vaters Hand
vor die alternde Komtesse, und wie der Abschied,
vollzieht sich das endliche Finden ohne jede Sentimen¬
talität in der Form der Visite. Irene Triesch konnte
als alternde Komtesse Mizzi, die, ehe sie Fürstin wird, erst noch
ihrem mehr als verehrten Lehrer in der Malkunst den Abschied
gibt, ihre ganze feine Kunst der Andeutung seelischer Regungen
entfalten. Sie war ganz vornehme Weltdame im überlegenen
Spott und in ihrer sicheren Haltung der plötzlichen Wendung
in ihrem Leben gegenüber.
Ihr Mienenspiel, in dem der
flüchtige Ausdruck tieferen Fühlens fast unbemerkt in ein
Lächeln überging, war so reich und lebendig bei aller Zurück¬
haltung, daß ihr stummes Spiel fast noch höhere Kunst bot als
der Ton, mit dem sie ein geistvoll anzügliches Geplauder echt
weiblich beseelte. Heinz Monnards Fürst von Raven¬
stein war dieser Komtesse auch äußerlich nicht ebenbürtig, da er
zu wenig Fürst war. Dafür traf Emanuel Reicher als
Graf Pazmandy Ton und Haltung um so besser und fand auch
den diskreten Ausdruck für die stille Scheidewehmut, deren Träne
er sich verstohlen aus dem Auge tupft. Ein liebenswürdiger
Frechdachs war Herrn Erich Walters Philipp in seiner
Mulusfrische. Das Publikum zeigte sich für die elegante
Kleinigkeit Schnitzlerscher Planderkunst sehr dankbar; konnte sich
aber nach dem in seiner vornehmen Ruhe so unterhaltsamen
Aufenthalte in dem rosenduftigen Garten einer Vorstadtvillg.
die einmal ein kaiserliches Jagdschlößchen war, auf (Schöuherrs
Erde nicht zurechtfinden.