II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 213

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21. Kontesse Mizz 1oder der Panilientag
ie Gegenwärt.
Nr. 6
hindurch unüberwindliche Angst ein vor dem bloßen
Aus Berliner Theatern.
Anblick des Pinsels, Bossierholzes oder der Tinte.
Schönherr.
Nein, es verwirrt ihn, indem es als Hilfstruppen
Im Berliner Lessingtheater war endlich mal
Schwärme von fremden Erinnerungen und für seinen
wieder ein Premierenabend. Zuerst spielte man von
Plan nicht passenden Reminiszenzen hervorruft. Es
Arthur Schnitzler: „Komtesse Mizzi oder der
belagert ihn mit andern Ideen und plötzlichen Ent¬
Familientag“; eine nicht gerade ausgelassene, aber
würfen, als deren Fata Morgana die sichere Küste
doch herzhaft freche kleine Burleske aus dem aller¬
der fernen Vollendung selbst erscheint.“
höchsten Wiener Gesellschaftsleben, die besonders durch
Dieser Krampf der Produktion ist bis in die
die ironische Parallele amüsiert, die mit dem Neben¬
Werke Bangs zu verspüren. Der Pessimismus seines
titel zu unserem braven Kadelburg gezogen wird.
großen Landsmannes Jacobsen hat trotz allem eine
Ab und zu blinken aus den grotesken Situationen,
stärkere Lebenskraft. Während wir dessen Figuren
in denen diese lebenstüchtige Komtesse zum ersten
im Leben wiederfinden, berühren wir uns mit der
Male der seit achtzehn Jahren dem Herrn Pappa
Schöpfung Bangs bei allem Können, das sie aus¬
innigst attachierten Lolo und zugleich zum ersten.
zeichnet, doch letzten Endes nur in Stimmungen.
Male dem eigenen achtzehnjährigen, sehr außer¬
Wenn nach alledem ein Schlagwort erlaubt ist, so
ehelichen Sohne gegenübertritt, ganz frische, kleine,
möchte man das Künstlertum dieses Dänen als etwas
erfreuende Menschlichkeiten; aber im ganzen bleibt
Problematisches bezeichnen. Nur daß seine Naturen,
es doch ein recht überspitztes, nur für eine leichte
die vielleicht allzu sehr mit seiner Blutlosigkeit ge¬
Theaterstunde hinzunehmendes Spiel.
tränkt sind, gar nicht erst in die Lage kommen, sich mit
Von ganz anderem Gewicht war die zweite
einem Konflikte abzufinden und ihm gegenüber ihre
Darbietung des Abends, Karl Schönherrs
Willensstärke zu beweisen. Bang schildert mit Vor¬
Komödie des Lebens „Erde“. Gleichwohl bedeutet
liebe gebrochene Naturen, wie den William Hög aus
diese Aufführung kein Ruhmesblatt für den Di¬
den „Hoffnungslosen Geschlechtern", und
rektor Brahm. Vor fünf Jahren hat er dies künst¬
wie er Volkscharaktere geben will in seiner populärsten
lerisch wirklich bedeutende und in einem wichtigen
Schöpfung, dem Künstlerroman „Michael"*), da ver¬
Sinne neue Werk abgelehnt und dem inzwischen
mißt man an ihnen eine letzte Glaublichkeit. Seine
verstorbenen Hebbeltheater das Wagnis der Berliner
künstlerische Technik bringt es überhaupt mit sich,
Erstaufführung überlassen. Jetzt, nachdem der nicht
daß in den Novellen „Leben und Tod“ und in
unbedingt erfreuliche Riesenerfolg von „Glaube und
den Excentrischen Novellen mit ihren glän¬
Heimat“ auch ein minder publikumsfähiges Stück
zenden Schilderungen des Artisten Lucas Höheres
des Dichters ins Schlepptau nehmen kann, ent¬
erreicht wird wie im Roman. „Ich sehe meine Per¬
schließt er sich zu einer Aufführung. Und diese Auf¬
sonen nur Bild für Bild und höre sie nur in einer
führung ist nicht gut. Ganz abgesehen davon, daß
Situation nach der anderen reden. Ich muß oft
Emanuel Reicher, der im ersten Stück den alten ab¬
stundenlang warten, bis sie durch einen Blick, eine
gedankten Lebemann rührend täppisch gab, für die
Bewegung, ein Wort, mir ihre wirklichen Gedanken
Gestalt des unsterblichen Bauern, des erdverwurzelten
verraten, die ich ja nur ahnen kann, gleich wie man
alten Grutz nicht elastische Härte und Schärfe genug
die anderer lebender Menschen ahnt — die derer, mit
besaß die ganze Aufführung verfehlte den Kern
denen man umgeht und die man kennt. Wenn ich
der Dichtung, ihr rhythmisch=symmetrisches Wesen,
mich dann nicht bemühe, diese eine und kurze Si¬
ihr architektonisches Prinzip, ihren musikalischen
tuation, in der ich sie sehe, die Bewegung, die kleine
Gehalt. Alle Steigerungen waren verwaschen, alle
Bewegung, in der sie sich verraten, den Ton der
Zuspitzungen verplattet, alle Refrains unakzentuiert
Worte, in denen sie sich entblößen, das alles so
oder wohl gar unterdrückt. Es zeigte sich wiederum,
lebendig zu machen, so leibhaftig wie das Leben
daß der nur im Engsten große Geist dieses Hauses
selbst — wie kann ich dann hoffen zu überzeugen.“
überall versagt, wo der Dichter mehr als die starke
Der künstlerische Mangel Bangs liegt aber
Wirklichkeitsillusion, wo er rhythmisch musikalische
gerade in der absoluten Richtigkeit der Details, der
Akzente verlangt. Die Regie dieses Hauses trifft so
Bewegung, der Stimmungsreflexe. Ihm fehlt der
wenig den Takt des mächtigen Totenmarsches in
eine starke Ton, in den alles zusammenströmt. II
„John Gabriel Borkmann“ wie die silberne Mozart¬
est par trop artiste, und vielleicht gerade da am
musik in Hauptmanns „Griselda“. Und daß Schön¬
stärksten, wo er, wie in der Theaterscene im „Michael“
herrs Komödie solch eine inwendige überrealistische
ununterbrochen in seiner pointillistischen Art die
Musik besitzt, solch eine Musik, wie sie die Brahmsche
Blicke herüber und hinüber von der Szene zum
Bühne eben nicht mehr zu treffen vermag, grade
Seelenschauspiel der Zuschauer führen kann, und wo
das macht den Wert dieser Dichtung aus.
das Milieu selbst dazu auffordert, verdeckte Abgründe
Die neue Aufführung dieser Komödie sollte der
Hans Landsberg.7
zu zeigen.
allzu tonangebenden Berliner Kritik doch Anlaß
*) Alle Schriften von Bang sind bei S. Fischer
sein, ihr Urteil über diesen Karl Schönherr
erschienen.