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Kontesse Miz1oder der Fani Lientag
Nr.
Die Gegenwart.
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sohn, der nur noch nach Kindern und Wiege Sehnsucht
einmal zu revidieren. Es ist richtig, daß Erfolge
hat, wendet — und die dann, als der unerbittliche
im Stil von „Glaube und Heimat“ kultivierte
alte Grutz wieder in neuer Kraft dasteht, davon¬
Menschen immer mißtrauisch machen, und daß oben¬
zieht zum Eishofbäuerlein. Denn das Eishof¬
drein das norddeutsche Gemüt schon immer etwas
bäuerlein will sie zum Weib trotz der „Zuwag",
gereizt ist, wenn der süddeutsche Stammesbruder
die sie vom Grutzensohn mitbringt, will sie, weil
so haltlos schwärmt, wie es hier der Fall war. Den¬
er ein paar so rüstige Arme braucht für seinen
noch ist Schönherr von der allzu vernünftigen nord¬
harten Boden da oben, und sie lockt das Stück eigener
deutschen Kritik, die von vornherein geneigt ist, Volks¬
Erde hinauf ins Eis. — Das alles steht in großen,
tümlichkeit für Schwindel und Gemüt für Mumpitz
harten, klaren Zügen da: der Sarg, den der Alte sich
zu halten, Unrecht geschehen. Selbst in Sachen von
erst bestellt hat und dann zerhackt, die Wiege, die
„Glaube und Heimat". Nicht als ob mir dies nun
der verträumte Sohn sich so vergeblich im Winter
ein wirklich jedes Ruhmes würdiges Meisterstück
zurechttischlert, die Wage, an der die Wirtschafterin
schiene; es ist ein starkes Theaterstück, aber als
erst das Hinschwinden und dann die Neugeburt des
Dichtung eine halbe Sache mit vielen falschen Tönen.
Alten ablesen muß, das sind alles so reine, aus der
Denn Schönherrs „Glaube“ ist unerlebt, wirkt als
lebendigen Situation gewachsene Zeichen des inneren
bloßes rhetorisches Versatzstück, und läßt alle auf
Wandels, wie die Jahreszeiten; sie gliedern das
dem Glauben gegründeten Zusammenstöße als leere
Spiel in einen sicheren Takt, dessen sprachliche
und laute Effekte erscheinen. Aber die „Heimat“
Melodie nun von einer Zahl gleichmäßig wieder¬
ist bei Schönherr erlebt; das Ringen des Menschen
kehrender an= und abschwellender Leitmotive er¬
um ein Stück Erde, das Streben nach einem ge¬
schaffen wird. Dieses Aussparen, Ordnen und
sicherten und sichernden Stück Umwelt, das Kämpfen
Steigern weniger Sätze zu einer monumentalen
um einen festen Punkt, von dem aus wir unsere
Wirkung zeugt gewiß nicht für großen Erfindungs¬
Welt nehmen können, daß ist das Motiv aus der
reichtum; Schönherrs sinnliche Phantasie, sein Fond
großen Symphonie der Zeit, das Schönherr wahr¬
an lebendig Geschautem ist nicht groß, und wenn er
haft vernommen hat, und mit dessen Variationen
die wirklich gefühlte Anschauung durch absichtsvoll
er deshalb zu unserer Seele sprechen kann. Der
Geredetes ersetzt (wie dies einige Male dem alten
Sandberger, der lieber alle Gewissensqualen als die
Grutz oder dem Eishofbauern passiert), so entsteht
Heimatlosigkeit dulden wird, der Engelbauer, der für
freilich etwas Unechtes und Sentimentales. Aber
jedes Kind vor der Geburt ein Stück Land haben
sein eigentliches Können besteht darin, die wenigen
will, selbsi das Vagabundenpaar, Kesselflickwolf und
erlebten Motive kunstvoll zu einer großen Wirkung
Straßentrapperl, die die Erde so herzhaft im Wandern
zu ordnen, und dieser Sinn für monumentalen Bau
genießen und doch eine Begier nach Besitz in sich
ist wahrlich nichts Geringes. — An einer Lebens¬
aufkeimen spüren bei dem Gedanken an ihr Kind, selbst
fülle, wie sie Gerhart Hauptmann besitzt, gemessen,
diese zwei vom vorsichtigen Brahm als sentimental
erscheint ja auch ein Henrik Ibsen arm, und doch
gestrichenen Gestalten erscheinen mir durchaus le¬
erzielt er Wirkungen, die in gewisser Weise über
bendig und echt und im rhythmischen Ausbau ihrer
alles Hauptmannsche hinaus gehen, durch die archi¬
freilich nicht zahlreichen sprachlichen Motive, wenn
tektonische Anordnung, die er seinen wenigen Motiven
nicht reich, so doch stark geraten.
gibt. Schönherr hat mehr als irgend ein deutscher
Dramatiker heute sonst von der Ibsenschen Technik
Eben weil aber aus der Heimat, der Erde,
gelernt. Innerlich freilich hat er mit dem großen
alles Echte und Starke der Schönherrschen Poesie
Zweifler, dem erbitterten Analytiker wenig gemein.
kommt, ist diese ältere Komödie soviel reiner und
Wohl aber erinnert der Gehalt seiner hageren, spitzen
bedeutender, als die spätere, allzu erfolgreiche Tra¬
Form an das Leben, das in dem üppig breiten Bau
gödie. Mit mächtigen Linien ist der Bau dieses
Emile Zolas wohnt: Natur und Mensch als in¬
Dreiakters entworfen: mit dem Herbst scheint die
einander verwachsene, miteinander wachsende Dä¬
Lebenskraft des alten Bauern tötlich getroffen; im
monen; der Mensch nicht mehr als getriebenes
Winter legt er sich mit seiner Erde wie zum Todes¬
Teilchen Welt, nicht mehr eine im Sturm der Natur
schlaf nieder und bestellt seinen Sarg; aber mit
verwehende Seele, sondern selbst ein schicksalhaltiges)
den Frühlingsstürmen steht er wieder auf und zer¬
mächtig treibendes Stück Natur. Solch ein Gefühl
hackt seinen Sarg zu Brennholz, stark und genesen
baut sich aus den kargen Motiven in der großzügigen
ein Unsterblicher. Und alle, die auf seinen Tod
Rhythmik dieser Komödie empor. Und deshalb scheint
lauerten, sind verzweifelt, enttäuscht: die gealterte
mir Karl Schönherr, der Dichter dieser „Erde“, kein
Magd, die seit zehn Jahren den 46jährigen Sohn
geringer Faktor unserer dramatischen und geistigen
des Alten aussichtslos liebt; der Sohn, der sich
Entwicklung.
nicht von der Scholle trennen will, und ein alter,
Julius Bab.
vertrottelter Knecht bei seinem Vater wird; und die
junge kräftige Wirtschafterin, zu der sich bei der er¬
wachenden Freiheitshoffnung der verschlafene Bauers¬
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Kontesse Miz1oder der Fani Lientag
Nr.
Die Gegenwart.
94
sohn, der nur noch nach Kindern und Wiege Sehnsucht
einmal zu revidieren. Es ist richtig, daß Erfolge
hat, wendet — und die dann, als der unerbittliche
im Stil von „Glaube und Heimat“ kultivierte
alte Grutz wieder in neuer Kraft dasteht, davon¬
Menschen immer mißtrauisch machen, und daß oben¬
zieht zum Eishofbäuerlein. Denn das Eishof¬
drein das norddeutsche Gemüt schon immer etwas
bäuerlein will sie zum Weib trotz der „Zuwag",
gereizt ist, wenn der süddeutsche Stammesbruder
die sie vom Grutzensohn mitbringt, will sie, weil
so haltlos schwärmt, wie es hier der Fall war. Den¬
er ein paar so rüstige Arme braucht für seinen
noch ist Schönherr von der allzu vernünftigen nord¬
harten Boden da oben, und sie lockt das Stück eigener
deutschen Kritik, die von vornherein geneigt ist, Volks¬
Erde hinauf ins Eis. — Das alles steht in großen,
tümlichkeit für Schwindel und Gemüt für Mumpitz
harten, klaren Zügen da: der Sarg, den der Alte sich
zu halten, Unrecht geschehen. Selbst in Sachen von
erst bestellt hat und dann zerhackt, die Wiege, die
„Glaube und Heimat". Nicht als ob mir dies nun
der verträumte Sohn sich so vergeblich im Winter
ein wirklich jedes Ruhmes würdiges Meisterstück
zurechttischlert, die Wage, an der die Wirtschafterin
schiene; es ist ein starkes Theaterstück, aber als
erst das Hinschwinden und dann die Neugeburt des
Dichtung eine halbe Sache mit vielen falschen Tönen.
Alten ablesen muß, das sind alles so reine, aus der
Denn Schönherrs „Glaube“ ist unerlebt, wirkt als
lebendigen Situation gewachsene Zeichen des inneren
bloßes rhetorisches Versatzstück, und läßt alle auf
Wandels, wie die Jahreszeiten; sie gliedern das
dem Glauben gegründeten Zusammenstöße als leere
Spiel in einen sicheren Takt, dessen sprachliche
und laute Effekte erscheinen. Aber die „Heimat“
Melodie nun von einer Zahl gleichmäßig wieder¬
ist bei Schönherr erlebt; das Ringen des Menschen
kehrender an= und abschwellender Leitmotive er¬
um ein Stück Erde, das Streben nach einem ge¬
schaffen wird. Dieses Aussparen, Ordnen und
sicherten und sichernden Stück Umwelt, das Kämpfen
Steigern weniger Sätze zu einer monumentalen
um einen festen Punkt, von dem aus wir unsere
Wirkung zeugt gewiß nicht für großen Erfindungs¬
Welt nehmen können, daß ist das Motiv aus der
reichtum; Schönherrs sinnliche Phantasie, sein Fond
großen Symphonie der Zeit, das Schönherr wahr¬
an lebendig Geschautem ist nicht groß, und wenn er
haft vernommen hat, und mit dessen Variationen
die wirklich gefühlte Anschauung durch absichtsvoll
er deshalb zu unserer Seele sprechen kann. Der
Geredetes ersetzt (wie dies einige Male dem alten
Sandberger, der lieber alle Gewissensqualen als die
Grutz oder dem Eishofbauern passiert), so entsteht
Heimatlosigkeit dulden wird, der Engelbauer, der für
freilich etwas Unechtes und Sentimentales. Aber
jedes Kind vor der Geburt ein Stück Land haben
sein eigentliches Können besteht darin, die wenigen
will, selbsi das Vagabundenpaar, Kesselflickwolf und
erlebten Motive kunstvoll zu einer großen Wirkung
Straßentrapperl, die die Erde so herzhaft im Wandern
zu ordnen, und dieser Sinn für monumentalen Bau
genießen und doch eine Begier nach Besitz in sich
ist wahrlich nichts Geringes. — An einer Lebens¬
aufkeimen spüren bei dem Gedanken an ihr Kind, selbst
fülle, wie sie Gerhart Hauptmann besitzt, gemessen,
diese zwei vom vorsichtigen Brahm als sentimental
erscheint ja auch ein Henrik Ibsen arm, und doch
gestrichenen Gestalten erscheinen mir durchaus le¬
erzielt er Wirkungen, die in gewisser Weise über
bendig und echt und im rhythmischen Ausbau ihrer
alles Hauptmannsche hinaus gehen, durch die archi¬
freilich nicht zahlreichen sprachlichen Motive, wenn
tektonische Anordnung, die er seinen wenigen Motiven
nicht reich, so doch stark geraten.
gibt. Schönherr hat mehr als irgend ein deutscher
Dramatiker heute sonst von der Ibsenschen Technik
Eben weil aber aus der Heimat, der Erde,
gelernt. Innerlich freilich hat er mit dem großen
alles Echte und Starke der Schönherrschen Poesie
Zweifler, dem erbitterten Analytiker wenig gemein.
kommt, ist diese ältere Komödie soviel reiner und
Wohl aber erinnert der Gehalt seiner hageren, spitzen
bedeutender, als die spätere, allzu erfolgreiche Tra¬
Form an das Leben, das in dem üppig breiten Bau
gödie. Mit mächtigen Linien ist der Bau dieses
Emile Zolas wohnt: Natur und Mensch als in¬
Dreiakters entworfen: mit dem Herbst scheint die
einander verwachsene, miteinander wachsende Dä¬
Lebenskraft des alten Bauern tötlich getroffen; im
monen; der Mensch nicht mehr als getriebenes
Winter legt er sich mit seiner Erde wie zum Todes¬
Teilchen Welt, nicht mehr eine im Sturm der Natur
schlaf nieder und bestellt seinen Sarg; aber mit
verwehende Seele, sondern selbst ein schicksalhaltiges)
den Frühlingsstürmen steht er wieder auf und zer¬
mächtig treibendes Stück Natur. Solch ein Gefühl
hackt seinen Sarg zu Brennholz, stark und genesen
baut sich aus den kargen Motiven in der großzügigen
ein Unsterblicher. Und alle, die auf seinen Tod
Rhythmik dieser Komödie empor. Und deshalb scheint
lauerten, sind verzweifelt, enttäuscht: die gealterte
mir Karl Schönherr, der Dichter dieser „Erde“, kein
Magd, die seit zehn Jahren den 46jährigen Sohn
geringer Faktor unserer dramatischen und geistigen
des Alten aussichtslos liebt; der Sohn, der sich
Entwicklung.
nicht von der Scholle trennen will, und ein alter,
Julius Bab.
vertrottelter Knecht bei seinem Vater wird; und die
junge kräftige Wirtschafterin, zu der sich bei der er¬
wachenden Freiheitshoffnung der verschlafene Bauers¬