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Von den Berliner Theatern 1911/12.
XI.
Für Lothar Schmidts und Heinrich Ilgensteins dreiaktige
Kriminalgroteske =Fiat justitiac hat das anfängliche Verbot der Schöne¬
berger Polizeibehörde eine Propaganda gemacht, die der Berliner Erst¬
aufführung im „Neuen Schauspielhause“ zunächst einen freund¬
lichen, dann einen warmen Erfolg einbrachte. Aber ich glaube, aus
diesem Entgegenkommen gegen die mit derben Trümpfen spielende Satire
mehr den nachklingenden Protest gegen jede Zensurbevormundung über¬
haupt, als ein Mitgehen mit dem vorliegenden Objekt herausgehört zu
haben: und ich würde Lothar Schmidt — Herr Ilgenstein ist ja als
nicht so hoch ein¬
Dramatiker noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt
schätzen, wie ich es tue (als Verwalter eines reichen Vermögens von
taktvoll=delikatem Witz; als beachtenswerten Mehrer des besseren Lust¬
spielbestandes made in Germany), wenn ich ihm verschweigen wollte,
daß diese Mensur mit der zeitgenössischen Rechtspflege einen glatten
künstlerischen Rückschritt bedeutet! Der Wunsch, der Juristerei satirisch
an den Wagen zu fahren, zu beweisen, daß das noch in Gebrauch befind¬
liche Reichsstrafgesetzbuch von Serbien (auf Serbien schlägt man, und
Germanien meint man) mehr mit den Buchstaben= als mit den Menschen¬
rechten liebäugelt, nötigt den beiden Autoren drei Akte und zwei
Variationen um ein Thema ab. Des Themas Geruch ist in beiden Fällen
Mord! Aber der Exzellenzgraf, der seinen unbotmäßigen Bedienten mit
dem Schießgewehr abtut, darf als „Herr Angeklagter" und im Haupt¬
requisit eines andern Lustspiels, im „Klubsessel“ vor den Geschworenen
Platz nehmen und wird freigesprochen. Der Schlosser indessen, der trotz
lückenhaften Indizienbeweises seinen Kopf verlieren soll, weil er einen ihm
befreundeten Kellner umgebracht hat, darf diesen Kopf auch dann nicht
oben behalten, als der quasi Ermordete persönlich die Revisionsverhand¬
lung vor dem Reichsgericht unterbricht (denn die höchste Instanz hat
nicht über Tatsachen, sondern nur über Formfehler zu befinden), und
dankt die Aufhebung des Urteils schließlich nur dem Umstande, daß die
Verhandlungsprotokolle nicht gegen „Bogumil Stefan“, sondern gegen
„Stefan Bogumil“ gemünzt sind. Diesen antijuristischen Putsch würzen
die Autoren freigebig mit Moabiter Foyerscherzen, wie sie den Satiren
„Büxl“ von Holz und Jerschke und „Das Objekt“ von Fritz Selten
nicht fremd waren; mit einer Verwässerung der Schmockfigur, wie sie
ein Lothar Schmidt glatt von der Hand weisen müßte, und mit einer,
sagen wir, „Polemik“ gegen die Polizei, wie ich sie in dieser Entartung
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XI.
Für Lothar Schmidts und Heinrich Ilgensteins dreiaktige
Kriminalgroteske =Fiat justitiac hat das anfängliche Verbot der Schöne¬
berger Polizeibehörde eine Propaganda gemacht, die der Berliner Erst¬
aufführung im „Neuen Schauspielhause“ zunächst einen freund¬
lichen, dann einen warmen Erfolg einbrachte. Aber ich glaube, aus
diesem Entgegenkommen gegen die mit derben Trümpfen spielende Satire
mehr den nachklingenden Protest gegen jede Zensurbevormundung über¬
haupt, als ein Mitgehen mit dem vorliegenden Objekt herausgehört zu
haben: und ich würde Lothar Schmidt — Herr Ilgenstein ist ja als
nicht so hoch ein¬
Dramatiker noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt
schätzen, wie ich es tue (als Verwalter eines reichen Vermögens von
taktvoll=delikatem Witz; als beachtenswerten Mehrer des besseren Lust¬
spielbestandes made in Germany), wenn ich ihm verschweigen wollte,
daß diese Mensur mit der zeitgenössischen Rechtspflege einen glatten
künstlerischen Rückschritt bedeutet! Der Wunsch, der Juristerei satirisch
an den Wagen zu fahren, zu beweisen, daß das noch in Gebrauch befind¬
liche Reichsstrafgesetzbuch von Serbien (auf Serbien schlägt man, und
Germanien meint man) mehr mit den Buchstaben= als mit den Menschen¬
rechten liebäugelt, nötigt den beiden Autoren drei Akte und zwei
Variationen um ein Thema ab. Des Themas Geruch ist in beiden Fällen
Mord! Aber der Exzellenzgraf, der seinen unbotmäßigen Bedienten mit
dem Schießgewehr abtut, darf als „Herr Angeklagter" und im Haupt¬
requisit eines andern Lustspiels, im „Klubsessel“ vor den Geschworenen
Platz nehmen und wird freigesprochen. Der Schlosser indessen, der trotz
lückenhaften Indizienbeweises seinen Kopf verlieren soll, weil er einen ihm
befreundeten Kellner umgebracht hat, darf diesen Kopf auch dann nicht
oben behalten, als der quasi Ermordete persönlich die Revisionsverhand¬
lung vor dem Reichsgericht unterbricht (denn die höchste Instanz hat
nicht über Tatsachen, sondern nur über Formfehler zu befinden), und
dankt die Aufhebung des Urteils schließlich nur dem Umstande, daß die
Verhandlungsprotokolle nicht gegen „Bogumil Stefan“, sondern gegen
„Stefan Bogumil“ gemünzt sind. Diesen antijuristischen Putsch würzen
die Autoren freigebig mit Moabiter Foyerscherzen, wie sie den Satiren
„Büxl“ von Holz und Jerschke und „Das Objekt“ von Fritz Selten
nicht fremd waren; mit einer Verwässerung der Schmockfigur, wie sie
ein Lothar Schmidt glatt von der Hand weisen müßte, und mit einer,
sagen wir, „Polemik“ gegen die Polizei, wie ich sie in dieser Entartung
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