II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 265

NTERTEAE
Morgena ueat
Theater und Musik
Wedekind, Schnitzler und Thoma
im ##rerehräter.
Die Anregung zu diesem Abend gab die Ver¬
Egenheit des Spielplans, was man aber nicht zu
edauern hatte. Es ist ehrenvoller, auf Erprobtes
zurückzugreifen, das nach Alter und Geschmack zu uns
gehört, als wie das letzte Mal einen ganz verstaubten
Lustspieljahrgang von lieblosen Händen umgießen zu
lassen. Die Zusammenstellung der Einakter war
recht glücklich, da selbständige und eigenkräftige
Autoren (durch die schöne Beziehung alles Erfinde¬
rischen) immer zu einander passen. Man sah den
tragikomischen „Kammersänger“ Wedekinds, der so
meisterhaft und in schlagender Kürze einen frechen
Stoff sympathisch macht und den seltenen Griff hat,
eine tragische Schlußwendung mit den Auslaufern
der Satire zu verknupfen. Hernach kam „Komtesse
Mizzi“ eine der vorzüglichsten Lustspielarbeiten
Schnitzlers, die Charakter hat, ein Meisterspiel der
Verknüpfung ist und an graziösen Einfällen über¬
quillt. Ganz von ungefähr, angeregt von der aristo¬
kratischen Umwelt denkt man sich, daß Schnitzler hier
unbewußt bei der Bauerfeld=Tradition einhakte, diesen
zahmen Vorläufer aber durch Witz und innere Un¬
abhängigkeit weit überholte. Jedenfalls ist dieser
ältere Einakter dreißigmal besser als seine allzu er¬
dachten Wortkomödien neueren Datums.
Auf
Schnitzler folgte Ludwig Thomas lustige Fahrt
„I. Klasse“ die den Vorteil hat, wie eine Gelegen¬
heitsschnurre zu beginnen und das Anekdotenhafte
ins Typische zu steigern, ohne daß dabei dem Scherze
die Puste ausgeht. Man wurde im Laufe dreier
Stunden recht vergnügt.
Die Darstellung war sehr ungleichmäßig. Am
schwächsten geriet Wedekind, dessen „Kamimersänger“
so falsch wie nur irgendwie moglich mit Ferdinand
Bonn besetzt wurde. Was Barnowsky reizen
mochte, einen Mißgriff Reinhardts prompt sich zu
eigen zu machen, bleibt ja unerklärlich. Man büßte
es durch die Entstellung der Tenoristenerscheinung
in eine höchst verdrossene Reisendenfigur, der man
von allen Liebesabenteuern höchstens die vielen
Koffer glaubte. Dazu kam ein hübsches Maß von
textlicher Unsicherheit, die mit den Pointen beträcht
lich aufräumte und durch rudernde, den Sprechkasten
anfeuernde Armbewegungen das Bild unergötzlichen
Nervosität viel zu wahr machte. Daß Dr. Eloesser
die Spielleitung hatte, bemerkte man erst jenseits der
Hauptrolle. So gab Frau Julie Serda mit jedem
Atemzug das unabschuttelbare Weib — sehr glücklich
im Wechsel von Temperamentsausbrüchen und Mo¬
menten gefährlicher Stille. Ueberraschend gut gelang
Herrn Gottowt die Gestaltung des greisen Kom¬
ponisten, der die Gestalt von überflüssiger Senti¬
mentalität säuberte und die Selbstgefalligkeit des Ver¬
kannten so drollig dreist heraushob, daß die Episode
ein neues Gesicht bekam. Gottowts Talents scheint mir
überhaupt unterschätzt und wird, wodurch in Berlin
schon manche Kraft verkürzt wurde, auf Spezialisten¬
tum festgelegt. Seine Wandlungsfähigkeit sollte sich
dagegen wehren.
Mit etlichen Verlusten an Liebenswürdigkeit
mußte auch das Lustspiel von Schnitzler rechnen.
Wieder hatte das Gedächtnis Ferdinand Bonns!
Einiges beseitigt, dem der alte Schwerenöter schon
„besser lag, obwohl er den ungarischen Grafen ins
Operetten=Mikoschhafte übersetzte. Auch Frau Serda
hatte für die unterhaltende Doppelmoral ihrer Kom¬
tesse nicht das richtige Gefühl und ließ alles fallen,
womit sich die Figur interessant machen könnte.
Ebenso unvorteilhaft gab sich Frau Tetzloff, die
dem ins Philisterium sich einschiffenden Theater¬
dämchen bloß ein grelles Kleid und viel Gewöhnlich¬
keit gönnte. Erfreulicher war der Fürst Ravenstein
des Herrn Landa und ganz echter Schnitzler blühte
in einem neuen jungen Darsteller namens Walter
Reymer auf, der viel Laune im Leibe hat und
jedes Wort auf Wirkung zu färben weiß.
Ludwig Thomas' Eisenbahnhumoreske fährt bei
Barnowsky auf sicherem Geleise. Und man krümmte
sich wie immer über Adalberts Berliner
Schnauze, über Landas gereizten Ministerialrat,
über Sternbergs bäuerliche Lachsalven. Auch
Bonns Agrarier war sehr erträglich. So etwas
mit sehr viel Maske, Gebirgsmundart und umge¬
hängten falschen Ohren kann er noch heute so gut¬
wie ehedem. Und außerdem saß er vorn —i
Hörweite.
27. MERZeutsdue Warte, Berlin
Kunft und Wissenschaft
Deutsches Künstler=Theater
Einakterabend: Wedetind: „Der Kammersänger“
SaKomtesse Mizzi“, Thomas: „Erster
Klasse.“
Herr Bonn ist bei Barnowsky eingezogen, nachdem Basser¬
mann ihn verlassen hat. Nicht als Ersatz, denn beide haben
wenig Vergleichbares, aber jedenfalls bedeutet dieser Gewinn
eine wertvolle Bereicherung. Herrn Vonns vielseitige Künstler¬
schaft steht außer Zweifel, und um sie dem Publikum eindringlich
vorzuführen, verband man die drei sämtlich schon bekannten und
erprobten Einakter zu einem Theaterabend. Dieses Unternehmen 1
ist etwas absonderlich, denn die drei Stücke haben nicht die ge¬
ringste innerliche Verbindung. Trotzdem ist der Versuch ge¬
lungen und Herr Bonn konnte sich mit Erfolg an der neuen
Stätte vorstellen.
Sein z. k. Kammersänger Gerardo ist eigenntlich kein Wede¬
kind. Er ist ein sehr naher Verwandter des Professors Heink
in Bahrs „Konzert“, den Bonn zuletzt bei Reinhardt gespielt hat.
Aber der liebenswürdige, nervöse, gesühlsleere Weltmann, der
auch äußerlich mahr nach einem Rennbahnbesucher als einem
Millionentenor aussieht, bringt einen leisen Zug von Mensch¬
lichkeit in seine kaltschnäuzige Lebensphilosophie, der fast sym¬
pathisch berührt.
In Schnitzlers ironischem Spiel mit den jongleurhaft durch¬
einandergewirbelten kleinen und großen Fehltritten Wiener
Adelskreise gibt er den jovialen Arpad Pazmandy in Maske, Ton
und Geste stilecht mit geschickter Zurückhaltung. Um so grob¬
schlächtiger ist dafür sein Josef Filser in Thomas Eisenbahn¬
schwank. Seinen elefantenartigen Ohrwascheln und dem ent¬
sprechend großen Riechorgan gesellte sich urbajuparische Derbheit
von zwerchfellerschütternder Komik.
Allerdings muß er hier neben Herrn Adalberts Neu¬
Ruppiner Kunstdüngerreisenden fast ein wenig verblassen. Denn
dieser ewig quasselnde „Saupreiß“ war ein Meisterstück. Auf
gleicher künstlerischer, Höhe stand im ersten Spiel die erschüt¬
ternde Figur des unglückseligen Komponisten Professor Dühring,
den Herr Gotlowt spielte. Man hat diesen Künstler leider
stets unterschätzt, nur ein wirklich Großer vermag bei der die
Grenzen des Grotesk=Kömischen so hart streifenden Rolle den
(gequälten Aufschrei eines unverstanden Uebergangenen so aus
der Tiefe zu gestalten wie er es tat. Julie Serda, als des
Kammersängers verzweifelte Geliebte etwas blaß, ist als Mizzi
Jurchaus an ihrem Platz. Der leise Klang verhaltener Tragik
gegenüber ihrem ungekannten Kind wurde wirksam unterstützt
durch den frischen, lebendigen, echt jungenhaften Philipp von
Walter Reymer. Max Landa, als dazugehöriger Vater
deladenter Aristokrat, hatte als Ministerialrat im Eisenbahn=
abteil richtigen Simplicissimusstil. Das gleiche gilt von Hans
Sernbergs Oekonom Grottmeier und Fritz Friedrichs
urkomischem Zugführer. Nicht unerwähnt darf endlich Sibylle
Binders liebesioller Musikbackfisch bleiben. Fürdie geschickte
Spielleitung ist den Herren Eloesser und Landa Dank
zu sagen.
Dr. Kastner.“
Abonnementausgabe in den Königlichen Schauspielen. Die
Ausgabe der April=Abonnementskarten für je 27 Vorstellungen im
Königl. Opern= und Schauspielhause findet 'n der Königl Theater¬
Haupnasse im Königl. Schauspielhause gegen Vorzeigung der
Abonnementsverträge von 9¼ bis 1 Uhr statt, und zwar am
29. d. Mis. für den I. Rang, das Parkett und den II. Rang des
Königl. Opernhauses und am 30. d. Mts. für den III Rang des
Königl. Opernhauses und für alle Platzgattungen des Königl.
Schauspielhauses.