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21. Kontes. Mizzi oder der Fanilientag
Verhältnisse liegen, ist das Ansetzen einer Neuheit ein untrügliches
Zeichen, daß die seither gespielte Operette nicht mehr in dem erwarteten
Maße „zieht“ und das ist in diesem Falle bedauerlich. Das zun ur¬
aufgeführte neue Stück, „Liebessport“ von A. Neidhart und
K. Lindau, Musik von A. Eibenschütz ist geeignet, einem breiteren
Publikum zu gefallen. Die Musik ist von jener eingänglichen Rhythmik,
die an das gewähltere musikalische Verständnis keine sonderlichen An¬
forderungen stellt, es gibt viel Gelegenheit zu Tänzen, zu Märschen
und dergleichen. Die Sänger müssen ihr Temperament mehr in die
Füße legen, als in ihren Gesang, wie dies bei ungezählten Operetten
von heute schon der Fall gewesen ist. Der laute Erfolg beweist, daß
der Geschmack des Publikums immer noch nach dieser Richtung hin
neigt. Das Ganze ist geschickt gemacht, die Melodik frisch, zuweilen
derb, immer ihrer Wirkung bewußt und sicher. Die Handlung baut
sich auf einer Verwechslung von Namen auf. Die schöne, fesche Ilona,
der es mehr um „Liebessport“ zu tun ist, als daß sie sich neuer Ehe
fesseln anbequemen möchte, erhält einen Heiratskonsens. Diesen
wünschte ein Fischerpärchen, das durch den Irrtum des Ministerial¬
sekretärs zu Petroleumquellen und dadurch zu Reichtum gelangt. Die
durch das bureaukratische Versehen entstandene Wirrnis führt natürlich
doch zu guter Lösung. Mit ziemlicher Gewandtheit und einer lauten
Lustigkeit entwirren die Autoren die Fäden. Einige bühnensicher ge¬
zeichnete Operettengestalten helfen ihnen dabei. Die szenische und
kostümliche Ausstattung malte das ungarische Milieu farbig und glanz¬
voll. Die Rollen waren gut=besetzt und die musikalische Leitung zeigte
Temperament und=Unsicht. Die Aufnahme konnte der oft gerufene
Kompopist-sich nicht besser wünschen. Mehrere „Schlager“ mußten
„wiederholt werden.
Schauspielhaus. Wedekinds „Kammersänger“ Schnitzlers
„Komtesse Mizzi“, Coppée's „Geigenmacher von Cremona“. Eit
stilistisch recht bunter Theaterabend, der durch Ferd. Bonns Spiel
besonderes Interesse erhielt. Man freut sich, daß dieser Künstler wieder
Löfter in München gastiert, denn er gehört zu den wenigen Schau¬
Ipielern, die man mit künstlerischem Gewinn sieht, auch wenn uns
die gebotenen Stücke solchen nicht versprechen. Wie einfach, natürlich
gibt er den Sänger. Dieser entzauberte Bühnenheld kokettiert nicht
aufdringlich mit Geist, wie dies Wedekind tut, wenn er in seiner Farce
auftritt, er ist ein Mann von geschäftsmäßiger Nüchternheit, der dar¬
nach trachtet, seine Vertragspflichten zu erfüllen. Hierin strenge, sonst
gutmütig und nicht ohne Liebenswürdigkeit. Er wirkte am stärksten,
als er der liebestollen Frau freundlich zusprach. Dann gab Bonn
Mizzis Vater. Die Sentimentalität des alten Grafen, der nach
18 Jahren „zum zweiten Male Witwer wird“, weil er sich von seinem
„Verhältnis“ für immer trennen muß, gewinnt nie die Oberhand; die
gute Haltung des Mannes von Welt verdeckt sie, dennoch beschäftigt
ihn innerlich die Angelegenheit so sehr, daß er von den Dingen, die
um ihn geschehen, nichts ahnt. Sehr sein ist auch Bonns Behandlung
des ungarisch akzentuierten Dialektes, diese joviale Nachlässigkeit, die
doch nie formlos wird. In dem von Bonn bearbeiteten, ein wenig
rührsamen französischen Stückchen gibt er die Rolle des edelmütig ver¬
zichtenden unglücklichen Liebhabees, hier kann der virtuose Theatraliker
sich ausleben, ich finde aber, daß Bonn dieser Neigung heute weniger
nachgibt, als früher. Was immer in dieser welschen Pathetik an
echtem Gefühl stecken mag, weiß er herauszubringen. Die Gelegenheit,
sich gleichzeitig auch als Geigenspieler zeigen zu können, scheint es
Bonn als erwünscht erscheinen zu lassen, heute noch das auf unseren
Bühnen jetzt doppelt überflüssige französische Kostümstück aufzuführen.
Mit Bonn gastierte Hanna Ralf (vom Berliner Künstlertheater. Die
hysterische Figur Wedekinds und das Mädchen von Cremona sind zu
sehr auf einen Ton gestimmt, um mehr zu zeigen, als schöne Mittel,
anders die Mizzi. Die Komtesse ist in ihrer Jugend verführt worden.
Man hat sie gezwungen, um der Welt willen sich von dem Kinde zu
trennen, die unterdrückte Mutterliebe ist zu trotziger Gleichgültigkeit
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21. Kontes. Mizzi oder der Fanilientag
Verhältnisse liegen, ist das Ansetzen einer Neuheit ein untrügliches
Zeichen, daß die seither gespielte Operette nicht mehr in dem erwarteten
Maße „zieht“ und das ist in diesem Falle bedauerlich. Das zun ur¬
aufgeführte neue Stück, „Liebessport“ von A. Neidhart und
K. Lindau, Musik von A. Eibenschütz ist geeignet, einem breiteren
Publikum zu gefallen. Die Musik ist von jener eingänglichen Rhythmik,
die an das gewähltere musikalische Verständnis keine sonderlichen An¬
forderungen stellt, es gibt viel Gelegenheit zu Tänzen, zu Märschen
und dergleichen. Die Sänger müssen ihr Temperament mehr in die
Füße legen, als in ihren Gesang, wie dies bei ungezählten Operetten
von heute schon der Fall gewesen ist. Der laute Erfolg beweist, daß
der Geschmack des Publikums immer noch nach dieser Richtung hin
neigt. Das Ganze ist geschickt gemacht, die Melodik frisch, zuweilen
derb, immer ihrer Wirkung bewußt und sicher. Die Handlung baut
sich auf einer Verwechslung von Namen auf. Die schöne, fesche Ilona,
der es mehr um „Liebessport“ zu tun ist, als daß sie sich neuer Ehe
fesseln anbequemen möchte, erhält einen Heiratskonsens. Diesen
wünschte ein Fischerpärchen, das durch den Irrtum des Ministerial¬
sekretärs zu Petroleumquellen und dadurch zu Reichtum gelangt. Die
durch das bureaukratische Versehen entstandene Wirrnis führt natürlich
doch zu guter Lösung. Mit ziemlicher Gewandtheit und einer lauten
Lustigkeit entwirren die Autoren die Fäden. Einige bühnensicher ge¬
zeichnete Operettengestalten helfen ihnen dabei. Die szenische und
kostümliche Ausstattung malte das ungarische Milieu farbig und glanz¬
voll. Die Rollen waren gut=besetzt und die musikalische Leitung zeigte
Temperament und=Unsicht. Die Aufnahme konnte der oft gerufene
Kompopist-sich nicht besser wünschen. Mehrere „Schlager“ mußten
„wiederholt werden.
Schauspielhaus. Wedekinds „Kammersänger“ Schnitzlers
„Komtesse Mizzi“, Coppée's „Geigenmacher von Cremona“. Eit
stilistisch recht bunter Theaterabend, der durch Ferd. Bonns Spiel
besonderes Interesse erhielt. Man freut sich, daß dieser Künstler wieder
Löfter in München gastiert, denn er gehört zu den wenigen Schau¬
Ipielern, die man mit künstlerischem Gewinn sieht, auch wenn uns
die gebotenen Stücke solchen nicht versprechen. Wie einfach, natürlich
gibt er den Sänger. Dieser entzauberte Bühnenheld kokettiert nicht
aufdringlich mit Geist, wie dies Wedekind tut, wenn er in seiner Farce
auftritt, er ist ein Mann von geschäftsmäßiger Nüchternheit, der dar¬
nach trachtet, seine Vertragspflichten zu erfüllen. Hierin strenge, sonst
gutmütig und nicht ohne Liebenswürdigkeit. Er wirkte am stärksten,
als er der liebestollen Frau freundlich zusprach. Dann gab Bonn
Mizzis Vater. Die Sentimentalität des alten Grafen, der nach
18 Jahren „zum zweiten Male Witwer wird“, weil er sich von seinem
„Verhältnis“ für immer trennen muß, gewinnt nie die Oberhand; die
gute Haltung des Mannes von Welt verdeckt sie, dennoch beschäftigt
ihn innerlich die Angelegenheit so sehr, daß er von den Dingen, die
um ihn geschehen, nichts ahnt. Sehr sein ist auch Bonns Behandlung
des ungarisch akzentuierten Dialektes, diese joviale Nachlässigkeit, die
doch nie formlos wird. In dem von Bonn bearbeiteten, ein wenig
rührsamen französischen Stückchen gibt er die Rolle des edelmütig ver¬
zichtenden unglücklichen Liebhabees, hier kann der virtuose Theatraliker
sich ausleben, ich finde aber, daß Bonn dieser Neigung heute weniger
nachgibt, als früher. Was immer in dieser welschen Pathetik an
echtem Gefühl stecken mag, weiß er herauszubringen. Die Gelegenheit,
sich gleichzeitig auch als Geigenspieler zeigen zu können, scheint es
Bonn als erwünscht erscheinen zu lassen, heute noch das auf unseren
Bühnen jetzt doppelt überflüssige französische Kostümstück aufzuführen.
Mit Bonn gastierte Hanna Ralf (vom Berliner Künstlertheater. Die
hysterische Figur Wedekinds und das Mädchen von Cremona sind zu
sehr auf einen Ton gestimmt, um mehr zu zeigen, als schöne Mittel,
anders die Mizzi. Die Komtesse ist in ihrer Jugend verführt worden.
Man hat sie gezwungen, um der Welt willen sich von dem Kinde zu
trennen, die unterdrückte Mutterliebe ist zu trotziger Gleichgültigkeit
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