II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 271

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21. Kontesse 122 □oderder— ansLientan
box 26/4
24.ML1979
Hamburger Nachrichten
Hamburg.
(Einaster=Abend im Deuschen Schauspielhaufe. )..
Wildgans — Schnipleloma.
Wenn die Szene zum Triölnäl wird sitzt gewöhnlich Fran
Justitia in eigener Person auf der Anklagebank. Der Dichter wird
geworden, die sich in langen Jahren selbst eingeredet hat, daß sie von
Zzum Ri#ter, und er fällt seinen Spruch im Namen einer reinen
dem Kinde nichts wissen will. Nun tritt dieses als erwachsener junger
Menschlichkeit. Es ist gewiß nicht zum Schoden der Gesellschaft,
Mann ihr gegenüber. Ihre Gefühle erwachen und wecken auch in dem
wenn wir wieder einmal darauf gestoßen werden, daß alle mensch¬
nichts ahnenden Jüngling Sympathie. Sie wird sich mit der Zeit zu
lichen Satzungen Stückwerk sind, daß auch heute noch Gesetz und
ihm finden und auch zum Vater desselben. Ein Spiel ohne große
Recht sich wie eine ewige Krankheit forterben und jeden Tag aufs
Geste, eine leise Schwankung im Ton verrät das Gefühl, das hinter
neue Vernunft Unsinn, Wohltat Plage wird. Die Frage ist nur,
gleichgültigen gesellschaftlichen Reden sich verbirgt. Diese Kunst der
ob die Kunst, wenn sie der Gerechtigkeit die Binde von den Augen
Nuance ist Frl. Ralf in hohem Grade zu eigen. Es steckt viel Inner¬
reißt, sich dieselbe nicht im gleichen Moment selber anlegt. Wenn
lichkeit in ihrem Spiel, das der grellen Farben entbehren kann. Sie,
Spieler und Gegenspieler sich vor allem dadurch unterscheiden, daß
Bonn und Marx (Fürst) bildeten ein Ensemble von kultivierter
nur dei eine das Opfer der Justiz, für sich allein einsteht, der
Form, wie man es heute selten sieht, denn viele, auch sehr bedeutende
andere aber, der Träger der Justig, als beamteter und berufener
Bühnenkünstler halten starkes Gefühl und gute Manieren für Wider¬
Vertreter staatlicher Institutionen handelt, kommt das dramatische
sprüche. Die äußere aristokratische Kultur der Darstellung ließ es
Gebäude etwas aus dem Gleichgewicht. Die Sympathien sind von
viell icht nicht jedem bewußt werden, welcher sittliche Indifferentismus
vornherein ungleich verteilt, das Mitleid wird einseitig in Anspruch
die Schnitzlersche vornehme Welt beherrscht.
genommen, und wir kommen letzten Endes nur zu Richtern, wie
sie nicht sein sollen und Verbrechern, wie sie ge¬
Volkstheater. Ein liebenswürdiges, älteres Lustspiel von Schön¬
wöhnlich nicht sind. Die Tendenz behauptet das Feld, und
than und Kadelburg „Der Herr Senator“, vormals am Hoftheater
wir müssen uns sehr hüten, daß wir am Ende aus lauter Gerechtig¬
gegeben, hat sich im Volkstheater, für das es neu war, auf das Beste
keit nicht ungerecht werden — gegen die Gerechtigkeit. Die Kunst
bewährt. Das Publikum unterhielt sich und lachte viel und herzlich.
aber geht schließlich leer aus, ja vielleicht wird sie auch noch um die
Der Konflikt zwischen dem jungen Paare und dem bevormundenden pater
Zeugengebühren geprellt. Dafür tun wir aber unter Umständen
familias ist hübsch gesehen und nicht ohne Geist durchgeführt. Die
einen tiefen Blick in dunkle soziale Schichten, und ein bisserl
Schilderung des Kastengeistes zeigt Humor, dem alle verletzende Satire
Spannung ist ja alleweil daber, wenn der Richter am Tische sitzt
fehlt. Die frische, flotte Aufführung bot durchwegs gute künstlerische
und der Gendarm im Hintergrunde steht. Diese Bedenken allge¬
Leistungen.
meiner Art gelten auch für das Gerichtsstück von Anton Wild¬
München.
L. G. Oberlaendet.
gans In Ewigkeit amen“ das gestern zum erstenmal ge¬
geben wurde. Sie werden dadurch noch verstärkt, daß es sich dies¬
HENEEEHEHHHEHEHNHENHHHAFEEHAEHHERNENHNEHHNHEENGNEHTAHEHEHEHNANE
mal nur um einen einzigen Akt handelt. Dadurch geht der Ver¬
fasser des Vorzugs verlustig, uns gegebenenfalls einen Blick
hinter die Ereignisse tun zu lassen und uns über Dinge aufzu¬
Finanz- und Händels-Rundschau.
klären, die der Justiz zunächst verborgen bleiben. Wir sind wäh¬
Wirtschaftsverschlechterung bei der Entente — Englands Finanzlage
rend der ganzen Verhandlung mit den Personen und ihren Aus¬
Unser günstiger Saatenstand — Industrie-Entwicklung bei uns
sagen in gleicher Weise konfrontiert wie der Richter selbst. und
und in Oesterreich-Ungarn.
wenn wir klor sehen und handgreiflich vom Dichter darauf gestoßen
Das für unsere Feinde schwierige Problem des Auskommens
werden, klar zu sehen, dann gehört schon eine ganz besonders
mit den vorhandenen dürftigen Vorräten bis zur neuen Ernte wird
abnorme und minderwertige Spezies von Richter dazu wenn er
seinerseits nicht klar sieht oder nicht klar sehen will Der Unter¬
von Woche zu Woche kritischer, nachdem aus den Hauptversorgungs¬
suchungsrichter bei Wildgans gebört zu den Juristen, die, wenn
ländern, Kanada und Argentinien, fortgesetzt ungünstige Ernte¬
sie nichts herausverhören können, das Nötige hineinverhören; und
meldungen gekabelt werden. Nach Weizen soll nunmehr auch Mais
es ist sicherlich nicht ohne Spannung, wenn er schließlich den ent¬
bedroht sein und die neue Ernte hierin zur Ausfuhr nach Europa so
lassenen Zuchthäusler Anton Gschmeidler dazu bringt, gegen sich
viel wie nichts übrig lassen. England gibt seine Missernte infolge
selber zu zeugen und einzugestehen, daß er den Angriff auf seine
unerwarteter Dürre zu. Von Frankreich wird der grosse Einfuhrbedarf
Wirtin, die zugleich seine Peinigerin ist, nur deshalb gemacht habe
von 45 Millionen Meterzentnern an der unentbehrlichen Brotfrucht
um wieder ins Zuchthaus zurückeukommen. Außerdem ist das
angefordert. Hunger als ungünstiger Kriegsfaktor bei
der Entente ist also keineswegs mehr Phantom! Alles was damit
zusammenhängt, beherrscht vollkommen das öffentliche Wirtschaftsleben
unserer Feinde. In Paris hatten die Abgeordneten Besprechungen
kleine Stück reich an ausgezeichnet beobachteten Volkstypen, wie
mit Ministern wegen der vielen Zwischenfälle, hervorgerufen durch
g. B. der Schenkkellner Kritzenberger und seine Geliebte, die ehe¬
die übertriebenen Preissteigerungen und Spekulationen in Lebensmitteln.
malige Prostituierte Marie Dworack, in deren beider Verhältnis
Im britischen Unterhaus wird die Verteuerung des Tagesbedarfes,
die Justiz ebenfalls mit unbarmherziger Hand hineinleuchtet. Das
besonders in Margarine, Zucker und vor allem in Gemüse zugegeben.
letzte Wort der christlichen Milde fällt den jüdischen Protokollisten
Der englische König hat in einem Aufruf an das Volk eine neue
zu, und eine geschenkte Zigarre wird das Symbol der allgemeinen
Menschenliebe. Diese letzte, halbstumme Szene ist von großer
Mahnung, Lebensmittel zu sparen, erlassen, „um die Piraterie der
Feinde zuschanden zu machen.“ Eine amtliche Schätzung der
Wirkung. Das kleine Stück fand unter der Leitung von Max
Montor eine Aufführun die zu dem Allerbesten gehört, was
amerikanischen Regierung gibt den Ausfall an Winterweizen mit
wir in letzter Zeit überhau#t im Deutschen Schauspielhaus gesehen
115 Millionen Bushels an und berechnet für die diesjährige Winter¬
haben. Montor selbst spielte den Richter mit feinem Takt und
weizenernte mit 73,2% eines normalen Ergebnisses die niedrigste
dämpfte einige Auswüchse der Charakteristik sehr geschickt. Herr
Ziffer seit dem Jahre 1888. Bezeichnend für diese britischen Schwierig¬
Wlach gab den Protokollführer ausgezeichnet; er war in der Ver¬
keiten ist u. a. die Unterdrückung aller Angaben über die Lebens¬
handlung ganz Auge, er schmolz förmlich in Mitgefühl, und auch
mitteleinfuhr in dem veröffentlichten Aprilhandelsausweis, der übrigens
für die letzte Szene fand er das richtige, etwas ins Grotesle hin¬
gegenüber 1916 gewaltige Rückgänge im Import der Rohmaterialien
übersvielende Pathos. Köstlich waren ferner Herr Lang und
für die englische Industrie ergibt. Bei den Verhandlungen im britischen
Frl. Bauer als zwei Wiener Volkstypen. Eine Meisterleistung
Unterhaus wurden die Abgeordneten vom Schatzkanzler Bonar Law
war aber vor allem der Gschmeidler des Herrn Kobler, der in
hinsichtlich Englands schlechter Finanzlage damit getröstet,
schlichtester Art wirklich ergreifende Menschlichkeit bot.
dass die Finanzgestaltung in Deutschland noch viel schlimmer sei.
Begreiflicherweise war es Genanntem nicht möglich, irgendwelche
Das Schnitzlersche Stück Komtesse Mizzi“ ist für Ham¬
Rolowo für dieen Dhantosicl
burg keine Neuheit mehr. Es gehört zu den gewagtesten, aber auch
zu den graziösesten Stücken des Wiener Dramatikers, und das
wahre Wesen der Kaiserstadt an der Donau spiegelt sich in den ver¬
zwickten Situationen dieses Familientags auf das schalkhafteste
wider. Die gestrige Aufführung litt unter dem Übelstande, daß die
Rolle des Fürsten Egon von Ravenstein, des aristokratischen un¬
ebelichen Vaters, mit Herrn Wagner falsch besetzt war. Er
erschien in einer unmöglichen Maske, sprach einen unmöglichen Ton¬
fall und brachte das schier unverwüstliche Stück beinahe um seine
Wirkung. Herr Lang war ein etwas zu junger, sonst aber sehr
fescher Graf Pasmandy, und bei der Komtesse Mrzzi von Frau
Serda vermißten wir einige ironische Glanzlichter. Herr
Balder gab den gemeinschaftlichen Filius Philipp mit glücklichem
Humor, aber mit einem leichten Altersanflug. Sehr glucklich war
r#ieder Frl. Bauer als die glücklich in den Hafen der burgerlichen
he einlaufende Lolo Langhuber.
Gegenüber diesen beiden Stücken fällt der Einakter von