II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 291

10 n.
Beun.
wird
Akademietheater. Zwei Jahrzehnte des Bestandes
aus¬
haben auf Artur Schnitzlers „Komiesse Mitzi“
starke Spuren hinterlassen. Was seinerzeit eine immerhin
ller.
ganz gegenwärtige Impression gewesen ist, hat sich zu einem
ein,
Genrebild gewandelt, dessen vormalige Gestalten, Repräsen¬
tanten einer uns schon abgerückten Zeit, die Darsteller des
19,
Burgtheaters von dem Altersüberzug nach Möglichkeit zu
befreien suchten. Daß dies nur teilweise durch die flotte
ahn,
Dialogführung gelingen konnte, ist nicht ihre Schuld. In
stra.
den Beifall teilten sich Rosa Albach=Retty, deren
heit
emanzipierte Ueberlegenheit einen kontrastierenden Partner
in Willi Thallers naiv=besorgtem Vater fand, Wolf
Albach mit seiner frisch=kecken Grünschnabelart, Lotte
Medelsky, Max Devrient und Ferdinand Mayer¬
hofer, dessen Fiaker auf offener Szene Beifall fand, schließlich
dem
auch die Träger der kleineren Rollen. Als zweiter Einakter
len
gelangte „Das Veilchen“ von Franz Molnar zur Auf¬
see)
führung und gab besonders Franz Höbling als Theater¬
am
direktor reichlich Gelegenheit zur Entfaltung seines Humors.
und
Weniger wußte Wilhelm Heim mit seiner Rolle anzufangen.
if
Von den mitwirkenden Damen, Albach=Retty, Gerda
Dreger, Gisela Wilke und Marie Trentin, fällt es
ste).
schwer, zu sagen, wer den Ton der Schmiere des Lebens
ter¬
besser traf; Alma Seidler hatte sich ein in Sprache und
und
Gebärde ganz entzückend naivtalentiert=talentloses Chormädel
rn¬
zurechtgelegt, das besonderen Beifall fand. Auch der
Direktionsdiener des Herrn Arndt, grobschnauzig gegenüber
die
den Parteien und auch in seinem sonstigen Gehaben der
Typus des altösterreichischen Amtsdieners, trug Erkleckliches
Die
bei, der niedlichen, aber stark auf äußerliche Effekte gestellten
et:
Komödie wieder zum Erfolg zu verhelfen.
O. K.
Freies Theater. Am Samstag ¼11 Uhr abends findet
z im Löwenkino (Löwengasse Nr. 33) die Erstaufführung
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bis 3 S im
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Tod
los billig bei Kann u. Fried, VI. Linke Wienzeile 40, im Hofe.
(Große Diebstähle in St. Marx.) Die Produktivgesell¬
ers¬
schaft der Wiener Fleischselcher in St. Marx zeigte dem
irchs
Kommis#iat Landstraße an, daß in ihrem Betriebe in der
#urs,
letzten Zeit namhafte Abgänge festgestellt worden seien. Es
und wurde ermittelt, daß die Diebstähle von einigen im Kühl¬
zurs, raume und im Expedit beschäftigten Arbeitern, Chauffeuren
ger= und Mitfahrern verübt worden sind. Einzelne Angestellte
oßer trugen aus dem Kühlraum fast täglich drei Kilogramm Fleisch
Uhr, fort, indem sie das Fleisch auf dem Leibe verbargen. Die mit
#lo“ der Lieferung an Kunden betrauten Chauffeure und Mit¬
saal,
lks, fahrer verstanden es manchmal, ganze Kisten mit Rollschinken
com= und Fleisch sowie Schmalz aus den Lagerräumen auf die
Zahl= Autos zu verladen. Die Waren wurden dann entweder selbst
ches verwendet oder an Gastwirte und Fleischselcher zu billigen
setzte Preisen verkauft. Die Diebstähle erstreckten sich auf einem
zeues Zeitraum von etwa zwei Jahren. Die Produktivgesellschaft be¬
ein, ziffert den Schaden auf einige zehntausend Schilling. Vierzehn
neut Beteiligte an den Diebstählen wurden der Staatsanwaltschaft
ern.angezeigt. Dem Landesgerichte eingeliefert wurden der Fleisch¬
ktion
schen
selchergehilfe August Erber, Sonnwendgasse 24; der
Gelei
Chauffeur Ludwig Ciavalla, Wallensteinstraße 42; der
bei
Mitfahrer Johann Boubek, Simmeringer Hauptstraße 1;
im
der Selchergehilfe Karl Ramler, Apostelgasse 17, und der
Vor¬
Selchergehilfe Josef Chlud, Juchgasse 32.
cher
(Der Selbstmord einer Krankenpflegerin.) Wir werden um
tuts, die Feststellung ersucht, daß der reguläre Gehalt einer Kranken¬
inder
pflegerin nebst Kost und Quartier 55 Sch. monatlich beträgt
sern.)
der dann bis zu 60 Sch. steigt.
to¬
chule
(Lebensmüde.) In einem Hotel auf der Landstraße wurde
#essor
gestern der Kaufmann Josef Casalini aus Pola erschossen
er die
aufgefunden. In einem Abschiedsbriefe bezeichnete er schlechten
Geschäftsgang und den Verlust eines Betrages von
ter=5600 Reichsmark als Ursachen der Tat. — Der Gemischtwaren¬
izösi= händler Emil Teichmann hat sich gestern wegen schlechten
Geschäftsganges mit Leuchtgas vergiftet.
kt 6),
Die Handels¬
ings= angestelltengattin Anna Ratzer, Steingasse 26, die sich aus
Furcht vor einer Operation schon Montag aus dem dritten
Er= Stock auf die Straße stürzen wollte, ist in die Donau
Uhr,
gesprungen und konnte nur als Leiche geborgen werden. —
im
Die Hilfsarbeiterin Mathilde S., Ramperstoeffergasse wohn¬
scher
haft, versuchte sich mit Leuchtgas zu vergiften.
ntieur
Theafer und Kunst.
ing,
Wien
Akademietheater.
zum
ufs¬
Zum erstenmal: „Komtesse Mizzi“ von Artur
k,
3
Schnitzler. — „Veilchen“ von Franz Molnar.
eruf,
rufs¬
Eine wundersame Mahnung Spinozas lauter: „Nicht
Be= weinen, nicht klagen, auch nicht verabscheuen und hassen, sondern
rlin: begreifen.“ Begreifen nicht allein mit dem Verstande, sondern
schaft
auch mit dem Herzen. Ein Dichter, der nicht bloß Artist ist,
ster¬
sondern auch fühlt, befolgt diese Mahnung instinktiv. Das ist
Uhr:
auch bei Schnitzler in seiner Komödie „Komtesse Mizzi“
Istav
der Fall.
Als sie vor Jahren zum erstenmal im Deutschen Volks¬
theater erschien, wurde sie nicht recht begriffen. Moralische
Splitterrichter runzelten über ihre Unsittlichkeit finster die
Stirnen. Lokalpatrioten erblickten darin eine boshafte Blo߬
stellung der Wiener Aristokratie. Man denke: eine Komtesse,
die einen verheirateten Freund ihres Vaters liebt und sich ihm
hingibt. Die Mutter wird! Die sich vor der Welt als Mutter
ihres Kindes bekennen will! Die von dem Kinde und dem
Geliebten, der Fürst und Herrenhausmitglied ist, sich lesreißt,
als dieser feige davor zurückschreckt, vor der Oeffentlichkeit die
volle Verantwortung seiner Tat zu übernehmen. Welche Fülle
von Ungeheuerlichkeiten!
Heute urteilt man anders darüber. Wie fein ist der Kunst¬
griff des Dichters in dem Aufbau des kleinen Stückes! All
das Grelle und Anstößige ist in die Vorgeschichte verlegt. Die
Vergangenheit mit ihrer Glut, mit ihrer Leidenschaft, mit
ihrem Jammer und ihrer Verzweiflung summt als wehmütige
Erinnerung aus weiter Ferne in die Gegenwart hinein. Und
was damals Fluch schien, ist jetzt zum Segen gediehen.
Da steht plötzlich vor der Mutter ihr Kind: ein blühender
Jüngling. Der Vater, der ihn adoptierte, hat ihn gebracht.
Eine Szene ohne Pathetik, ohne Sentimentalität und dabei