II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 76

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Die Insassinnen der beiden Logen stopfen sich gewaltsam ihr
tTaschentücher in den Mund. .. Treßler (auf der Bühne fortfahrend):
und uns einbilden, daß wir nun nicht mehr miteinander
zum Fenster hinausschauen und nicht mehr in unseren Alleen
herumspazieren können? ... Weil unsere Erdbeeren jenseits des
Gitters wachsen —?“
Die Insassen der beiden Logen verlassen fluchtartig ihre Sitze an
den Logenbrüstungen... Wir brauchen diese Damen unseren Lesern
nicht mehr vorzustellen. Es waren Teilnehmerinnen jener eingangs er¬
wähnten Salondiskussion über Ehescheidungen — jenes Gesprächs, in welchem
Herr Otto Treßler ob seiner freien Anschauungen Aufsehen erregt, ob seiner
blühenden Bilder und seiner fließenden Sprache als Causeur die Sieges¬
palme davongetragen hatte. Und nun waren die Damen darauf gekommen,
daß der famose Komiker sie ganz gewöhnlich — beschwindelt, daß er
lihnen (da man gerade von Ehescheidungen sprach) einfach in der Diskussion
seine Rolle aus dem Schnitzlerschen „Zwischenspiel“ hergesagt hatte, die
er bereits auswendig kannte.
Es läßt sich denken, daß Herrn Treßler die schließliche Wirkung
seiner oratorischen „Leistung“ nicht unbekannt blieb. Er will aber die
Gesellschaft revanchteren, indem er sich demnächst ausschließlich für Salon¬
zwecke von einem hervorragenden Dichter eigens eine „Konversationsrolle“
über irgend ein aktuelles Thema (zum Beispiel die ungarische Krise) schreiben
läßt
Im Burgtheater hat man, wie bekannt, der szenischen Ausstattung des
„Zwischenspiel“ große Aufmerksamkeit zugewendet. Schnitzler läßt alle drei
Akte in ein und demselben Salon spielen — um so interessanter mußte
dieser Schauplatz gestaltet werden. Architekt Urban komponierte nun
einen modernen Salon von so jungem Geschmack, daß wir uns auch
Richard Strauß nicht in einem neueren, jüngeren Musiksalon denken könnten.
Besonders bemerkenswert ist die Beleuchtung dieses Salons: Zum ersten
Male wurde die Szene tatsächlich nur von den Beleuchtungs¬
törpern erhellt, die das Publikum sieht. Die Soffittenbeleuchtung
war vollkommen ausgeschaltet und das Rampenlicht beinahe. Man weiß
doch, daß sonst die auf die Bühne gebrachten Beleuchtungsgegenstände
immer nur die Rolle von Schauspielern spielen. Zum Beispiel: Die
Kammerzofe erscheint und entzundet eine Lampe des Zimmers. Sofort
erhellt sich die ganze Bühne. Natürlich nicht durch diese eine Lampe der
Zofe, sondern der Beleuchtungsinspizient hatte in diesem Moment die
Soffitten und Rampenlichter eingeschaltet. Nun wurde im Burgtheater zum
ersten Male mit der Lichtkomödte geb rochen. Alles sollte Wahrheit, Natur
Bein in diesem modernen Salon. Die Luster (gruppenartig herabhängende
Glühlampen) sollten nicht mehr Komödianten, sondern tatsächlich die
einzigen Lichtspender sein, wie in einem wirklichen Salon.
Schnitzlers „Zwischenspiel“ ist im Burgtheater schnell auf die
Schönthansche Nooität „Klei Dorrit“ gefolgt. Die Darsteiler freuen
sich dieses Stückes, das ihnen so dankbare Rollen bietet. Es reizt sie, das
Publikm so leicht weinen und lachen machen zu können. Merkwürdiger¬
weise nahm die Liebesszene Klein Dorrit=Clennam im dritten Akt bei
den letzten Aufführungen mehr Zeit in Anspruch als früher, während sich
doch sonst die Spielzeit der Stucke verringert, je öfter sie gegeben werden.
Bei der ersten Aufführung ging die erwähnte Liebesszene buchgemäß vor
sich: Im Foyer des Hotel Brighton trat Clennam=Reimers auf
Klein Dorrit=Retty zu und sagte ihr:
Clennam=Reimers: Ich habe damals, als ich Ihren Vater
befreite und Sie mir voll Dankbarkeit die Hand küßten, den einen
Wunsch gehabt, diese Ihre Lippen auch einmal auf meinem Mund zu
fühlen!
Klein Dorrii=Retty: Gut, aber nur aus aufrichtiger Hoch¬
achtung und Dankbarkeit!
(Klein Dorrit dreht sich um, bietet Herrn Clennam ihren Mund
freiwillig dar, und er küßt sie.)
In diesem Momente hört man auch schon die Stimme des Hotel¬
aufwärters (Herr Witte), der, die Küssenden überraschend, den
Prinzen Henry Edward (Herr Hartmann) einführt und ausruft:
„Butte, königliche Hoheit, nur einzutreten!“
(Die Küssenden fahren in größter Verlegenheit auseinander.)
Auf diese Art schreibt das Buch die Ueberraschung bei der Kußszene
vor. Bei der ersten Aufführung wurden Frau Retty und Herr Reimers
vorschriftsmäßig beim ersten Kusse überrascht. Bei der zweiten Aufführung
schaute sich Frau Retty nach dem ersten Kusse um — vergeblich! Es
kamen weder der Hotelaufwärter, noch auch der Prinz, um sie zu über¬
fraschen. Was blieb der tugendhaften kleinen Dorrit über? Sie gab —
blos um die Zeit auszufüllen — ihrem Partner noch einen Kuß. Sofort
serschienen dann der Aufwärter und der Prinz. Es kam zur dritten Auf¬
führung, und wieder verspäteten sich die Herren Witte und Hartmann mit
der ihnen aufgetragenen Ueberraschungsmission. Klein Dorrit mußte ihren
Wohltäter Clennam sogar dreimal mit ihren Lippen beglücken — wieder
nur, um über die Wartezeit hinwegzukommen.
Aber Klein Dorrit ist tugendhaft. Als bei der vierten Aufführung
sogar vier Dankbarkeitsprämien für Clennam abfallen mußten, da sand
Frau Retty diesen Lohn selbst einem so edlen Wohltäter gegenüber für
übertrieben, und sie heklagte sich daruber, daß der Hotelauswärter¬
Witte und der Prinz=Hartmann ihr Auftreien immer versäumen
Tie heim
Regisseur des Stückes, Herrn Hartmann. Der lachte aber laut auf.
Denn niemand anderer als Prinz Heury Edward=Hartmann war
an den Versäumnissen schuld. Er hatte sie herbeigeführt, denn er stand
an der Spitze eines Komplottes von Damen und Herren des Burg¬
theaters, das Klein Dorrit=Retty zwingen wollte, Herrn Clennam
mehr Küsse zu geben, als selbst Dickens und Schönthan zusammen vor¬
schreiben...
Während das Burgtheater eifrig Novitäten herausbringt, arbeitek
man im Hofoperntheater füc die bevorstehende Mozart=Feier.
Mahler und die Künstler sitzen tagelang in den Klavierzimmern. Es ist
bereits bekannt, wie die Hofoper den Unsterblichen feiern wird: Durch
Neustudierung und Neuausstattung seiner Hauptwerke. Hans Richter
hätte sich vielleicht mit einer viel einfacheren Mozart=Feier begnügt. Ein
Mozart=Verehrer durch und durch, der als Dirigent beispielsweise keine
„Don Juan“=Aufführung ausließ, und E. T. A. Hoffmann hauptsäch¬
lich deshalb so liebte, weil er in seinen „Phantasiestücken“ so herrlich und
begeistert über „Don Juan“ geschrieben hat, äußerte Richter vor
allem den einen Wunsch: daß aus Anlaß irgend einer Mozart=Feier
wenigstens eine einzige Aenderung im „Don Juan“=Text der Hofoper
vorgenommen werde. Es sei dies die Stelle im ersten Duett des zweiten
Aktes (Don Juan=Leporello), da ersterer dem Partner nicht weniger als
fünfmal zuruft:
„Alberner Wicht!“
Wohlgemerkt: Mit dem Akzent auf der zweiten Silbe von
„albern“, denn mit der Betonung auf der ersten Silbe ging es rhythmisch
nie aus. O ... diese „alberne“ Stelle ärgerte Hans Richter immer:
sie „stierte“ es ihm geradezu, wie er sagte. Diese Stelle sollte also ge¬
legentlich eines Jubiläums, feierlich aus der Welt geschafft werden.
Und dann hatte Richier noch einen Jubiläumswunsch: So oft er
an Tilgners Mozart=Denkmal nächst der Hofoper vorüberging, ärgerte es,
ihn ganz gewaltig, daß unter den musikalischen Ornamenten zu Füßen des
Heroen ein Horn mit Ventilen und Zylindern sich befindet, während es¬
doch zur Zeit Mozarts bloß Naturhörner gegeben hat — ohne Tonlöcher.:
Solch ein furchtbarer Anachronismus mußte einen ehemaligen Hornisten
wie Hans Richter ganz besonders kränken und er wünschte sich für irgend
ein Mozart=Jubiläum die Ekrasierung des modernen Ventilinstrumentes
und dessen Ersetzung durch ein einfaches Mozartsches Waldhorn.
Den ersten Jubiläumswunsch Richters erfüllt nunmehr Gustavt
Mahler aus eigenem Antrieb: Er ersetzt die sonst so guten alten Text¬
verse Max Kalbecks durch noch bessere neue Verse desselben Kalbeck. Was
aber das Naturhorn zu Füßen des Monuments betrifft, so wird Hans¬
Richter diese Mozart=Ehrung wohl schon der nächsten Generation über¬
lassen müssen, die den zweihundertjährigen Mozart feiern wird.
F. St. 1