II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 77

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20. Zuischenspiel
sich um „Uraufführungen“, kurzum, man will wieder ein
Faktor im Theaterleben sein. Es wird vielleicht da und dort
mehr getan, als gut ist.
0 Seuilleton.
Das Burgtheater, dessen vornehme Zurückhaltung
ihm früher zum Schaden gereichte steht jetzt plötzlich bei der
Wiener Theater=Brief.
Novitätenjagd in erster Linie. Jeder Monat bringt zwei
(Wien als Theaterstadt. — Wien und Berlin. — Novitäten¬
bis drei Premieren. Wie es sich für eine Hofbühne schickt,
die auch Komtessentheater sein muß, wird jedem literarischen:
Schnitzlers „Zwischenspiel“. — „Der Rosentempler“
jagd. —
Stück ein unliterarisches oder sagen wir: ein Publikumsstück
von Lothar. — Strindbergs „Kameraden“. — Vollmöllers
vorauf= oder nachgeschickt. So hat min die Reihe der Pre¬
Giulia“.)
mieren mit einem merkwürdig platten, philosophisch ange¬
Ein Wort, das vor Jahren Flügel bekam, besagte: „Wien
hauchten Kostümstück des französischen Parlamentariers
war eine Theaterstadt". Es stammte von einem mehr drei¬
Clemenceau „Der Schleier des Glücks“ eröffnet, schloß
sten als überzeugungstreuen Kritiker und sollte sich noch spä¬
daran eine geschickte Blufferkomödie von Hervien, „Das
#ter an ihm selbst rächen. Der Mann wurde Direktor zweier
Rätsel“ und brachte dann Klein Dorrit“ von Schönthan
Bühnen, und nun konnten bösartige Widersacher behaupten,
ein aus dem Roman von Dickens geschnittenes, weinerliches
daß er auch seinerseits den Beweis dafür ebracht habe, daß
Schauspiel. Nun durfte man sich erlauben, den seit Jahren
Wien eine Theaterstadt ... war. Doch#ter dem Plakat¬
vom Burgtheater verbannten A#cuiler aufzu¬
stil jenes Ausspruches barg sich auch viel intime Wahrheit.
fuhren. „Zwischenspiel he#Komödie.
Berlin hatte die Führung auch auf theatralischem Gebiete
Sie ist geistvoll, wie alles von Schnitzler, aber sie ist darum
gobert, und da man in Oesterreich gern um eine Idee zu¬
noch nicht gut. Es ist eine dialektisch überspitz geführte Ge¬
rück ist, machte sich bald der Rückschlag auf die Bühnen be¬
schichte von einem genialen Musiker und seiner Frau, die sich
merkbar. Man bezog in Wien alles aus zweiter Hand; man
ehelich ausgelebt haben. Plötzlich kommt es zu einem Zwi¬
geriet in eine Abhängigkeit, die man noch heute nicht ganz
schenspiel; sie haben sich in einer Nacht wiedergefunden, und
los ist. Die Wiener Theater hielten mit den neuen Forde¬
rungen auf künstlerschem und literarischem Gebiet nicht glei=der Mann glaubt nun an einen neuen Liebesfrühling. Sie
chen Schritt. Die Star=Wirtschaft blühte fort, der Begriff aber verläßt ihn; sie geht, wie Nora, ihren Weg weiter,
allein oder mit einem anderen. Kein Zweiter schreibt derzeit
Ensemble“ hatte nur leere Bedeutung, und der Regisseur
einen so geistreichen Dialog wie Schnitzler, aber er will
zählte überhaupt nicht mit. Anderseits war von einer Pflege
immer Seelenanalysen bieten, versteigt sich in Abstraktionen
dessen, was wir Literatur nennen, keine Rede; man zog die
und wirkt dann ernüchternd. Nur eine so wahrhaft blen¬
„leichte Unterhaltung“ vor und nur widerwillig ließ man sich
dende Darstellung, wie sie das Burgtheater, allen voran
bestimmen auch hie und da jenen sonderbaren Schwärmern
Kainz, ins Treffen führen konnte, vermochte das Stück ###
einen Tribut zu zollen, die sich gegen Blumenthal Philippi
halten.
und Schönthan auflehnten. Das mußte, wie überall, mit der

Zeit sich ändern. Man horcht hier sehr auf die Stimmen
aus den literarischen Kulturzentren Deutschlands; da sickerte
es also schließlich durch, daß es in Berlin Schauspieler gibt,
die sich nur als Diener des Dichtwerks betrachten, daß man
auch mit „modernen Stücken“ ein Publikum ins Theater
locken kann.
Vollends zur Ueberzeugung aber gelangte man als vor
einigen Jahren die Gastspiele Berliner Kunstler und Theater
eine ständige Erscheinung der Wiener Frühjahrssaison wur¬
den. Man sah und staunte: das „Ensemblespiel“ war etwas
Neues; auch lernte man Stücke kennen, deren Existenz die
Wiener Theaterdirektoren dem Publikum vorentyalten hatten.
Und so kam es, wie es kommen mußte: die Jugend pochte an
den Toren der Theater, und es wurde ihr schließlich aufgetan.
Nun ist es bei einem künstlerisch so fein empfindenden Publi¬
kum, wie dem Wienerischen, das in der Tradition und Kultur
groß geworden, begreiflich, daß es von den Berliner Er¬
rungenschaften nur das akzeptierte, was im Wesen der Dinge
liegt; den Willen zur Kunst hatte man hier immer tiefinner¬
lich gespürt, blieb also die Kunst als Kunst. Für falsche
Worte, für Amerikanismen, ist auf die Dauer in Wien kein
Boden. Man hat hier bald sehr klar erkannt was unser
Reichtum sei und was den Berlinern mangelt: die Ueberfülle
künstlerischer Temperamente ist unser, der leitende Geist, die
Disziplinierung der Materie, gehört ihnen. Hatte man das
aber einmal herausgefunden, so war es leicht, wieder aufzu¬
bauen. Und. es geschieht: vom Burgtheater angefangen bis
zur kleinsten Bühne wird nun sorgsam gearbeitet: bald mit
mehr, bald mit weniger Erfolg, aber die Tatsache besteht.
Auch literarische Experimente werden gemacht, man bemühte.