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20. Zuischenspiel
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gWiener Theaterbrief.
Wien als Theaterstadt. — Wien und Berlin.
Ncvitätenjagd. —
Schnitzlers „Zwischenspiel“
[Der Rosentemple
ar.
Strindbergs
„Kameraden“. — Vollmöllers „Giulia“.
Aus Wien wird uns geschrieben:
Ein Wort, das vor Jahren Flügel bekam, besagte: „Wien war
eine Theaterstadt". Es stammte von einem mehr dreisten als über¬
zeugungstreuen Kritiker und sollte sich noch später an ihm selbst
rächen. Der Mann wurde Direktor zweier Bühnen, und nun konnten
bösartige Widersacher behaupten, daß er auch seinerseits den Beweis
dafür erbracht habe, daß Wien eine Theaterstadt war. Doch hinter
dem Plakatstil jenes Ausspruches barg sich auch viel intime Wahrheit.
Berlin hatte die Führung auch auf theatralischen Gebiet erobert, und
da man in Oesterreich gern um eine Idee z rück ist, machte sich
Jald der Rückschlag auf die Bühnen bemerkbar. Man bezog in Wien
alles aus zweiter Hand; man geriet in eine Abhängigkeit, die man
heute noch nicht ganz los ist. Die Wiener Theater hielten mit den
neuen Forderungen auf künstlerischem und literarischem Gebiet nicht
gleichen Schritt. Die Star=Wirtschaft blühte fort, der Begriff „Ensemble“.
hatte nur leere Bedeutung, und der Regisseur zählte überhaupt nicht
mit. Andererseits war von einer Pflege dessen, was wir Literatur
nennen, keine Rede; man zog die „leichte Unterhaltung“ vor, und nur
widerwillig ließ man sich bestimmen, auch hie und da jenen sonder¬
baren Schwärmern einen Tribut zu zollen, die sich gegen Blumenthal,
Philippi und Schönthan auflehnten. Das mußte, wie überall, mit der
Zeit sich ändern. Man horcht hier sehr auf die Stimmen aus den
literarischen Kulturzentren Deutschlands; da sickerte es also schließlich
durch, daß es in Berlin Schauspieler gibt, die sich nur als Diener des
Dichtwerkes betrachten, daß man auch mit „modernen Stücken“ ein
Publikum ins Theater locken kann.
Vollends zur Ueberzeugung aber gelangte man, als vor einigen
Jahren die Gastspiele Berliner Künstler und Theater eine ständige Er¬
scheinung der Wiener Frühjahrssaison =wurden. Man sah und staunte:
das „Ensemblespiel“ war etwas Neues; auch lernte man Stücke kennen,
deren Existenz die Wiener Theaterdirekloren dem Publikum vorent¬
halten hatten. Und so kam es, wie es kommen mußte: die Jugend
pochte an den Toren der Theater, und es wurde ihr schließlich aufgetan.
Nun ist es bei einem künstlerisch so sein empfindenden Publikum wie
dem wienerischen, das in der Tradition und Kultur groß geworden,
begreiflich, daß es
von den Berliner Errungenschaften nur
das akzeptierte, was im Wesen der Dinge liegt: den Willen
zur Kunst hatte man hier immer tiefinnerlich gespürt, blieb also
die Kunst als Kunst. Für falsche Worte, für Amerikanismen ist
auf die Dauer in Wien kein Boden. Man hat hier bald sehr klar
erkannt, was unser Reichtum sei und was den Berlinern mangelt: die
Ueberfülle künstlerischer Temperamente ist unser, der leitende Geist, die
Disziplinierung der Materie, gehört ihnen. Hatte man das aber ein¬
imal herausgefunden, so war es leicht, wieder aufzubauen. Und es ge¬
schieht: vom Burgtheater angefangen bis zur kleinsten Bühne wird 1
nun sorgsam gearbeitet; bald mit mehr, bald mit weniger Erfolg, aber
die Tatsache besteht. Auch literarische Experimente werden gemacht,
man bemühte sich um „Uraufführungen“, kurzum, man will wieder ein
Faktor im Theaterleben sein. Es wird vielleicht da und dort mehr
getan, als gut ist.
Das Burgtheater, dessen vornehme Zurückhaltung ihm früher
zum Schaden gereichte, steht jetzt plötzlich bei der Novitätenjagd in
erster Linie Jeder Monat bringt zwei bis drei Premieren. Wie es
sich für eine Hofbühne schickt, die auch Komtessentheater sein muß, wird
jedem literarischen Stück ein uuliterarisches oder sagen wir: ein Publikums¬
stück vorauf= oder nachgeschickt. So hat man die Reihe der Premieren
mit einem merkwürdig glatten, philosophisch angehauchten Kostümstück
des französischen Parlamentariers Clemenceau „Der Schleier des
Glücks“ eröffnet, schloß daran eine geschickte Blufferkomödie von
Hervieu „Das Rätsel“ und brachte dann „Klein Dorrit“ von
Schöntyan, ein aus dem Roman von Dickens geschnittenes, weiner¬
liches Schauspiel. Nun durfte man sich erlauben, den seit Jahren
vom Burgtheater verbannten Artur Schnitzler aufzuführen.
„Zwischensviel“ heißt seim, neue Komödie. Sie ist geistvoll,
wie alles von Schnitzler, aber sie ist darum noch nicht gut. Es ist
eine dialektisch überspitz geführte Geschichte von einem genialen
Musiker und seiner Frau, die sich ehellh ausgelebt haben. Plötzlich kommt
es zu einem Zwischenspiel; sie haben sich # einer Nacht wiehergefunden, und
der Mann glaubt nun an einen neuen Liebesfrühling. Sie aber ver¬
läßt ihn; sie geht, wie Nora, ihren Weg weiter, allein oder mit einem
anderen. Kein zweiter schreibt derzeit einen so geistreichen Dialog
wie Schnitzler, aber er will immer Seelengnalysen bieten, versteigt sich
in Abstraktionen und wirkt dann ernüchteend. Nur eine so wahrhaft
blendende Darstellung, wie sie das Burgtheater, allen voran Kamz,
ins Tressen führen konnte, vermochte das Stück zu halten.
Während man an dieser Bühne den neuen Schnitzler spielte, ging
im Deutschen Volkstheater, wo der aus Berlin herangezogene Regisseur
Ballentin den neuen Kurs darstellt, ein älteres Werk desselben Dichters
„Der grüne Kakadu“ in Szene. Der Erfolg war außerordeutlich groß,
und es zeigt sich, daß auch mit modernen Stücken und Mitteln Ge¬
schäfte zu machen sind. Ibsen hat man schon gespielt, jetzt kommen
Bahrs „Andere“. Wildes „Ern#t sein“ 2c. an die Reihe. Zwischendurch
wird der Galerie, die ja zuweilen auch im Parkett sitzt, ein Brocken
zugeworsen; das geschah mit einem kläglichen, sehr spekulativ gedachten
Freimaurerstück „Der Rosentempler“ von Lothar. Er wurde ausge¬
lachi, verhöhnt. Und nächste Woche folgt der „Schwur der Treue“ von
Blumenthal. Das ist bei einem Familientheater nicht anders.
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gWiener Theaterbrief.
Wien als Theaterstadt. — Wien und Berlin.
Ncvitätenjagd. —
Schnitzlers „Zwischenspiel“
[Der Rosentemple
ar.
Strindbergs
„Kameraden“. — Vollmöllers „Giulia“.
Aus Wien wird uns geschrieben:
Ein Wort, das vor Jahren Flügel bekam, besagte: „Wien war
eine Theaterstadt". Es stammte von einem mehr dreisten als über¬
zeugungstreuen Kritiker und sollte sich noch später an ihm selbst
rächen. Der Mann wurde Direktor zweier Bühnen, und nun konnten
bösartige Widersacher behaupten, daß er auch seinerseits den Beweis
dafür erbracht habe, daß Wien eine Theaterstadt war. Doch hinter
dem Plakatstil jenes Ausspruches barg sich auch viel intime Wahrheit.
Berlin hatte die Führung auch auf theatralischen Gebiet erobert, und
da man in Oesterreich gern um eine Idee z rück ist, machte sich
Jald der Rückschlag auf die Bühnen bemerkbar. Man bezog in Wien
alles aus zweiter Hand; man geriet in eine Abhängigkeit, die man
heute noch nicht ganz los ist. Die Wiener Theater hielten mit den
neuen Forderungen auf künstlerischem und literarischem Gebiet nicht
gleichen Schritt. Die Star=Wirtschaft blühte fort, der Begriff „Ensemble“.
hatte nur leere Bedeutung, und der Regisseur zählte überhaupt nicht
mit. Andererseits war von einer Pflege dessen, was wir Literatur
nennen, keine Rede; man zog die „leichte Unterhaltung“ vor, und nur
widerwillig ließ man sich bestimmen, auch hie und da jenen sonder¬
baren Schwärmern einen Tribut zu zollen, die sich gegen Blumenthal,
Philippi und Schönthan auflehnten. Das mußte, wie überall, mit der
Zeit sich ändern. Man horcht hier sehr auf die Stimmen aus den
literarischen Kulturzentren Deutschlands; da sickerte es also schließlich
durch, daß es in Berlin Schauspieler gibt, die sich nur als Diener des
Dichtwerkes betrachten, daß man auch mit „modernen Stücken“ ein
Publikum ins Theater locken kann.
Vollends zur Ueberzeugung aber gelangte man, als vor einigen
Jahren die Gastspiele Berliner Künstler und Theater eine ständige Er¬
scheinung der Wiener Frühjahrssaison =wurden. Man sah und staunte:
das „Ensemblespiel“ war etwas Neues; auch lernte man Stücke kennen,
deren Existenz die Wiener Theaterdirekloren dem Publikum vorent¬
halten hatten. Und so kam es, wie es kommen mußte: die Jugend
pochte an den Toren der Theater, und es wurde ihr schließlich aufgetan.
Nun ist es bei einem künstlerisch so sein empfindenden Publikum wie
dem wienerischen, das in der Tradition und Kultur groß geworden,
begreiflich, daß es
von den Berliner Errungenschaften nur
das akzeptierte, was im Wesen der Dinge liegt: den Willen
zur Kunst hatte man hier immer tiefinnerlich gespürt, blieb also
die Kunst als Kunst. Für falsche Worte, für Amerikanismen ist
auf die Dauer in Wien kein Boden. Man hat hier bald sehr klar
erkannt, was unser Reichtum sei und was den Berlinern mangelt: die
Ueberfülle künstlerischer Temperamente ist unser, der leitende Geist, die
Disziplinierung der Materie, gehört ihnen. Hatte man das aber ein¬
imal herausgefunden, so war es leicht, wieder aufzubauen. Und es ge¬
schieht: vom Burgtheater angefangen bis zur kleinsten Bühne wird 1
nun sorgsam gearbeitet; bald mit mehr, bald mit weniger Erfolg, aber
die Tatsache besteht. Auch literarische Experimente werden gemacht,
man bemühte sich um „Uraufführungen“, kurzum, man will wieder ein
Faktor im Theaterleben sein. Es wird vielleicht da und dort mehr
getan, als gut ist.
Das Burgtheater, dessen vornehme Zurückhaltung ihm früher
zum Schaden gereichte, steht jetzt plötzlich bei der Novitätenjagd in
erster Linie Jeder Monat bringt zwei bis drei Premieren. Wie es
sich für eine Hofbühne schickt, die auch Komtessentheater sein muß, wird
jedem literarischen Stück ein uuliterarisches oder sagen wir: ein Publikums¬
stück vorauf= oder nachgeschickt. So hat man die Reihe der Premieren
mit einem merkwürdig glatten, philosophisch angehauchten Kostümstück
des französischen Parlamentariers Clemenceau „Der Schleier des
Glücks“ eröffnet, schloß daran eine geschickte Blufferkomödie von
Hervieu „Das Rätsel“ und brachte dann „Klein Dorrit“ von
Schöntyan, ein aus dem Roman von Dickens geschnittenes, weiner¬
liches Schauspiel. Nun durfte man sich erlauben, den seit Jahren
vom Burgtheater verbannten Artur Schnitzler aufzuführen.
„Zwischensviel“ heißt seim, neue Komödie. Sie ist geistvoll,
wie alles von Schnitzler, aber sie ist darum noch nicht gut. Es ist
eine dialektisch überspitz geführte Geschichte von einem genialen
Musiker und seiner Frau, die sich ehellh ausgelebt haben. Plötzlich kommt
es zu einem Zwischenspiel; sie haben sich # einer Nacht wiehergefunden, und
der Mann glaubt nun an einen neuen Liebesfrühling. Sie aber ver¬
läßt ihn; sie geht, wie Nora, ihren Weg weiter, allein oder mit einem
anderen. Kein zweiter schreibt derzeit einen so geistreichen Dialog
wie Schnitzler, aber er will immer Seelengnalysen bieten, versteigt sich
in Abstraktionen und wirkt dann ernüchteend. Nur eine so wahrhaft
blendende Darstellung, wie sie das Burgtheater, allen voran Kamz,
ins Tressen führen konnte, vermochte das Stück zu halten.
Während man an dieser Bühne den neuen Schnitzler spielte, ging
im Deutschen Volkstheater, wo der aus Berlin herangezogene Regisseur
Ballentin den neuen Kurs darstellt, ein älteres Werk desselben Dichters
„Der grüne Kakadu“ in Szene. Der Erfolg war außerordeutlich groß,
und es zeigt sich, daß auch mit modernen Stücken und Mitteln Ge¬
schäfte zu machen sind. Ibsen hat man schon gespielt, jetzt kommen
Bahrs „Andere“. Wildes „Ern#t sein“ 2c. an die Reihe. Zwischendurch
wird der Galerie, die ja zuweilen auch im Parkett sitzt, ein Brocken
zugeworsen; das geschah mit einem kläglichen, sehr spekulativ gedachten
Freimaurerstück „Der Rosentempler“ von Lothar. Er wurde ausge¬
lachi, verhöhnt. Und nächste Woche folgt der „Schwur der Treue“ von
Blumenthal. Das ist bei einem Familientheater nicht anders.
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