20. Zuischensniel
box 25/1
Seelenkunst bleibt die Bühne stets
eine falsche Kulisse. Und je mehr
man ihr abtrotzt, desto klarer ent¬
hüllt sie ihre Unzulänglichkeit.
Ich will daher in meinem Referat
zunächst ganz davon absehen, daß
Schnitzlers Dichtung ein Bühnenstück
sein soll. Ich will mir einreden, sie
sei eine Novelle. Durch sie erfährt
man von den stillen und doch hef¬
tigen Zuckungen, an denen die har¬
monisch begonnene Ehe eines bevor¬
zugten Künstlerpaares wie an inne¬
ren Krämpfen erlischt. Es ist das
wehe und ernste Lied vom Nichtmehr¬
zueinanderkommenkönnen ehemals zu¬
sammengehöriger Naturen; oder auch
die Tragikomödie vom zerreibenden
Widerspruch zwischen Seele und Leib,
zwischen freundschaftlicher und ge¬
schlechtlicher Liebe. Das spielt sich
nirgends im Groben, Unlauteren und
Unfreien ab; das schleicht sich aufs
leiseste, unmerklichste ein= bei Men¬
S Wiener Theatez¬
schen, die gewohnt sind, in der Wahr¬
Die dichterische Entwicklung Ar¬
heit zu leben und ihre gegenseitige
thur Schnitzlers wird immer fei¬
Freiheit voll zu achten. Gerade weil
ner und subrtmer; aber sie führt
sie so sind, wachen sie mit emp¬
auch immer deutlicher von der leben¬
findsamer Eifersucht — nicht etwa
digen naiven Bühne hinweg. Liegt
über dem, was der andere Teil
es daran, daß die Bühne Sublim¬
tut, sondern über dem, was jeder
stes und Feinstes der Dichtung nicht
für sich und mit Bezug auf den
verträgt? Oder vielleicht auch dar¬
anderen innerlich fühlt. So ist
an, daß dichterischer Feinsinn zu
zwischen ihnen nach siebenjähriger
allerhand gewagten Experimenten
Ehe Ermüdung und Unlust einge¬
verleitet, die dem angestammten Cha¬
treten, und hier liegt für sie der
rakter unserer Bühne widersprechen?
Keim zu allem Trivialen, Herab¬
Jedenfalls, als man kürzlich im
ziehenden und im letzten Grunde
Burgtheater Schnitzlers neue Komö¬
Unwahrhaftigen. Sie mögen ihre
die in drei Akten „Zwischenspiel“
Beziehungen, die die Vergangenheit
sah, gewann man den Eindruck, daß
geadelt hat, nicht durch eine zweifel¬
hier die Bühne vom Dichter, zu
hafte Zukunft nachträglich entehren.
Aeußerungsformen gereizt worden
Beide fühlen sich ihrer selbst nicht
sei, die ihrem naiven Wesen fremd
mehr sicher, und somit beschließen
und im Grunde wider ihre Natur
sie, offen und ehrlich auseinander¬
sind. Trotz erlesenster Schauspielkunst
zugehen.
blieb der Gesamteindruck matt. Man
Dieser neue Pakt, den der Wiener
genoß das unsäglich feine und reich¬
Theaterkapellmeister Amadeus Adams
nuancierte Spiel Kainzens und blieb
und seine Frau, die Sängerin Cäcilie
dennoch im menschlich Tiefsten kaum
mehr als vage berührt. Für derlei Adams=Ortenburg, beschließen, soll
Nunstrent 1I3, 1
220
box 25/1
Seelenkunst bleibt die Bühne stets
eine falsche Kulisse. Und je mehr
man ihr abtrotzt, desto klarer ent¬
hüllt sie ihre Unzulänglichkeit.
Ich will daher in meinem Referat
zunächst ganz davon absehen, daß
Schnitzlers Dichtung ein Bühnenstück
sein soll. Ich will mir einreden, sie
sei eine Novelle. Durch sie erfährt
man von den stillen und doch hef¬
tigen Zuckungen, an denen die har¬
monisch begonnene Ehe eines bevor¬
zugten Künstlerpaares wie an inne¬
ren Krämpfen erlischt. Es ist das
wehe und ernste Lied vom Nichtmehr¬
zueinanderkommenkönnen ehemals zu¬
sammengehöriger Naturen; oder auch
die Tragikomödie vom zerreibenden
Widerspruch zwischen Seele und Leib,
zwischen freundschaftlicher und ge¬
schlechtlicher Liebe. Das spielt sich
nirgends im Groben, Unlauteren und
Unfreien ab; das schleicht sich aufs
leiseste, unmerklichste ein= bei Men¬
S Wiener Theatez¬
schen, die gewohnt sind, in der Wahr¬
Die dichterische Entwicklung Ar¬
heit zu leben und ihre gegenseitige
thur Schnitzlers wird immer fei¬
Freiheit voll zu achten. Gerade weil
ner und subrtmer; aber sie führt
sie so sind, wachen sie mit emp¬
auch immer deutlicher von der leben¬
findsamer Eifersucht — nicht etwa
digen naiven Bühne hinweg. Liegt
über dem, was der andere Teil
es daran, daß die Bühne Sublim¬
tut, sondern über dem, was jeder
stes und Feinstes der Dichtung nicht
für sich und mit Bezug auf den
verträgt? Oder vielleicht auch dar¬
anderen innerlich fühlt. So ist
an, daß dichterischer Feinsinn zu
zwischen ihnen nach siebenjähriger
allerhand gewagten Experimenten
Ehe Ermüdung und Unlust einge¬
verleitet, die dem angestammten Cha¬
treten, und hier liegt für sie der
rakter unserer Bühne widersprechen?
Keim zu allem Trivialen, Herab¬
Jedenfalls, als man kürzlich im
ziehenden und im letzten Grunde
Burgtheater Schnitzlers neue Komö¬
Unwahrhaftigen. Sie mögen ihre
die in drei Akten „Zwischenspiel“
Beziehungen, die die Vergangenheit
sah, gewann man den Eindruck, daß
geadelt hat, nicht durch eine zweifel¬
hier die Bühne vom Dichter, zu
hafte Zukunft nachträglich entehren.
Aeußerungsformen gereizt worden
Beide fühlen sich ihrer selbst nicht
sei, die ihrem naiven Wesen fremd
mehr sicher, und somit beschließen
und im Grunde wider ihre Natur
sie, offen und ehrlich auseinander¬
sind. Trotz erlesenster Schauspielkunst
zugehen.
blieb der Gesamteindruck matt. Man
Dieser neue Pakt, den der Wiener
genoß das unsäglich feine und reich¬
Theaterkapellmeister Amadeus Adams
nuancierte Spiel Kainzens und blieb
und seine Frau, die Sängerin Cäcilie
dennoch im menschlich Tiefsten kaum
mehr als vage berührt. Für derlei Adams=Ortenburg, beschließen, soll
Nunstrent 1I3, 1
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