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20. Zuischenspiel
mein Verständnis in der Sphäre seiner Kunst hilllost
herumgeirrt wäre, meine Aesthetik nach Luft ge¬
schnappt hätte, sogar, dass tausend Widerstände in
mir gegen den allzu Neuen sich aufgerichtet und
tausend Abneigungen gegen ihn getobt hätten: Aber ich
kann mir nicht denken, dass ich auch nur eine
Sekunde lang nicht im Innersten die Grösse der Er¬
scheinung gespürt, dass nicht mein Denken und Emp¬
linden aufs allerstärkste alarmiert worden wäre. Das
mag einem auch angesichts der grössten künstlerischen
Potenz passieren, dieses Gefühl: er hat mir nichts
zu sagen. Aber man spürt dabei:.. weil die Distanz
zu gross ist; oder .. weil der Jargon mir fremd ist;
oder weil ich ihn nicht hören will, er geht mir
auf die Nerven. Dass er aber etwas sagt, darüber
bleibt das Empfinden keinen Augenblick im unklaren.
Soweit kann ich mich, einem Künstler vis-à-vis,
mit absoluter Sicherheit auf meinen Instinkt verlassen,
dass mein Gefühl sich niemals ein: -ich bil taub¬
in ein: Er ist stumm- umlügen wird.
Meisterhaft war Kainz im Schnitzlerschen Drama.
Man möchte von einem Nervensystem seiner Rede
sprechen. Er hat Laut-Grimassen und phonetische
Zuckungen, die wie die Uebersetzung eines nervösen,
sehr nuancierten Mienenspiels in Klänge sind. Dabei
ist seine Konversationssprache von Intelligenz durch¬
leuchtet, bis sie förmlich transparent wird, ihre
inneren psychischen ieheimnisse erraten lässt; wie
durch eine zarte Haut, rosig schimmernd, das Hlut
sich verrät. Das Geheimnis der Wirkung liegt aber
nicht in der Intelligenz des Künstlers, sondern in dem
mathematischen Verhältnis zwischen Intelligenz und
Intuition, zwischen Bewusstem und Unbewusstem.
Dies kann als Gesetz schauspielerischer Wirkung golten:
Wenn die Inte-ligenz gleichx ist, so muss die Intuition
mindestens gleich k + 1 sein. Also grösser. Wenn
die intuition, das Unbewusste, beim Schauspieler spärlich
ist, nützt die höchste Intelligenz nichts, weil sie eben nie
selbst schöpferischer Quell, sondern nur ein Korrektivun.,
ein Sieb, besser: ein Filter ist. Was die Intuition
darauf wirft, reinigt der Filter vom Ueberflüssigen,
Rohen, Unzweckmässigen. Aber das Primäre, das
Ueberwiegende, das Wichtigere bleibt die Intuition.
Wird sie von der Intelligenz, weil kleiner als diese,
gedeckt, so stellt sich nie die höchste Wirkung ein; die
Leistung bleibt grau und schmeckt papieren. Während
umgekehrt ein Mangel an Intelligenz dem Komödianten¬
genie noch nie den Weg in die höchsten Sphären
seiner Kunst verlegt hat. Man denke an den Hans
Sachs von Reichmann, der gewiss keine hervorragende
Intelligenz war und doch hier eine Gestalt schuf,
beispiellos in ihrer Innigkeit, Grösse, Schlichtheit und
Tiefe. Bei keinem Künstler so sehr wie beim Schauspieler
liegen schon die Voraussetzungen der Wirkung im
Unbewussten. Timbre der Stimme, der Schritt, Anmut
und Würde der körperlichen Erscheinung, der Blick,
die Gesle: durchaus Hessorts, die weit mehr vom Rücken¬
mark als vom Gehirn bedient werden. Regiewink:
Man müsste einen Schauspieler, der trotz offenkundiger
Intelligenz und Begabung zu keiner rechten Wirkung
kommt, nicht klüger zu machen suchen. Sondern
im Gegenteil: dümmer. Kommentare, theoretische
Studien etc. sind zu verbieten. Die Lektüre der
Gregorischen Schriften kann ohneweiters gestattet
werden.
Telephon 12801.
„OBSERVER‘
I österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeilungs-Aueschnitte
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minnean iie. New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockbe.# # Petersburg.
(Ouallenangabe
Die Warte, München
Ausschnitt aus:
vom
1
Wiener Cheater.
8
Der Oktover hat dem Wiener Theaterpublikum nicht viel Novitäten beschert
und darunter keine, die von einschneidender Wirkung gewesen wäre. — Am 12.
gab man im Burgtheater: Artur Schnitzlers Komödie „Zwischenspiel“;
ein schwer verständliches Stück, in dem=sich-der Anter in allerhand Spitzfindigkeiten
über seelische Erlebnisse und sexuelle Fragen ergeht. Der Inhalt — soweit man ihn
erzählen kann- ist kurz folgender: Der Kapellmeister Amadeus Adams und die
Opernsängerin Cäcilie Ortenburg haben sich vor sieben Jahren geheiratet, teils aus
Liebe, teils weil sie einander brauchen: Amadeus ist Cäciliens Korrepetitor, sie die
beste Interpretin seiner Kompositionen. Bedingung bei der Heirat war, daß die
Gatten einender volle Freiheit lassen, sich aber nie belügen sollten. Jetzt ist der Zeit¬
punk: gekommen, diese Abmachung einzuhalten; denn der Kapellmeister verliebt sich
in eine andere, die Gräfin Moosheim, und nimmt an, seine Frau vergelte ihm
gleiches mit gleichem, da sie sich von einem Fürsten den Hof machen läßt. Cäcilie,
die ihren Mann noch immer liebt, ist zu stolz, um ihn über seinen Irrtum aufzu¬
klären. Trotzdem denkt er nicht an Trennung; er findet es bequemer, das eheliche
Verhältnis einsach in ein kameradschaftliches umzuwandeln und sich so die gemütliche
Häuslichkeit und seinem Knaben die Mutter zu ehalten. Cäcilie unternimmt eine
Gastspielreise, auf der jener Fürst sie begleitet. Als sie heimkehrt, ist ihres Mannes
Liebelei mit der Gräfin bereits zu Ende, und seine Frau, — die als eine andere
wiederkommt, in der das Treiben der großen Welt Abenteuerlust und Sinnlichkeit
ermeckt hat, — erscheint ihm wieder begehrenswert. Er kann sich kein interessanteres
Abenteuer denken als das, die eigene Gattin dem Geliebten, für den er den Fürsten
nach wie vor hält, abspenstig zu machen. Und sie gibt sich ihm hin, wie sie sich in
dem Moment vielleicht auch jedem anderen hingegeben hätte; denn: „Die Erde
scheint mir voll Abenteuer“, gesteht sie, „der Himmel wie von Flammen strahlend,
und mir ist, als sähe ich mich selbst, wie ich mit ausgebreiteten Armen dastehe und
warte". — Am Tage nach der Wiedervereinigung der beiden Gatten verlangt
Cäcilie, in deren Seelenleben sich zurecht zu finden dem Zuschauer recht schwer fällt,
die Scheidung, weil sie fühlt, daß sie jetzt mit den erwachten Sinnen und der in ihr
glühenden Leidenschaft dem Gatten die Treue nicht mehr halten kann, die sie bisher
noch nie gebrochen hat. — Die Darsteller taten, was sie konnten, um dem Publikum
über das Unverständliche und Unlogische in Charakteren und Handlung hinwegzu¬
helfen. Besonders Kainz als Amadeus leistete Großes, und Frl. Witt war als
Cacilie seine würdige Partnerin. Trotzdem war, sich das Publikum nicht ganz klar
darüber, wie es die Komödie aufnehmen sollte.
20. Zuischenspiel
mein Verständnis in der Sphäre seiner Kunst hilllost
herumgeirrt wäre, meine Aesthetik nach Luft ge¬
schnappt hätte, sogar, dass tausend Widerstände in
mir gegen den allzu Neuen sich aufgerichtet und
tausend Abneigungen gegen ihn getobt hätten: Aber ich
kann mir nicht denken, dass ich auch nur eine
Sekunde lang nicht im Innersten die Grösse der Er¬
scheinung gespürt, dass nicht mein Denken und Emp¬
linden aufs allerstärkste alarmiert worden wäre. Das
mag einem auch angesichts der grössten künstlerischen
Potenz passieren, dieses Gefühl: er hat mir nichts
zu sagen. Aber man spürt dabei:.. weil die Distanz
zu gross ist; oder .. weil der Jargon mir fremd ist;
oder weil ich ihn nicht hören will, er geht mir
auf die Nerven. Dass er aber etwas sagt, darüber
bleibt das Empfinden keinen Augenblick im unklaren.
Soweit kann ich mich, einem Künstler vis-à-vis,
mit absoluter Sicherheit auf meinen Instinkt verlassen,
dass mein Gefühl sich niemals ein: -ich bil taub¬
in ein: Er ist stumm- umlügen wird.
Meisterhaft war Kainz im Schnitzlerschen Drama.
Man möchte von einem Nervensystem seiner Rede
sprechen. Er hat Laut-Grimassen und phonetische
Zuckungen, die wie die Uebersetzung eines nervösen,
sehr nuancierten Mienenspiels in Klänge sind. Dabei
ist seine Konversationssprache von Intelligenz durch¬
leuchtet, bis sie förmlich transparent wird, ihre
inneren psychischen ieheimnisse erraten lässt; wie
durch eine zarte Haut, rosig schimmernd, das Hlut
sich verrät. Das Geheimnis der Wirkung liegt aber
nicht in der Intelligenz des Künstlers, sondern in dem
mathematischen Verhältnis zwischen Intelligenz und
Intuition, zwischen Bewusstem und Unbewusstem.
Dies kann als Gesetz schauspielerischer Wirkung golten:
Wenn die Inte-ligenz gleichx ist, so muss die Intuition
mindestens gleich k + 1 sein. Also grösser. Wenn
die intuition, das Unbewusste, beim Schauspieler spärlich
ist, nützt die höchste Intelligenz nichts, weil sie eben nie
selbst schöpferischer Quell, sondern nur ein Korrektivun.,
ein Sieb, besser: ein Filter ist. Was die Intuition
darauf wirft, reinigt der Filter vom Ueberflüssigen,
Rohen, Unzweckmässigen. Aber das Primäre, das
Ueberwiegende, das Wichtigere bleibt die Intuition.
Wird sie von der Intelligenz, weil kleiner als diese,
gedeckt, so stellt sich nie die höchste Wirkung ein; die
Leistung bleibt grau und schmeckt papieren. Während
umgekehrt ein Mangel an Intelligenz dem Komödianten¬
genie noch nie den Weg in die höchsten Sphären
seiner Kunst verlegt hat. Man denke an den Hans
Sachs von Reichmann, der gewiss keine hervorragende
Intelligenz war und doch hier eine Gestalt schuf,
beispiellos in ihrer Innigkeit, Grösse, Schlichtheit und
Tiefe. Bei keinem Künstler so sehr wie beim Schauspieler
liegen schon die Voraussetzungen der Wirkung im
Unbewussten. Timbre der Stimme, der Schritt, Anmut
und Würde der körperlichen Erscheinung, der Blick,
die Gesle: durchaus Hessorts, die weit mehr vom Rücken¬
mark als vom Gehirn bedient werden. Regiewink:
Man müsste einen Schauspieler, der trotz offenkundiger
Intelligenz und Begabung zu keiner rechten Wirkung
kommt, nicht klüger zu machen suchen. Sondern
im Gegenteil: dümmer. Kommentare, theoretische
Studien etc. sind zu verbieten. Die Lektüre der
Gregorischen Schriften kann ohneweiters gestattet
werden.
Telephon 12801.
„OBSERVER‘
I österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeilungs-Aueschnitte
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minnean iie. New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockbe.# # Petersburg.
(Ouallenangabe
Die Warte, München
Ausschnitt aus:
vom
1
Wiener Cheater.
8
Der Oktover hat dem Wiener Theaterpublikum nicht viel Novitäten beschert
und darunter keine, die von einschneidender Wirkung gewesen wäre. — Am 12.
gab man im Burgtheater: Artur Schnitzlers Komödie „Zwischenspiel“;
ein schwer verständliches Stück, in dem=sich-der Anter in allerhand Spitzfindigkeiten
über seelische Erlebnisse und sexuelle Fragen ergeht. Der Inhalt — soweit man ihn
erzählen kann- ist kurz folgender: Der Kapellmeister Amadeus Adams und die
Opernsängerin Cäcilie Ortenburg haben sich vor sieben Jahren geheiratet, teils aus
Liebe, teils weil sie einander brauchen: Amadeus ist Cäciliens Korrepetitor, sie die
beste Interpretin seiner Kompositionen. Bedingung bei der Heirat war, daß die
Gatten einender volle Freiheit lassen, sich aber nie belügen sollten. Jetzt ist der Zeit¬
punk: gekommen, diese Abmachung einzuhalten; denn der Kapellmeister verliebt sich
in eine andere, die Gräfin Moosheim, und nimmt an, seine Frau vergelte ihm
gleiches mit gleichem, da sie sich von einem Fürsten den Hof machen läßt. Cäcilie,
die ihren Mann noch immer liebt, ist zu stolz, um ihn über seinen Irrtum aufzu¬
klären. Trotzdem denkt er nicht an Trennung; er findet es bequemer, das eheliche
Verhältnis einsach in ein kameradschaftliches umzuwandeln und sich so die gemütliche
Häuslichkeit und seinem Knaben die Mutter zu ehalten. Cäcilie unternimmt eine
Gastspielreise, auf der jener Fürst sie begleitet. Als sie heimkehrt, ist ihres Mannes
Liebelei mit der Gräfin bereits zu Ende, und seine Frau, — die als eine andere
wiederkommt, in der das Treiben der großen Welt Abenteuerlust und Sinnlichkeit
ermeckt hat, — erscheint ihm wieder begehrenswert. Er kann sich kein interessanteres
Abenteuer denken als das, die eigene Gattin dem Geliebten, für den er den Fürsten
nach wie vor hält, abspenstig zu machen. Und sie gibt sich ihm hin, wie sie sich in
dem Moment vielleicht auch jedem anderen hingegeben hätte; denn: „Die Erde
scheint mir voll Abenteuer“, gesteht sie, „der Himmel wie von Flammen strahlend,
und mir ist, als sähe ich mich selbst, wie ich mit ausgebreiteten Armen dastehe und
warte". — Am Tage nach der Wiedervereinigung der beiden Gatten verlangt
Cäcilie, in deren Seelenleben sich zurecht zu finden dem Zuschauer recht schwer fällt,
die Scheidung, weil sie fühlt, daß sie jetzt mit den erwachten Sinnen und der in ihr
glühenden Leidenschaft dem Gatten die Treue nicht mehr halten kann, die sie bisher
noch nie gebrochen hat. — Die Darsteller taten, was sie konnten, um dem Publikum
über das Unverständliche und Unlogische in Charakteren und Handlung hinwegzu¬
helfen. Besonders Kainz als Amadeus leistete Großes, und Frl. Witt war als
Cacilie seine würdige Partnerin. Trotzdem war, sich das Publikum nicht ganz klar
darüber, wie es die Komödie aufnehmen sollte.