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20. Zuischensniel
um jeden Preis! ihren vollkommensten grotesken Aus¬
druck gefunden. Aus dem Salon Miethke schallt der Ruf,
daß die Dekoration künftig den Dramatiler beherrschen
wird. Der Wiener Meister Roller, der es tiefflich versteht,
im Opernhause auf eigene Faust Stimmung zu machen,
wird als kühner Neuerer gepriesen. Vor allem: Gar so
neu ist die Vorherrschaft der Dekorat.onen, die Lessing
noch treffend „Verzierungen“ nannte, wahrhaftig nicht.
Haben die Herren nichts von den Prunkopern des
siebzehnten und achtsehnten Jahrhunderts am Wiener
Hofe oder in München gehort, wo die be¬
uhmtesten italienischen Architekten die Szene aufgebaut
und ausgestattet haben? Keine Zeile ist von der Musik
Das Andere.
oder von der Dich ung eines solchen „Teutrale festegiamento“
7 Aesthetische Glossen.
lebendig geblieben. Die Dekorationen hatten alles nieder¬
Arkhur Schnitzlers „Zwischenspiel“ das man die Ko¬
geschlagen. Diese Zeiten also sollen wiederkehren? Ach, so
mödie des Unerwarteten nennen könnte, führt ein herziges
ernst kann's den Leuten nicht sein. Wie kam es nur?
Büblein über die Bühne. Der naive Zuschauer — und
Richard Wagners viel angesochtene Forderung nach Gleich¬
der Zuschauer soll naiv sein — hat das sichere Gefühl,
berechtigung der Bühnenkünste ist in Wien noch lange nicht
daß die Liebe zu dem Söhnchen die brüchige Ehe der
erfüllt. Nicht im entferntesten ist es der Wiener Hofoper
Eltern zusammenhalten werde. Aber auch hier tritt das gelungen, in „Rheingold“ nach dem Bayreuther Vorbild
Unerwartete ein. Das Kind, von der Natur zum Ver= mit beweglichen, kunstvoll dirigierten Dämpfen und in un¬
teidiger des Ehebandes bestellt, hält den Gang der wunder= endlicher Vielfältigkeit abgestuften Wolkenschleiern Stim¬
mung zu erzeugen. Die Aufgabe ist überaus schwierig und
lichen Geschehnisse nicht auf: Ade denn, ihr Lieben, ge¬
in einem täglich beschäftigten Theater kaum zu lösen. Der
schieben muß sein. Das spruchgiltige Urteil, in dem
Reformator Roller geht also an den Schwierigkeiten vorbei
Arthur Schnitzler „das echteste, ehrlichste und am meisten
wienerische unserer jüngeren Talente“ genannt wurde, und sucht das Andere; er setzt sich zu den ausdrücklichen
Vorschriften Richard Wagners in Widerspruch, er hemmt
bleibt aufrecht, wenn auch der Dichter diesmal von dem
die dramatische Entwicklung auf der Bühne und sorgt für
natürlichen Denken und Fühlen, das ihn immer aus¬
zichnete, abgewichen ist. Das Ausbiegen aber in der sein eigenes, gewiß eminent künstlerisches Bühnenbid. Ja,
unsagbar schwer ist es für den bildenden Künstler,
Natürlichkeit und der eigenen Natur, hier nur ein
wagnerisch zu gestalten; wie leicht aber, vom wagnerischen
Zwischenspiel, ist typisch für unsere Zeit, ein Hauptspiel
Geiste abgelöst, anders zu sein! Die ästhetischen Snobs
der Modernen. Was diese suchen, ist immer nur das An¬
rufen Heil! Sie kennen keine Entwicklung, kein sicheres
dere. Der Grundsatz der modernen Aesthetik lautet: An¬
Ziel, keine redliche Kunstarbeit, denn auch sie leben und
ders sein, anders sehen, anders machen. Anders um
jeden Preis. Nie hat es eine bequemere Kunstlehre ge= schreiben nur davon, daß es immer anders wird;
geben. Harte Arbeit, mühsam, schrittweise, hat in Jahr= laufen stets nur dem Andern nach. Vielleicht bringen zwei
Briese, die Richard Wagner im Jahre 1872 und 1874, da
hunderten gewisse Kunstformen oroanisch zu entwickeln ge¬
Roller noch ein Knabe war, an den Wiener Maler Josef
sucht. Wie vorsichtig, weil einsichtig, gingen die großen
Reformatoren der Welt und der Kunst ans Werk! Hoffmann schrieb, ein wenig Ordnung in die Sache der
Andersmacher. Zunächst: „In Betreff der Darjiellung
Luther und Bismarck, Mozart, der lange in den Ita¬
der Szene bin ich zu der Ueberzeugung ge¬
lienern, Beethoven, der lange in Haydn, Wagner, der
kommen, daß hier nichts des deutschen Namens in
lange in der „Großen Oper“ steckte. Heute geht's leichter.
einem edlen Sinne Würdiges zu erreichen sein wird,
Reformatoren in allen Ecken, in jedem Winkel, in jeder
wenn ich die hieher bezüglichen Aufgaben lediglich unseren
Woche, an jedem Tage. Ohne Ziel, ohne Plan, ohne
routinierten Theaterdekorationsmalern überlassen sollte. Es
Vernunft, müssen sie eben nur anders sein, und sofort
handelt sich mir daher darum, den geschicktesten oder ge¬
wird ihnen das stets bereite Täfelchen der Gesialität an¬
übtesten Dekorationsmalern von wirklichen Künstlern ent¬
geheftet.
worfene Skizzen vorlegen zu können, um sie dadurch zur
Ein leidlich erjahrener Musiker vermag uns das
Veredlung ihrer Leistungen anzuregen.“ ... Und dann
Wesen der Fuge zu erklären und die Unterschiede einer
setzt sich der Dramatiker zu dem bildenden Künstler in
Fuge von Bach oder Mozurt oder Beethoven klarzu¬
tellen. Eine Fuge aber von heute kann der Erfahrenste das einzig mögliche Verhältnis des harmonischen Aus¬
zur damit kennzeichnen, daß sie anders ist. Das Anders= gleichs. Zwei Jahre später: „Ich sage Ihnen meinen
ein, gleichviel wie die Fuge ausschauen möge, erfüllt den größten Dank für die Umarbeitung Ihrer schönen
Stümper mit Stolz, und der Jubel seines Anbangs kennt Skizzen. Dadurch, daß der Wohnraum Hundings den
Ersordernissen der dramatischen Vorgänge durchaus
keine Grenzen, wenn die Fuge sich derart verändert hat
entsprechend geworden ist, kann ich nicht finden, haß er an
daß sie keine mehr ist.
. Das Genie in der Tonkunst
Charakter etwas eingebüßt hat: er ist so vortrefsuich.“
hat große Mühe darauf verwendet, die Symphonie
einem organisch gegliederten Ganzen zu gestalten, das Nun bittet Richard Wagner den Künstler, die Gitichungen¬
haule mit Rücksicht auf die „entscheidende Begegnung der
von einem mächtigen Schlußsatze gekrönt wird. So noch
Hauptkatastrophe“ zu verändern; er macht die lehrreiche
bis Brahms und Bruckner. Die Wiener Symphonie von
Bemerkung, daß er selbst in Lohengrin „den Fehler be¬
heute legt Lieder ein oder schließt mit einem Liedchen —
gangen habe,“ sich unwillkürlich nach „unseren sehr in¬
sie hat den großen Vorzug, anders zu sein. Man frage
korrekten Theaterkonventionen“ zu richten, und schließt im
nicht nach den inneren Motiven. Die Acsthetik des „An¬
deren“ ist Grund genug. Im übrigen ist es die Kunst Hinblick auf die Gibichungenhalle: „Aber es wird Ihnen
unserer Tonsetzer, ähnlich dem „Zwischenspiel“ beständig schwer werden, hier etwas zu opfern, denn das Bild
anderes vorzubringen als der natürliche und logisch ge= selbst, das Sie uns geben, ist ungemein charakteristisch
und schön. Nun! Sehen Sie zu!
schulte Kunstverstand gerade von der harmonischen Fort¬
So fügen die Elemente des Gesamtkunstwerkes sich
schreitung erwartet. Darum ist die Kunst unserer
ineinander. Der jetzt beliebte Terrorismus, die Selbst¬
Tage so witzig. Denn Witz ist das plötzliche Aufdecken
betonung des Einzelnen dient nicht dem Schönen, sondern
einer Gedankenharmonie wo man Disharmonie er¬
unkünstlerischem Egoismus. Anderes wollen, einzig um
wartet,
oder das Ausdecken einer Disharmonie,
anders zu sein, der Lustsprung ins Andere, einzig um
wo man eine harmonische Gedankenverbindung ver¬
sich rasch von bestehenden Fundamenten zu lösen, führt
mutet. Die moderne Orchestrierung beruht also
weit weg von der wahren Kunst.
auf dem Witz, den einzelnen Instrumenten Klänge
und Passagen zuzumuten, die der Natur des Instru¬
ments nicht entsprechen. Man wird auch immer beim
Orchestervortrag eines neuen Werkes, das die Modernen
gut instrumentiert nennen, die unbefangenen Hörer
lächeln oder Mienen der Verblüffung auf ihrem Antlitz
sehen.... Ebenso im Reiche der Farbe. Haben es nicht die¬
20. Zuischensniel
um jeden Preis! ihren vollkommensten grotesken Aus¬
druck gefunden. Aus dem Salon Miethke schallt der Ruf,
daß die Dekoration künftig den Dramatiler beherrschen
wird. Der Wiener Meister Roller, der es tiefflich versteht,
im Opernhause auf eigene Faust Stimmung zu machen,
wird als kühner Neuerer gepriesen. Vor allem: Gar so
neu ist die Vorherrschaft der Dekorat.onen, die Lessing
noch treffend „Verzierungen“ nannte, wahrhaftig nicht.
Haben die Herren nichts von den Prunkopern des
siebzehnten und achtsehnten Jahrhunderts am Wiener
Hofe oder in München gehort, wo die be¬
uhmtesten italienischen Architekten die Szene aufgebaut
und ausgestattet haben? Keine Zeile ist von der Musik
Das Andere.
oder von der Dich ung eines solchen „Teutrale festegiamento“
7 Aesthetische Glossen.
lebendig geblieben. Die Dekorationen hatten alles nieder¬
Arkhur Schnitzlers „Zwischenspiel“ das man die Ko¬
geschlagen. Diese Zeiten also sollen wiederkehren? Ach, so
mödie des Unerwarteten nennen könnte, führt ein herziges
ernst kann's den Leuten nicht sein. Wie kam es nur?
Büblein über die Bühne. Der naive Zuschauer — und
Richard Wagners viel angesochtene Forderung nach Gleich¬
der Zuschauer soll naiv sein — hat das sichere Gefühl,
berechtigung der Bühnenkünste ist in Wien noch lange nicht
daß die Liebe zu dem Söhnchen die brüchige Ehe der
erfüllt. Nicht im entferntesten ist es der Wiener Hofoper
Eltern zusammenhalten werde. Aber auch hier tritt das gelungen, in „Rheingold“ nach dem Bayreuther Vorbild
Unerwartete ein. Das Kind, von der Natur zum Ver= mit beweglichen, kunstvoll dirigierten Dämpfen und in un¬
teidiger des Ehebandes bestellt, hält den Gang der wunder= endlicher Vielfältigkeit abgestuften Wolkenschleiern Stim¬
mung zu erzeugen. Die Aufgabe ist überaus schwierig und
lichen Geschehnisse nicht auf: Ade denn, ihr Lieben, ge¬
in einem täglich beschäftigten Theater kaum zu lösen. Der
schieben muß sein. Das spruchgiltige Urteil, in dem
Reformator Roller geht also an den Schwierigkeiten vorbei
Arthur Schnitzler „das echteste, ehrlichste und am meisten
wienerische unserer jüngeren Talente“ genannt wurde, und sucht das Andere; er setzt sich zu den ausdrücklichen
Vorschriften Richard Wagners in Widerspruch, er hemmt
bleibt aufrecht, wenn auch der Dichter diesmal von dem
die dramatische Entwicklung auf der Bühne und sorgt für
natürlichen Denken und Fühlen, das ihn immer aus¬
zichnete, abgewichen ist. Das Ausbiegen aber in der sein eigenes, gewiß eminent künstlerisches Bühnenbid. Ja,
unsagbar schwer ist es für den bildenden Künstler,
Natürlichkeit und der eigenen Natur, hier nur ein
wagnerisch zu gestalten; wie leicht aber, vom wagnerischen
Zwischenspiel, ist typisch für unsere Zeit, ein Hauptspiel
Geiste abgelöst, anders zu sein! Die ästhetischen Snobs
der Modernen. Was diese suchen, ist immer nur das An¬
rufen Heil! Sie kennen keine Entwicklung, kein sicheres
dere. Der Grundsatz der modernen Aesthetik lautet: An¬
Ziel, keine redliche Kunstarbeit, denn auch sie leben und
ders sein, anders sehen, anders machen. Anders um
jeden Preis. Nie hat es eine bequemere Kunstlehre ge= schreiben nur davon, daß es immer anders wird;
geben. Harte Arbeit, mühsam, schrittweise, hat in Jahr= laufen stets nur dem Andern nach. Vielleicht bringen zwei
Briese, die Richard Wagner im Jahre 1872 und 1874, da
hunderten gewisse Kunstformen oroanisch zu entwickeln ge¬
Roller noch ein Knabe war, an den Wiener Maler Josef
sucht. Wie vorsichtig, weil einsichtig, gingen die großen
Reformatoren der Welt und der Kunst ans Werk! Hoffmann schrieb, ein wenig Ordnung in die Sache der
Andersmacher. Zunächst: „In Betreff der Darjiellung
Luther und Bismarck, Mozart, der lange in den Ita¬
der Szene bin ich zu der Ueberzeugung ge¬
lienern, Beethoven, der lange in Haydn, Wagner, der
kommen, daß hier nichts des deutschen Namens in
lange in der „Großen Oper“ steckte. Heute geht's leichter.
einem edlen Sinne Würdiges zu erreichen sein wird,
Reformatoren in allen Ecken, in jedem Winkel, in jeder
wenn ich die hieher bezüglichen Aufgaben lediglich unseren
Woche, an jedem Tage. Ohne Ziel, ohne Plan, ohne
routinierten Theaterdekorationsmalern überlassen sollte. Es
Vernunft, müssen sie eben nur anders sein, und sofort
handelt sich mir daher darum, den geschicktesten oder ge¬
wird ihnen das stets bereite Täfelchen der Gesialität an¬
übtesten Dekorationsmalern von wirklichen Künstlern ent¬
geheftet.
worfene Skizzen vorlegen zu können, um sie dadurch zur
Ein leidlich erjahrener Musiker vermag uns das
Veredlung ihrer Leistungen anzuregen.“ ... Und dann
Wesen der Fuge zu erklären und die Unterschiede einer
setzt sich der Dramatiker zu dem bildenden Künstler in
Fuge von Bach oder Mozurt oder Beethoven klarzu¬
tellen. Eine Fuge aber von heute kann der Erfahrenste das einzig mögliche Verhältnis des harmonischen Aus¬
zur damit kennzeichnen, daß sie anders ist. Das Anders= gleichs. Zwei Jahre später: „Ich sage Ihnen meinen
ein, gleichviel wie die Fuge ausschauen möge, erfüllt den größten Dank für die Umarbeitung Ihrer schönen
Stümper mit Stolz, und der Jubel seines Anbangs kennt Skizzen. Dadurch, daß der Wohnraum Hundings den
Ersordernissen der dramatischen Vorgänge durchaus
keine Grenzen, wenn die Fuge sich derart verändert hat
entsprechend geworden ist, kann ich nicht finden, haß er an
daß sie keine mehr ist.
. Das Genie in der Tonkunst
Charakter etwas eingebüßt hat: er ist so vortrefsuich.“
hat große Mühe darauf verwendet, die Symphonie
einem organisch gegliederten Ganzen zu gestalten, das Nun bittet Richard Wagner den Künstler, die Gitichungen¬
haule mit Rücksicht auf die „entscheidende Begegnung der
von einem mächtigen Schlußsatze gekrönt wird. So noch
Hauptkatastrophe“ zu verändern; er macht die lehrreiche
bis Brahms und Bruckner. Die Wiener Symphonie von
Bemerkung, daß er selbst in Lohengrin „den Fehler be¬
heute legt Lieder ein oder schließt mit einem Liedchen —
gangen habe,“ sich unwillkürlich nach „unseren sehr in¬
sie hat den großen Vorzug, anders zu sein. Man frage
korrekten Theaterkonventionen“ zu richten, und schließt im
nicht nach den inneren Motiven. Die Acsthetik des „An¬
deren“ ist Grund genug. Im übrigen ist es die Kunst Hinblick auf die Gibichungenhalle: „Aber es wird Ihnen
unserer Tonsetzer, ähnlich dem „Zwischenspiel“ beständig schwer werden, hier etwas zu opfern, denn das Bild
anderes vorzubringen als der natürliche und logisch ge= selbst, das Sie uns geben, ist ungemein charakteristisch
und schön. Nun! Sehen Sie zu!
schulte Kunstverstand gerade von der harmonischen Fort¬
So fügen die Elemente des Gesamtkunstwerkes sich
schreitung erwartet. Darum ist die Kunst unserer
ineinander. Der jetzt beliebte Terrorismus, die Selbst¬
Tage so witzig. Denn Witz ist das plötzliche Aufdecken
betonung des Einzelnen dient nicht dem Schönen, sondern
einer Gedankenharmonie wo man Disharmonie er¬
unkünstlerischem Egoismus. Anderes wollen, einzig um
wartet,
oder das Ausdecken einer Disharmonie,
anders zu sein, der Lustsprung ins Andere, einzig um
wo man eine harmonische Gedankenverbindung ver¬
sich rasch von bestehenden Fundamenten zu lösen, führt
mutet. Die moderne Orchestrierung beruht also
weit weg von der wahren Kunst.
auf dem Witz, den einzelnen Instrumenten Klänge
und Passagen zuzumuten, die der Natur des Instru¬
ments nicht entsprechen. Man wird auch immer beim
Orchestervortrag eines neuen Werkes, das die Modernen
gut instrumentiert nennen, die unbefangenen Hörer
lächeln oder Mienen der Verblüffung auf ihrem Antlitz
sehen.... Ebenso im Reiche der Farbe. Haben es nicht die¬