II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 183

box 25/1
20. Zuischensniel
Amadeus seine eigene Frau seit einem Jahre schon vernachlässigt haben? Kind, da#entlich zum Auseinandergehen der Eltern herbeigeschleppt
jäglich frivol, und an ihm zerrinnen alle die geistvollen
U
Was doch diese modernen Dichter an Unnatur alles aufzubieten wissen,wird,
wenn sie uns mit ihren Thesen umlauern und uns deren StichhältigkeitTiraden, die Schnitzler zum Beweis für sein sonderbares Eheproblem
aufgehäuft hat, in nichts. Diese Tiraden, die in atemloser Hetzjagd mit
beweisen woollen!
Während Amadeus sich also mit der Platanen=Sängerin vergnügt,seinander Fangball spielen, bald mit Trugschlüssen paradieren, bald wieder
läßt seine Frau sich von dem jungen Fürsten Sigismund von und zu mit abgebrauchten Wald= und Wiesensentimentalitäten einander be¬
Maradas=Lohsenstein auf einer Gastspielreise begleiten. Dieser junge werfen, erinnern in ihrer Gezwungenheit an den Stil jener bekannten
Beweisführung über den erlaubten Diebstahl, die lautet: „Ich darf in
Prinz ist ein famoser Walzerspieler, dabei fromm; sein Vater ist einer
meine Tasche greifen, Du aber darfst nicht in meine Tasche greifen,
der Führer der klerikalen Partei im Herrenhause und im Präsidium der
wohl aber darfst Du in Deine Tasche greifen. Wenn ich nun dorthin
Anti=Duell=Liga. Noch niemals hat man einen liebenswürdigeren und
greifen darf, wohin Du nicht greifen darfst, nämlich in meine Tasche,
netteren Aristokraten gesehen. Schon wegen dieser Figur allein — der
um wieviel mehr darf ich dorthin greifen, wohin Du jedesmal greifen
Dichter führt ihn im dritten Akt als schlanken, blonden, sechsundzwanzig¬
darfst, nämlich in Deine Tasche?“
jährigen, gar nicht geckenhaften Jüngling ein, der sich wie ein wahrer
Arthur Schnitzler, der seine Novellist, hat mit seinem falsch ver¬
Gentleman benimmt — verdient es Schnitzler, daß sein neuestes Stück
ipsenten Drama „Zwischenspiel“ unzweifelhaft in eine fremde Tasche ge¬
am Wiener Hofburg=Theater aufgeführt wird, von dem er wegen seines
griffen. Man möchte ihm zurufen, was der Dampf=Aphorismendreher
„Leutnant Gustl“ und seines „Grünen Kakadu“ durch fünf lange und
Albertus im Stück seiner Frau Marie sagt: „Du solltest aus der
Schon im zweiten Akte wird Amadeus
bange Jahre verbannt war..;
Wiesenanmut Deines holden Plauderns Dich nicht in das Dickicht
der ewigen Platane, unter der in schwülen Nächten die gräfliche Opern¬
Caliban.
psychologischer Erörterungen begeben!“
sängerin schläft, überdrüssig und wendet sich nun wieder seiner Frau
Nachschrift: Soeben erfahre ich, daß die Geberde des Helden
zu, die eben aus Berlin mit ihrem fürstlichen Begleiter zurückgekommen
Amadeus, mit der linken Hand zuweilen das Sakko zurückzuschlagen,
ist. Ein merkwürdiger Glanz knistert aus ihren Augen, und sie erscheint
dem verstorbenen Friedrich Mitterwurzer abgeguckt ist. Also ist
Sie aber will von ihm nichts wissen.
ihm begehrenswerter denn je.
das Stück dennoch ein Schlüsselstück! Trotzdem möchte ich den Dichter
„. . . Ich bin schon heute nicht mehr, die ich war. .. Oder vielleicht war
bitten, zur Abwechselung einmal Amadeus mit der rechten Hand das
ich immer dieselbe und habe es nur nicht gewußt, und es ist ietzt etwas
Sakko zurückschlagen zu lassen. Vielleicht läßt sich Nora=Cäcilie durch
von mir abgefallen, das mich früher umhüllt hat . . . Ja, so muß es
diese neue überraschende Nüance dennoch erweichen und kehrdreuig zu
sein: denn jetzt fühle ich alle Wünsche, die früher an mir herabgeglitten
ihrem Mann zurück ..
sind, wie an einem fühllosen eisernen Panzer . . ., jetzt fühle ich sie über
meinen Leib, über meine Seele gleiten, und sie machen mich beben und
glühen. Die Erde scheint mir voll Abenteuern, der Himmel wie von
Flammen strahlend, und mir ist, als sähe ich mich selbst, wie ich mit

ausgebreiteten Armen dastehe und warte“. Worauf sie mit ausge¬
FU
breiteten Armen wartet, sagt sie ihrem Manne ins Gesicht: „Ich habe ja
noch so wenig erlebt, und ich sehne mich danach. Ich sehne mich nach
allem Schmerzlichen und Süßen, nach allem Schönen und nach allem
Kläglichen, was das Leben enthält, ich sehne mich nach Stürmen und
Gefahr — vielleicht gar nach mehr.
RAT
Er versuchte ihr solche Norastimmungen auszureden, und da sie ja
selbst gestanden hat, daß sie heute eine andere ist, als die sie früher ge¬
SEIFE
wesen, so will ihm nicht einleuchten, warum er sich in diese andere nicht
verlieben soll: „Die sieben Jahre habe ich mit einer anderen verlebt.
aus Hühnerei
Mit einer stillen und gütigen Frau, mit einer Art von Engel vielleicht,
der nun entschwunden ist. Die, die heute kam, hat Blicke, die mir fremd
D. R. P
sind, eine Schönheit, die ich nicht kenne, — keine bessere glaube ich, als
jene andere — und doch eine, meine ich die mehr geschaffen ist, zu be¬
glücken“. Durchaus nicht abweisen läßt er sich von ihr, ihr Geliebter
will er heute sein, nein, etwas Besseres und was Schlimmeres, der Mann,
Konzert Tornelli. Ein leichter Schleier liegt über der Stimme der
der sie einem andern nimmt, der Mann, für den sie einen andern ver¬
[Giovanna Tornelli, aber er wirkt nicht als Fehler, sondern
rät, der ihr Seligkeit und Sünde zugleich bedeutet. Darüber fällt der
als Eigentümlichkeit, mit der man sich im Laufe des Abends immer
Vorhang und Cäcilie läßt sich im Zwischenakt in der Tat von ihrem
mehr befreundet. Der dunkle Timbre des Organs harmoniert auch
eigenen Gatten zur Sünde, wie er behauptet, verführen. ...
vortrefflich mit dem Gesichtsteint der spanischen Sängerin. Ideal ist
Bis es sich im letzten Akt herausstellt, daß Amadeus Adams, der
die Tonskala gebildet. Vom tiefen a bis zum hohen g, also durch zwei
seine eigene Frau einem anderen wegnehmen wollte und sie zum Verrat
Oktaven, paßt ein Ton genau zum andern, und noch wunderbarer ist.
an diesem anderen überredete, genau betrachtet, eigentlich hineingefallen
daß die Kraft an der angegebenen untersten Tongrenze genau so starkt
ist. Um mit dem Kriminalisten zu sprechen, fehlt der ganzen ge¬
ist wie an der Höchstgrenze der Stala. Fräulein Tornelli füllte den
zwungenen Konstruktion dieses Ehedramas und allen bei den Haaren
Kammermusiksaal ohne jede Anstrengung aus; ihre Stimme wäre auch
herbeigezerrten Vorgängen das, was man den objektiven Tatbestand
für den angrenzenden Saal des Konzerthauses mehr als ausreichend
nennt. Denn ein Ehebruch liegt überhaupt nicht vor, einmal weil der
gewesen. Dabei beherrscht sie die Nüancen des Feinen und Zarten
eheliche Verkehr zwischen Amadeus und Cäcilie seit einem Jahr unter¬
ebenso sicher, wie den Ausdruck des Pathetischen. Wiederholt hörte man
brochen war, dann aber auch, weil der galante Prinz von Maradas¬
von ihr ein Pianissimo, das nur noch gehaucht erschien und bei dessen
Lohsenstein Cäcilien in der unschuldvollsten Weise von der Welt den
Produktion die gut funktionierende Kopfstimme die besten Dienste
Hof gemacht hat. Um die Spitzfindigkeiten und Tüfteleien, an denen
die mißglückte Komödie so reich ist, noch zu überbieten, läßt Schnitzlerlleistete. Trotz der fremdländischen Herkunft der Sängerin ist ihre Aus¬
seinen Amadeus, der während der beiden ersten Akte die feinsten Apho=sprache frei von allen fremden Klangphänomenen. Nur an der Art, wies
das auslaufende „!“ gebildet wird, könnte man vielleicht erkennen, daß
rismen und Paradexen nur so um sich herumstreute, gleich nach jener
Giovanna Tornelli nicht in Deutschland geboren und erzogen worden ist.
Nacht, in der er seine Frau einem „anderen“ genommen, auf diesen
Ich vermute aber, daß es sich auch hier mehr um eine gewollte Nüance¬
anderen eifersüchtig werden. Er will ihn durch Albertus Rhon, den
als um eine angeborene Eigentümlichkeit handelt, weil das „!“ im An¬
Opernlibrettisten und zudringlichen Aphorismenschwätzer, zum Duell
und Julaut einwandfrei erscheint. Der Berliner Tenor Raimund von
fordern lassen, allein mittlerweile erscheint der Prinz von Maradas¬
Zur=Mühlen soll der Lehrer der jungen Dame sein. Man kann daran
Lohsenstein selbst bei Amadeus und bittet ihn in beweglichen Worten,
glauben, denn einzelne Pointen des Vortrags: das zeitweilige Singen
sich doch gütigst von seiner Frau scheiden zu lassen, da er, der Prinz,
durch die Zähne und die starke Hervorkehrung der nasalen Klänge deuten
sie heiraten wolle. Aus dem Gespräch, das sich daran knüpft, entnimmt
direkt auf Zur=Mühlen hin. Das technische Rüstzeug ist also in bester
Amadeus, daß das Verhältnis zwischen seiner Frau und dem edel¬
Verfassung, und die Verinnerlichung des Vortrags hält damit gleichen
mütigen Prinzen ein durchaus iauteres gewesen und Cäcilie dem
Kavalier nichts anderes als Gefühle der Freundschaft entgegengebracht Schritt. Das trat weniger an den italienischen Liedern von Händel,
habe. Nun kommt es wieder zu großen Auseinandersetzungen. JetztBuononcini und Pergolese in Erscheinung, die wohl nur ein Kompliment
will er sie lieben, sie, seine seit sieben Jahren angebetete liebe Cäciliell an die romanische Heimat der Künstlerin sein sollten. An den deutschen
Mit der linken Hand schlägt er das Sakko zurück und jammert, daß sie Liedern von Schumann, Franz und Brahms wurde ihre Individualität
ihn nun von sich weise. Sie aber scheint heute früh mit dem linkenserst eigentlich offenbar. Giovanna Tornelli ist eine ernst gerichtete
Natur, die jedes Singen auf den Effekt verschmäht, eher zu wenig als
Fuß zuerft aus dem Bett gestiegen zu sein, denn sie fühlt, daß er sie.
zu viel tut, um auszudrücken, was sie empfindet und doch stets den Eindruck
die ehemalige Cäcilie, mit ihr selbst, der neuen Cäcilie, betrogen habe!
erweckt, daß jedes gespendete Lied in der Tiefe ihrer Seele Form und
„Wir sind einander“ — seufzt sie — „so viel gewesen, Amadeus, daß
Gestalt für die Reproduktion erhalten hat. Besonders gut lagen ihr
wir uns die Exinnerung daran erhalten müssen.“ Da trifft doch auch
wieder das vombastische Wort des parodierten Holofernes zu, der durch= die Lieder von Franz. „Aus meinen großen Schmerzen“ wurde einen
aus wissen will, wer stärker ist: „ich“ oder „ich“? Und mit solch ver=ganzen und „Die Heide ist braun“ um einen halben Ton tiefer ge¬
zwickter Seelenmalerei schließt das Stück. Amadeus nimmt seine ge=sungen als das Original. In dem zweiten Liede wurde zum ersten
packte Reisetasche und verschwindet. Gleich darauf erscheint Cäcilie und] Male eine Zur=Mühlensche Eigenheit angewendet: die Einschiebung einem
1„e“ zwischen zwei Worte („Das e wird ein dürrer, ein dustloser
da sie das Verschwinden der Reisetasche bemerkt weint sie leise und läßt
den Kopf auf das Klavier sinken. Dabei überhört sie, daß Peterl, ihr Strauß"). Vorbildlich wurde die Stelle „Mein Lieb ist falsch“ ge¬
sungen. Von dem hohen g auf das Wort „falsch“ geht manche Sängerin
„Mutter!“ zugerufen hat. Und in
sechsjähriger Bub,
gar nicht mehr herunter; Fräulein Tornelli nahm die Stelle mehr als
Gipfelpunkt aller Un¬
diesem brutalen Abschluß liegt d
natur, die sich um ausgeklügelter Marionettenfiguren willenjkurzen Aufschrei und traf damit das Richtige. Eine meisterhafte Vor¬
Giovanna
hartentragsleistung war „Auf dem Kirchhofe“ von Brahms.
dieses
Selbstverständlichkeiten
den simpelsten
mit
und nüchternen Lebens in Widerspruch setzt. Dieser Abschluß mit dem Tornelli muß in Breslau hervorragende Kannexionen haben, denn das!