II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 188

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20. Zwischenspiel box 25/1
Dies war ein Beispiel für viele. Es möge uns
zeigen, warum Schnitzlers neues Stück, als ein
Musterexemplar von der rein=psychologischen Gattung,
so wenig Gewalt ausübt. Nicht die Tatsachen
sprechen, sondern die Empfindungen. Und diese
Empfindungen schlingen sich mit der ganzen Fülle
ihrer Möglichkeiten und Widersprüche derartig
durcheinander, daß der Zuschauer oft völlig den festen
Boden verliert. Diese Menschen kennen nichts
anderes mehr als ihr Gefühlsleben und ihre Sen¬
sibilitäten. Diese ziehen sie auseinander, zerzupfen
und zerpflücken sie, schieben sie sich gegenseitig zu,
ziehen sie wieder zurück, verkapseln sie, umhüllen sie
und schleudern sie plötzlich wieder heraus. In diesem
Wirrwarr kennt der arme naive Zuschauer sich kaum
mehr aus und wird darum unlustig. Wenn daher die
beiden Eheleute, nachdem sie sich drei Akte darüber
unterhalten haben, ob sie sich lieben oder nicht,
schließlich zu der Erkenntnis kommen, daß sie sich
nicht (oder nicht mehr) lieben, dann sagt der Zu¬
schauer mit einem Aufseufzen: „Natürlich! Sie haben
sich ihre Liebe gegenseitig totgeredet!“
Die innere Unzulänglichkeit des psychologischen
Dramas als Gattung ist mir bei Schnitzlers „Zwischen¬
spiel“ mehr als jemals früher klar geworden. Mehr
noch als bei Shaws „Candida“ und bei Sven
Langes „Stillen Stuben“. Alle drei sind ja Leistungen
von so hervorstechenden, literarischen Vorzügen, daß
es einem wehe tut, ihre gattungsmäßige Unzuläng¬
lichkeit zu konstatieren. Aber dies ändert nichts daran,
daß unser Drama andere Wege wird gehen müssen.
Es soll gewiß an psychologischem Reichtum möglichst
wenig opfern. Aber die gebrechliche Pflanze der
Psychologie muß sich doch stets um den starken
Stamm einer tragfähigen Handlung schlingen. Sonst
wird es dem Dramatiker nun und nimmer gelingen,
das Publikum in seine Hand zu bekommen. Das
Publikum will stark angepackt werden und will sich
gescheit vorkommen. Bei Schnitzler fühlte es sich nur
vag berührt und kam sich gegenüber diesen Sub¬
tilitäten und Spitzfindigkeiten ziemlich dumm vor.
Zu guter Letzt gestatten diese auf Gefühlszergliederung
aufgebauten Dramen auch keinerlei weiten Aus¬
blick. Sie erschöpfen sich dermaßen in Detailarbeit,
daß der Blick ganz ins Enge gezogen wird. Daher
haben sie weder in ihrer Struktur eine große und
feste Linie noch in ihrem Horizont irgend welche
Weite. Alles tritt zehnfach gebrochen und nuanciert
vor uns hin, und so fehlt, wenn wir das Theater
verlassen, der mächtige und nachhallende Totaleindruck.
Das Bleibendste an diesem Abend war jedenfalls
für mich das geradezu wundervolle Spiel der Leute
vom Burgtheater. Insbesondere hat Kainz hiermit
auch im modernen Stücke eine künstlerische Höhe er¬
reicht, die ihn dicht an die Seite der Duse rückt.
Astbsasilien.?