20. Zwischenspiel box 25/1
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Werken Gewicht und Grenzen, Ton und Farben geben, tritt, stärker und
ewiger als sie, die Besonderheit des jüdischen Blutes. Mit den andern
Wurzeln seines Wesens muß auch diese erste und kräftigste hergezeigt
und untersucht werden, will man nur halbwegs wissen können, wovon
seine Kunst lebt. Er ist ein Jude Die ururalte Erbschaft schmerzvollster
Widersprüche hat ihm sein Stamm auf die Seele geladen: Unstetigkeit
in der Welt und festeste Treue zum Haus, die Kraft der schnellen An¬
passung und ewige Fremdheit gegen die „Fremden“; fanatische Liebe
zum Leben und eine unfrohe Scheu vor allem stark Lebendigen; und
endlich die quälende Lust am unstillbaren Zweifel, das kranke Kind einer
Jahrtausende alten Gedanken=Inzucht, die gefährliche Frucht einer Logik
und Dialektik, die durch lange, lange dumpfig finstre Zeiten keine andre
Nahrung gehabt haben als sich selbst.
Vor seiner Unstetigkeit im großen Leben flüchtet er früh in den gehegten
Bezirk der Familie. Anatol, ein ruheloser Spaziergänger durch wiener
Abenteuer: auf der Gasse, im Restaurant, in verschwiegenen Zimmern,
die für den Moment der Liebe eingerichtet sind; niemals zuhause, nie
eigentlich bei sich, immer unstet. Die „Liebelei" ins Tragische gewendet,
aber noch immer Abenteuer, von außen geholt — das ist ja der Sinn
des Stückes und dabei merkwürdigerweise ein flüchtig bedauernder Blick
auf eine Familie — aber auf eine fremde, in der man nicht verweilen
kann, und die im Grunde nichts ist als eine — ziemlich verzeichnete —
Staffage zur Kahlenberg=Landschaft und zum Volksgarten=Abenteuer.
Nun kommt aber ein ernsthafter Schritt in die offene Welt hinaus, in
die Feindseligkeit des Lebens. Das ist „Freiwild“, die Auseinander¬
setzung mit der Frage des Duells. Und nirgends, in keinem andern
seiner Stücke war Schnitzler so sehr genötigt, den Impuls durch Dialektik
zu ersetzen, das Geschehnis aus Gedanken zu erzeugen, wie eben hier,
wo der Feind von außen, aus der Welt der Anschauungen und Instinkte
kommt, in der der Dichter niemals wirklich zuhause war. Und nun geht
seine Kunst, selbstsicher und voll wärmster Zärtlichkeit, immer lieber,
immer ausschließlicher auf den Kreis der Wenigen, der Gleichfühlenden
und Gleichgebildeten zu, in dem sie ihre eigensten Probleme, ihre heiligsten
Schmerzen, ihr nächstverwandtes Glück findet. Das Beste und Tiefste,
was Schnitzler seither geschaffen hat, ist in dieser Atmosphäre reicher
und gebildeter Bürgerhäuser gereift. Wie ein Symbol dieser Entwicklung
sieht es aus, daß im „Vermächtnis“ die fremde Geliebte aus der Welt
der Abenteuer in die gute Familie hineingeworfen wird und da vergeht
und erstickt, wie eine Flamme ohne Luft. Das ist wie eine letzte mit¬
leidige Abrechnung mit den Menschen einer andern Kultur. Denn von
jetzt ab geht seine Kunst, auch im Kostüm ferner Zeiten, nur mehr den
Problemen nach, die in dem verfeinerten Leben seiner Klasse aus den
beklemmend vielfältigen Instinkten seiner Art ausblühen. Es sei denn,
Die Schaubühne
daß es sich um den glitzernden Wurf eines Witzes handelt, wie in
„Lueratur“, oder um den meisterlich verschränkten Bau einer hochgipfelnden
Antithese, wie im „Grünen Kakadu“. Das sind freie Turnübungen, die
sich der genialische Witz, dieser liederliche Bruder der scharfen Dialektik,
ein wenig abseits vom Zentrum der Probleme gestattet. Sonst aber
wird immer, in Angst oder Zweifeln oder Trauer, nach der Wirklichkeit
und dem Bestand alles dessen gefragt, was diesen Menschen teuer und
süß ist im Leben. Nach der Wirklichkeit der Treue im „Paracelsus;
nach'der Wirklichkeit der verliebten Freude in der „Gefährtin“; nach dem
Bestand der Schönheit und des gewollten Genusses im „Schleier der
Beatrice"; nach der Wirklichkeit und dem Bestand des erotischen Erleb¬
nisses im „Reigen“. Und im „Einsamen Weg“ endlich, dem reichsten
und bedeutendsten seiner Dramen, werden die höchsten Lebenswerte
dieses zu Ende kultivierten Bürgertums gegeneinander abgewogen; bange
zweifel prüfen jedes Glück und finden jedes zu leicht, das nicht auf der
warmen Nähe guter Menschen ruht. Eine grausame Angst vor der Ver¬
lassenheit, vor den Tücken eines ungreifbaren Schicksals entflieht da in
den erträumten Schutz eines idealen Zusammenseins. Die Unstetigkeit in
der Welt und die Treue zum Haus, diese Erbschaft der jüdischen Seele,
spricht hier, in Schnitzlers tiefster Dichtung, mit der stärksten und klarsten
Stimme.
Was er, als assimiligeter Wiener, seiner Kraft der Anpassung und
wieder seiner Fremdheit gegen die „Fremden“ dankt, ist klar: zunächst
den Stil und Ton seiner Werke, dieses sublimierte Wienertum; dann
aber, auf der andern Seite, die unverrückbare Distanz, die ihn erst be¬
fähigt, diesen Stil zu bilden, dieses Wienertum zu sublimieren. Nur
als Wiener eines andern Stammes war er imstande, der Dichter der
wiener Bourgeoisie zu werden: denn unsre echtgeborene Bourgeoisie hat,
wie jede andre, die sonderbare Eigenschaft, daß sie sich selbst nicht
künstlerisch sehen und empfinden kann. Und wer weiß, wie mächtig und
umgreifend er das, wofür er geschaffen zu sein scheint, erfüllen könnte,
wäre nicht, als eine weitere, fatalere Erbschaft seines Blutes, die fanatische
Liebe zum Leben der Person und doch auch die unfrohe Scheu vor allem
stark Lebendigen in ihm. Das gibt allen seinen Menschen die raffinierte
Vertiefung in sich selbst, die bis zur äußern Unbeweglichkeit entartet.
Sie wissen von sich, ihrem Leben und Lebenwollen so erstaunlich, so un¬
aufhörlich viel, daß dieses Wissen ihre Instinkte fast ganz verzehrt und
keinen Antrieb zur Aktion übrig läßt. Mit dieser Gabe, auf dem schmalen
Gebiet einer bewegungsarmen Handlung möglichst tief und möglichst
scharf in die Seelen der Handelnden schauen zu lassen, ist er der geborene
Novellist. Und in der Tat wird ihn heute kaum ein Meister der psycho¬
logischen Erzählung übertreffen. Nur schade, daß auch seine Dramen
fast durchaus diesen novellistischen Zug beibehalten, wo nicht die Kraft
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Werken Gewicht und Grenzen, Ton und Farben geben, tritt, stärker und
ewiger als sie, die Besonderheit des jüdischen Blutes. Mit den andern
Wurzeln seines Wesens muß auch diese erste und kräftigste hergezeigt
und untersucht werden, will man nur halbwegs wissen können, wovon
seine Kunst lebt. Er ist ein Jude Die ururalte Erbschaft schmerzvollster
Widersprüche hat ihm sein Stamm auf die Seele geladen: Unstetigkeit
in der Welt und festeste Treue zum Haus, die Kraft der schnellen An¬
passung und ewige Fremdheit gegen die „Fremden“; fanatische Liebe
zum Leben und eine unfrohe Scheu vor allem stark Lebendigen; und
endlich die quälende Lust am unstillbaren Zweifel, das kranke Kind einer
Jahrtausende alten Gedanken=Inzucht, die gefährliche Frucht einer Logik
und Dialektik, die durch lange, lange dumpfig finstre Zeiten keine andre
Nahrung gehabt haben als sich selbst.
Vor seiner Unstetigkeit im großen Leben flüchtet er früh in den gehegten
Bezirk der Familie. Anatol, ein ruheloser Spaziergänger durch wiener
Abenteuer: auf der Gasse, im Restaurant, in verschwiegenen Zimmern,
die für den Moment der Liebe eingerichtet sind; niemals zuhause, nie
eigentlich bei sich, immer unstet. Die „Liebelei" ins Tragische gewendet,
aber noch immer Abenteuer, von außen geholt — das ist ja der Sinn
des Stückes und dabei merkwürdigerweise ein flüchtig bedauernder Blick
auf eine Familie — aber auf eine fremde, in der man nicht verweilen
kann, und die im Grunde nichts ist als eine — ziemlich verzeichnete —
Staffage zur Kahlenberg=Landschaft und zum Volksgarten=Abenteuer.
Nun kommt aber ein ernsthafter Schritt in die offene Welt hinaus, in
die Feindseligkeit des Lebens. Das ist „Freiwild“, die Auseinander¬
setzung mit der Frage des Duells. Und nirgends, in keinem andern
seiner Stücke war Schnitzler so sehr genötigt, den Impuls durch Dialektik
zu ersetzen, das Geschehnis aus Gedanken zu erzeugen, wie eben hier,
wo der Feind von außen, aus der Welt der Anschauungen und Instinkte
kommt, in der der Dichter niemals wirklich zuhause war. Und nun geht
seine Kunst, selbstsicher und voll wärmster Zärtlichkeit, immer lieber,
immer ausschließlicher auf den Kreis der Wenigen, der Gleichfühlenden
und Gleichgebildeten zu, in dem sie ihre eigensten Probleme, ihre heiligsten
Schmerzen, ihr nächstverwandtes Glück findet. Das Beste und Tiefste,
was Schnitzler seither geschaffen hat, ist in dieser Atmosphäre reicher
und gebildeter Bürgerhäuser gereift. Wie ein Symbol dieser Entwicklung
sieht es aus, daß im „Vermächtnis“ die fremde Geliebte aus der Welt
der Abenteuer in die gute Familie hineingeworfen wird und da vergeht
und erstickt, wie eine Flamme ohne Luft. Das ist wie eine letzte mit¬
leidige Abrechnung mit den Menschen einer andern Kultur. Denn von
jetzt ab geht seine Kunst, auch im Kostüm ferner Zeiten, nur mehr den
Problemen nach, die in dem verfeinerten Leben seiner Klasse aus den
beklemmend vielfältigen Instinkten seiner Art ausblühen. Es sei denn,
Die Schaubühne
daß es sich um den glitzernden Wurf eines Witzes handelt, wie in
„Lueratur“, oder um den meisterlich verschränkten Bau einer hochgipfelnden
Antithese, wie im „Grünen Kakadu“. Das sind freie Turnübungen, die
sich der genialische Witz, dieser liederliche Bruder der scharfen Dialektik,
ein wenig abseits vom Zentrum der Probleme gestattet. Sonst aber
wird immer, in Angst oder Zweifeln oder Trauer, nach der Wirklichkeit
und dem Bestand alles dessen gefragt, was diesen Menschen teuer und
süß ist im Leben. Nach der Wirklichkeit der Treue im „Paracelsus;
nach'der Wirklichkeit der verliebten Freude in der „Gefährtin“; nach dem
Bestand der Schönheit und des gewollten Genusses im „Schleier der
Beatrice"; nach der Wirklichkeit und dem Bestand des erotischen Erleb¬
nisses im „Reigen“. Und im „Einsamen Weg“ endlich, dem reichsten
und bedeutendsten seiner Dramen, werden die höchsten Lebenswerte
dieses zu Ende kultivierten Bürgertums gegeneinander abgewogen; bange
zweifel prüfen jedes Glück und finden jedes zu leicht, das nicht auf der
warmen Nähe guter Menschen ruht. Eine grausame Angst vor der Ver¬
lassenheit, vor den Tücken eines ungreifbaren Schicksals entflieht da in
den erträumten Schutz eines idealen Zusammenseins. Die Unstetigkeit in
der Welt und die Treue zum Haus, diese Erbschaft der jüdischen Seele,
spricht hier, in Schnitzlers tiefster Dichtung, mit der stärksten und klarsten
Stimme.
Was er, als assimiligeter Wiener, seiner Kraft der Anpassung und
wieder seiner Fremdheit gegen die „Fremden“ dankt, ist klar: zunächst
den Stil und Ton seiner Werke, dieses sublimierte Wienertum; dann
aber, auf der andern Seite, die unverrückbare Distanz, die ihn erst be¬
fähigt, diesen Stil zu bilden, dieses Wienertum zu sublimieren. Nur
als Wiener eines andern Stammes war er imstande, der Dichter der
wiener Bourgeoisie zu werden: denn unsre echtgeborene Bourgeoisie hat,
wie jede andre, die sonderbare Eigenschaft, daß sie sich selbst nicht
künstlerisch sehen und empfinden kann. Und wer weiß, wie mächtig und
umgreifend er das, wofür er geschaffen zu sein scheint, erfüllen könnte,
wäre nicht, als eine weitere, fatalere Erbschaft seines Blutes, die fanatische
Liebe zum Leben der Person und doch auch die unfrohe Scheu vor allem
stark Lebendigen in ihm. Das gibt allen seinen Menschen die raffinierte
Vertiefung in sich selbst, die bis zur äußern Unbeweglichkeit entartet.
Sie wissen von sich, ihrem Leben und Lebenwollen so erstaunlich, so un¬
aufhörlich viel, daß dieses Wissen ihre Instinkte fast ganz verzehrt und
keinen Antrieb zur Aktion übrig läßt. Mit dieser Gabe, auf dem schmalen
Gebiet einer bewegungsarmen Handlung möglichst tief und möglichst
scharf in die Seelen der Handelnden schauen zu lassen, ist er der geborene
Novellist. Und in der Tat wird ihn heute kaum ein Meister der psycho¬
logischen Erzählung übertreffen. Nur schade, daß auch seine Dramen
fast durchaus diesen novellistischen Zug beibehalten, wo nicht die Kraft