II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 196

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20. Zuischensniel
Schanbühne
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des Witzes oder der Dialektik die Vehemenz der Aktion ersetzen kann.
Das geht so weit, daß er, wo die Fabel reicher, das äußere Leben be¬
wegter werden soll, den Stoff, ganz wie im Roman, von verschiednen
Seiten zugleich angreifen, die Motive nebeneinander ordnen muß, bevor
er sie dramatisch verknetet. Das sind die entscheidenden Mängel im
„Schleier der Beatrice" und im „Einsamen Weg“; sie haben zweifellos
den Erfolg verhindert. Stark ausschreiten und in grader Linie die
Bahn vollenden, das kann seine sorgsam tastende Nachdenklichkeit nicht.
So bleibt es bei Feinheit, Stille und Tiefe; die gewaltige Spannung
der Kraft, die das Drama wie ein selbständiges, naturgeborenes Leben
hinausschleudert, die fehlt immer.
Sie fehlt auch in seiner neuen Komödie „Zwischenspiel“. Ja hier
rücken die Personen noch ängstlicher, noch näher als sonst zusammen,
verkehren sozusagen nur Seele an Seele miteinander; jedes äußere Ge¬
schehen ist bis auf geringste Spuren verwischt und ausgelöscht. Es ist
das kurze Zwischenspiel eines Abschieds von der Liebe, mit allem
Reichtum der wechselnden Gefühle, der prüfenden und irrenden Gedanken.
Zwischen Mann und Weib spielt dieses Drama; ein Künstler und eine
Künstlerin. Beide von feinster Kultur der Seele, von erlesenster innerer
Delikatesse. Aber der Mann wird durch seine Sinnlichkeit irre, während
die Frau. im tiefsten schamhaft und dadurch zu größerer Wahrheit gegen
sich selbst gezwungen, vor der Verwirrung des Gefühls bewahrt bleibt.
So gehen die beiden, einander suchend, einander fordernd, im Mi߬
verstehen ihrer Herzen aneinander vorbei. Der Mann wendet sich zuerst
und entschiedener ab. Er gibt die Liebe zu seiner Frau verloren, weil
seine Sinne schnell und laut für eine andre sprechen. Nun soll eine
Freundschaft in der Ehe errichtet werden, aus menschlichem Verstehen
und künstlerischer Verehrung aufgebaut, durch Freiheit und Wahrheit ge¬
festet. Die Frau, schamvoll noch in ihrer stärksten Sehnsucht, verschweigt
ihr Gefühl, das im Grunde noch immer die alte starke Liebe ist, nur
von den Wünschen und Gedanken des Mannes verschüchtert. Sie scheiden
also, mit dem Versprechen der Wahrheit, das sie schon nicht halten
können; denn ihre ausgeklügelte Freundschaft ist gar keine. Und da sie
nun wieder zusammentreffen, geschieht es, daß der Mann von der wieder¬
erwachten Sehnsucht seiner Sinne auf die Frau, die seine Freundin sein
soll, gehetzt wird. Er nimmt sie, wie man eine Geliebte nimmt, wie die
Geliebte eines andern, wie die Eroberung einer heißen Minute. Und
jetzt hat er diese Frau verloren, weil er sie so besessen hat. Die Lüge
der Freundschaft ist von ihm selbst zerstört, und ihre Liebe, die bisher
rein geblieben ist, kann den Betrug an ihrer Scham nicht überleben. Es
war ihm fürchterlich, zu denken, daß sie sich einem andern gegeben hätte.
Da dies nicht ist, will er sie als sein Eigentum für sich haben. Sie
aber weiß, daß alles aus sein muß, Freundschaft, Liebe und Ehe; daß
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Die Schaubühne
dieser Irrtum seiner Sinnlichkeit nicht mehr gut gemacht werden kann,
daß dieses Zwischenspiel in sich verwirrter Gefühle ein Ende war. Und
sie verläßt ihn.
Dieses komplizierte Erlebnis zweier Menschen wird in großen Ge¬
sprächen voll weiser Worte, voll klarer Erkenntnis und graziöser Wen¬
dungen entwickelt. Nur der tiefe Ernst, die dialektische Gewichtigkeit, die
Schnitzler für jede geringste Nuance seiner erotischen Psychologie auf¬
wendet, haben es verhindert, daß aus dieser schwer gedankenvollen
Komödie ein schwebend leichtes, körperlos zartes Lustspiel geworden ist.
Denn in so ätherischen Regionen der Empfindlichkeit verlieren die Gefühle
beinahe schon ihre natürliche Schwere und treiben hinauf, in die Sphären
des göttlich Heitern, statt zu den ewig menschlichen Leiden hinunter¬
zuziehen. Aber die Gewichte der Logik und die Klammern der Schicksals¬
furcht hemmen diesen Flug. Wie auch immer: dieses Drama ist zweifellos
eines der subtilsten der ganzen modernen Literatur. Man wird an ihm
erkennen müssen, daß heute kein deutscher Dichter es wie Schnitzler ver¬
steht, aus dem ungreifbarsten Material, aus den Bewegungen wohl¬
gebildeter Seelen, ein Drama aufzubauen. Das „Zwischenspiel“ ist der
kristallklare, ganz reinlich demonstrierte Beweis für diese seltene und
feine Kunst. Von einen andern Stücken mag eines reicher, eines stärker,
manches lebendiger sein. Dieses ist sicherlich sein durchsichtigstes, reinstes
und vornehmstes.
Das Stück hat, wie jedes richtige psychologische Drama, eine sehr
zarte innere Musik, die eigentlich seine wesentlichste Schönheit, seinen
bleibenden künstlerischen Effekt ausmacht. Bei der Aufführung an unserm
Burgtheater war die Harmonie dieser Musik einigermaßen gestört.
Zunächst durch die Diskrepanz der beiden Hauptdarsteller selbst: Kainz¬
und Fräulein Witt. Körperlich, geistig, seelisch stimmen sie nicht zu¬
einander. Nur eines haben sie gemeinsam: eine gewisse vehemente
Schärfe im Affekt. Und grade das zerschnitt und zerstach nur zu oft die
weichen Schleier der Noblesse und verständigen Stille, die über die
schmalen Abgründe zwischen diesen Menschen gezogen sind. Natürlich
vermochte Kainz dabei, in seiner wunderbaren Geschmeidigkeit und Spann¬
kraft, jeder Bewegung des Gewissens, jedem Zittern der Seele, jeder
Ahnung des Geistes ein helles mimisches Licht und einen eignen Ton
zu geben, während Fräulein Witt, spröde und wenig bewegt, bei der
korrekten Abwicklung des Dialogs stehen bleiben mußte. Freilich ist
dabei nicht zu vergessen: was dieses ungeheure, mit dem Prunk einer
frühern Zeit lärmende Haus an Feinheit verschluckt, an Diskretion ver¬
bietet, das darf gerechterweise nicht von der beseelten Vornehmheit seiner
Künstler abgestrichen werden. Und so fürchte ich fast, die Psychologie
wird am neuen wiener Burgtheater niemals heimisch werden.
Willi Handl.