20. Zuischenspiel
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roblem der Liebe und der Ehe, von denen darin in zwar
leichten und seinen Plauderstunden gesprochen wird. Das
alte Lied: was für den Mann ein Stück des Lebens ist, ist
für die Fran das Leben selbst. Der Mann, von unaustilg¬
baren polygamistischen Instinkten getrieben, kann wohl
Liebe und Ehe, Leidenschaft und Treue scheiden, kann wohl in
sich die Kraft und Sicherheit fühlen, nach einer erotischen
Episode zu dem tieferen Gefühl zurückzukehren, das ihn an
die Gefährtin des Lebens bindet, und dessen innere Fäden
auch während des „Zwischenspiels“ nicht zerrissen waren.
Die Frau wird das nie ganz verstehen, ja mehr, sie darf es
garnicht verstehen; denn wenn sie es versteht, so hat es meist
seine Gründe. Der Kapellmeister Amadeus Adams und
seine Gattin Cäcilie, ihres Zeichens berühmte und umwor¬
bene Opernsängerin, beschließen als freie Menschen, eine
Ehe der Wahrhaftigkeit zu führen, in der es unwürdige Ge¬
heimnisse nicht geben darf. So erstatten sie dann auch offen
einander Bericht, als Amadeus im Begriff ist, in die Netze
einer koketten singenden Gräfin zu gehen, und Cäcilie die
Neigung eines jungen fürstlichen Musikdilettanten zu er¬
widern beginnt. Zögernd geht die Frau, mit übermütigem
Siegesbewußtsein, der Mann darauf ein, die Konsequenzen
aus jener „Wahrhaftigkeit“ zu ziehen: man trennt sich auf
eine kurze Zeit in Freiheit und unter eigener Verantwor¬
tung wie Ibsen sagen würde. Aber als das Zwischenspiel
vorüber,gt sich die Verwirrung. Amadeus hat sorglos
sein Abenteuer bis zur Neige ausgekostet. Ernüchtert und
mit neuer, verstärkter Sehnsucht will er sich der Gattin wie¬
der nähern, die selbst dem Gatten im Sinne des Gesetzes
nicht die Treue gebrochen, deren ganzes Wesen aber in der
verhängnisvollen Zeit der Freiheit durchrüttelt und ver¬
ändert worden. Ihr Frauengefühl sträubt sich gegen die
autokratische Herrenmoral des Gatten, der zuerst im Sin¬
nenrausch des Wiedersehens leidenschaftlich ihrer begehrt,
sodann, aus dem Rausch erwachend, ihr Leben während der
Zwischenzeit mit ungerechter Eifersucht durchstöbert, und
seines bru¬
schließlich, als er die Grundlosigkeit
talen Verdachts erkennt, Cäcilie wieder dauernd
an sich fesseln will, wie Hellmer es mit Nora
versucht. Zu vieles liegt dazwischen: die episodische Tren¬
nung wird zur dauernden; sie „lassen sich nicht scheiden“ sie
Aus dem als Scherzo angelegten
„scheiden sich“
Zwischenspiel ist ein Capriccio doloroso geworden. Diefen
Stoff hat Schnitzler mehr zu einer These, als zu einer drama¬
tischen Handlung verarbeitet. Das Stück hat nicht genug
eigene Bewegungskraft, um plastische Gestalt anzunehmen, es
braucht der Worte, um zu leben. So ist es mehr das, was
über die Dinge gesagt wird, was interessiert und packt, als
diese Dinge selbst. Aber es ist kein geringes Vergnügen, dem
liebenswürdigen Geistreichtum zu lauschen, der über diese
Dialoge ausgebreitet ist. Der Dichter hat dazu eine reichlich
sorglos=leichte Art der Behandlung gewählt, die in der Non¬
chalance des Szenenaufbaus sehr weit geht, an einer knifflichen
Stelle zu Beginn des dritten Aktes sich nur mit einem regel¬
rechten Monolog (er kehrt uns also selbst im modernen Drama
wieder!) aus der Verlegenheit hilft und durch die Einführung
eines raisonnierenden Dichters, der Schnitzlers eigene Ab¬
sichten lustig zu ironisieren hat, dafür sorgt, daß auch der
Zuschauer das Ganze nicht zu schwer nimmt. Demgegen¬
über wirkte jedoch der sehr ernsthafte Schluß, der einem
Mann von dem Geschmack und der Lebenskultur des Wiener
Dichters allein übrig blieb, als eine Dissonanz, und so kam
es, daß das Publikum, das den ersten beiden Akten mit ge¬
spannter Anteilnahme folgte und den Verfasser oftmals vor
die Gardine rief, dem dritten mit geteilten Gefühlen gegen¬
überstand. Die Darstellung des Leising=Theaters zeigte
wieder, daß die Kunst des modernen Dialogs und des intimen
Zusammenspiels nirgends so gut aufgehoben ist wie an dieser
Bühne. Albert Bassermann zog als Amadeus alle
Register seiner immer von neuem erstaunlichen Charakteri¬
sierungskunst, aber die Details seiner analysierenden Min¬
schenmalerei waren diesmals überwunden und zu einem ver¬
blüffend lebenswahren Ganzen verschmolzen. Dieser nei¬
vöse, triebhaft egoistische, bei aller Verfeinerung des seelischen
Lebens kindliche Musiker schien nicht mehr auf den Brettern
zu stehen. Irene Triesch als sein Widerspiel hob die
Schnitzlerische Gestalt der Frau zu einer typischen Höhe empor,
die auf ihr Konto zu setzen ist. Ihre Sehnsucht und ihr
Stolz, ihre Leidenschaft und ihre Kraft des Entschließens
ordneten sich mit außerordentlicher Kunst zu einer organischen
Reihe. Herr Reicher als Raisonneur Albertus Rhon, der
immer auftritt, wenn es nötig ist, erledigte dies Amt als
meisterhafter Sprecher. Die Darsteller der fürstlich=gräf¬
lichen Nebenfiguren, Fräulein Schiff und Herr Grun¬
wald, hätten ein gut Teil aristokratischer und verführeri¬
scher sein dürfen. Auch die Gattin des Albertus, die Frau
Pauly spielte, hätte etwas weniger Hausbackenheit und !
etwas mehr wienerische Grazie entsalten sollen.
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roblem der Liebe und der Ehe, von denen darin in zwar
leichten und seinen Plauderstunden gesprochen wird. Das
alte Lied: was für den Mann ein Stück des Lebens ist, ist
für die Fran das Leben selbst. Der Mann, von unaustilg¬
baren polygamistischen Instinkten getrieben, kann wohl
Liebe und Ehe, Leidenschaft und Treue scheiden, kann wohl in
sich die Kraft und Sicherheit fühlen, nach einer erotischen
Episode zu dem tieferen Gefühl zurückzukehren, das ihn an
die Gefährtin des Lebens bindet, und dessen innere Fäden
auch während des „Zwischenspiels“ nicht zerrissen waren.
Die Frau wird das nie ganz verstehen, ja mehr, sie darf es
garnicht verstehen; denn wenn sie es versteht, so hat es meist
seine Gründe. Der Kapellmeister Amadeus Adams und
seine Gattin Cäcilie, ihres Zeichens berühmte und umwor¬
bene Opernsängerin, beschließen als freie Menschen, eine
Ehe der Wahrhaftigkeit zu führen, in der es unwürdige Ge¬
heimnisse nicht geben darf. So erstatten sie dann auch offen
einander Bericht, als Amadeus im Begriff ist, in die Netze
einer koketten singenden Gräfin zu gehen, und Cäcilie die
Neigung eines jungen fürstlichen Musikdilettanten zu er¬
widern beginnt. Zögernd geht die Frau, mit übermütigem
Siegesbewußtsein, der Mann darauf ein, die Konsequenzen
aus jener „Wahrhaftigkeit“ zu ziehen: man trennt sich auf
eine kurze Zeit in Freiheit und unter eigener Verantwor¬
tung wie Ibsen sagen würde. Aber als das Zwischenspiel
vorüber,gt sich die Verwirrung. Amadeus hat sorglos
sein Abenteuer bis zur Neige ausgekostet. Ernüchtert und
mit neuer, verstärkter Sehnsucht will er sich der Gattin wie¬
der nähern, die selbst dem Gatten im Sinne des Gesetzes
nicht die Treue gebrochen, deren ganzes Wesen aber in der
verhängnisvollen Zeit der Freiheit durchrüttelt und ver¬
ändert worden. Ihr Frauengefühl sträubt sich gegen die
autokratische Herrenmoral des Gatten, der zuerst im Sin¬
nenrausch des Wiedersehens leidenschaftlich ihrer begehrt,
sodann, aus dem Rausch erwachend, ihr Leben während der
Zwischenzeit mit ungerechter Eifersucht durchstöbert, und
seines bru¬
schließlich, als er die Grundlosigkeit
talen Verdachts erkennt, Cäcilie wieder dauernd
an sich fesseln will, wie Hellmer es mit Nora
versucht. Zu vieles liegt dazwischen: die episodische Tren¬
nung wird zur dauernden; sie „lassen sich nicht scheiden“ sie
Aus dem als Scherzo angelegten
„scheiden sich“
Zwischenspiel ist ein Capriccio doloroso geworden. Diefen
Stoff hat Schnitzler mehr zu einer These, als zu einer drama¬
tischen Handlung verarbeitet. Das Stück hat nicht genug
eigene Bewegungskraft, um plastische Gestalt anzunehmen, es
braucht der Worte, um zu leben. So ist es mehr das, was
über die Dinge gesagt wird, was interessiert und packt, als
diese Dinge selbst. Aber es ist kein geringes Vergnügen, dem
liebenswürdigen Geistreichtum zu lauschen, der über diese
Dialoge ausgebreitet ist. Der Dichter hat dazu eine reichlich
sorglos=leichte Art der Behandlung gewählt, die in der Non¬
chalance des Szenenaufbaus sehr weit geht, an einer knifflichen
Stelle zu Beginn des dritten Aktes sich nur mit einem regel¬
rechten Monolog (er kehrt uns also selbst im modernen Drama
wieder!) aus der Verlegenheit hilft und durch die Einführung
eines raisonnierenden Dichters, der Schnitzlers eigene Ab¬
sichten lustig zu ironisieren hat, dafür sorgt, daß auch der
Zuschauer das Ganze nicht zu schwer nimmt. Demgegen¬
über wirkte jedoch der sehr ernsthafte Schluß, der einem
Mann von dem Geschmack und der Lebenskultur des Wiener
Dichters allein übrig blieb, als eine Dissonanz, und so kam
es, daß das Publikum, das den ersten beiden Akten mit ge¬
spannter Anteilnahme folgte und den Verfasser oftmals vor
die Gardine rief, dem dritten mit geteilten Gefühlen gegen¬
überstand. Die Darstellung des Leising=Theaters zeigte
wieder, daß die Kunst des modernen Dialogs und des intimen
Zusammenspiels nirgends so gut aufgehoben ist wie an dieser
Bühne. Albert Bassermann zog als Amadeus alle
Register seiner immer von neuem erstaunlichen Charakteri¬
sierungskunst, aber die Details seiner analysierenden Min¬
schenmalerei waren diesmals überwunden und zu einem ver¬
blüffend lebenswahren Ganzen verschmolzen. Dieser nei¬
vöse, triebhaft egoistische, bei aller Verfeinerung des seelischen
Lebens kindliche Musiker schien nicht mehr auf den Brettern
zu stehen. Irene Triesch als sein Widerspiel hob die
Schnitzlerische Gestalt der Frau zu einer typischen Höhe empor,
die auf ihr Konto zu setzen ist. Ihre Sehnsucht und ihr
Stolz, ihre Leidenschaft und ihre Kraft des Entschließens
ordneten sich mit außerordentlicher Kunst zu einer organischen
Reihe. Herr Reicher als Raisonneur Albertus Rhon, der
immer auftritt, wenn es nötig ist, erledigte dies Amt als
meisterhafter Sprecher. Die Darsteller der fürstlich=gräf¬
lichen Nebenfiguren, Fräulein Schiff und Herr Grun¬
wald, hätten ein gut Teil aristokratischer und verführeri¬
scher sein dürfen. Auch die Gattin des Albertus, die Frau
Pauly spielte, hätte etwas weniger Hausbackenheit und !
etwas mehr wienerische Grazie entsalten sollen.