II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 217

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20. Zuischensniel
M J. Im Lessing=Theater wurde gestern Artur Schnitzlers
(Zwischenspiel“ — ein Schauspiel mit der irreführenden Be¬
seichnung Komödie — mit lebhaftem, erst zum Schluß bestrittenem
Beifall begrüßt. Es entpuppte sich als eine eheliche Aus¬
inandersetzung in drei Akten, fast völlig ohne äußere
handlung. In dieser Feststellung ist nur für den Dick¬
käuter ohne weiteres ein Tadel verborgen, denn zwischen zwei
ins Auge
Menschen, die still am Kamin sitzen und sich
blicken, kann sich mehr Handlung abspielen als bei einem
Stiergefecht oder bei einer Elefantenjagd. Die elementaren
Mächte der Seele bedürfen, das wissen wir alle, keiner Dolche und
Pistolen, um sich Schlachten zu liefern. Aber sie müssen in
Wahrheit mit Lust und Kraft zum Kämpfen beseelt sein.
Daran läßt es Schnitzler fehlen, oder deutlicher, es fehlt
ihm daran. So hat der liebenswerte Wiener uns auch gestern
wieder ein feines, zartes, nachdenkliches Werk beschert, nicht mehr. Die
Bühne aber verlangt mehr als Feinheit, Zartheit, Nachdenklichkeit. Sie
erheischt Kampf und Ringen, in Außenwelt oder Innenwelt. Schnitzlers
Ehepaar indessen, der Komponist Amadens und die Sängerin Cäcilie,
spielt miteinander, statt zu kämpfen. Der Autor jedoch steht
in Person dabei. In der Gestalt eines Raisonneurs, des
Dramatikers Albertus, hört er als Vertrauensmann beider
Parteien der Debatte zu. Erfährt, daß Amadevs mit einer
gräflichen Kokette, Cäcilie mit einem fürstlichen Junker
liebelt. Erfährt, daß Mann und Frau sich frei geben, frei zu Kamerad¬
schaft und Freundschaft. Er sieht den Mann bald von seiner Leiden¬
schaft geheilt zur Frau zurückkehren, sie aufs neue erobern. Aber er
sieht auch, daß die Rechnung nicht so glatt aufgeht, wie Amadens meint.
Denn Cäcilie ist ihm treu geblieben, der Fürst selbst sagt es ihm, als er
ihn zur Rechenschaft ziehen will. Jetzt aber löst sie, nach der letzten
Wiedervereinigung, den Bund auf. Sie läßt sich nicht scheiden, so
sagt sie selbst, aber sie scheidet. Denn sie will die Gemeinschaft nicht
zur banalen Durchschnittsehe, mit Entfremdung und Versöhnung im
Wechsel, herabwürdigen.
Der Autor, in der Maske des Albertus, hört das alles in Ruhe
an. Er regt sich nicht sonderlich darüber auf, lieber benutzt er den
Anlaß, eine Reihe gescheiter und witziger Einfälle zum besten zu
geben. Spiel und Wirklichkeit, Leben und Literatur gleiten wieder
einmal wie oft bei Schnitzler durcheinander. Der Stückeschreiber und
der Weltenlenker treten in Wettbewerb miteinander, und der Autor
nimmt bei dieser Konkurrenz kollegialisch Partei für den Berufsgenossen.
Er selbst ist der Raisonneur, in dem er sich, freiwillig oder unfreiwillig,
ein wenig karikiert hat. Denn so gelassen, so witzig und in so blasierter
Müdigkeit wie Albertus sieht auch er dem Spiel seiner Figuren zu
Haß, Liebe, Leidenschaft verlieren alle Lebendigkeit, alle
Elementarkraft, alle Brutalität. Die Giftzähne find ihnon aus.
gebrochen, und wohldressierte Haustiere statt der Bestien
bleiben übrig. Denn der weltmännische, leichte Ton des Autors
teilt sich naturgemäß bald seinen Gestalten mit. Ironie bricht
der Empfindung die Spitze ab. Im entscheidenden Moment verfällt
Amadeus, im Wetteifer mit dem Freunde, aufs Witzemachen oder
auf marklose Weinerlichkeit, die letzte Zuflucht dieser wienerischen
Poesie.
So fehlt dem Kampf zwischen Mann und Frau der letzte Ernst
und die letzte Tiefe. Was übrig bleibt, ist zwar kein Drama,
aber ein zierliches Kunstwerk voll delikater Feinschmeckerreize. Die
subtile, psychologische Feinheit, die Artur Schnitzler in die erste
Reihe der deutschen Poeten stellt, feiert auch hier ihre Triumphe.
Geistreiche Worte und Wendungen über Frauentreue und Männer¬
wankelmut, über Freundschaft und Duell blitzen auf. Ein reifer.
kluger Kenner beleuchtet in einem entzückend pointierten Dialog den
Krieg zwischen Adam und Eva, der so alt wie die Welt ist.
Er verzichtet, nicht ohne ironischen Hinweis, auf billige sentimentale
Lösungen, etwa auf das entscheidende Eingreifen des fünfjährigen
Peterl. Er darf auch über das Publikum spaßen, das den Helden
am Schluß auf der Hochzeit oder in Teufels Krallen sehen will. Wenn
er nur nicht in Spiel und Spaß sich und seinen Gestalten die Kraft,
den Wagemut und den primitiven Trieb unverkünstelter Affekte
fortscherzen wollte!
Am Tisch oder im Schaukelstuhl des einsamen Lesers ist diese mit
Unrecht dramatisierte Meisternovelle ihres Erfolges gewiß. Auf der
Bühne kann sie nur das Spiel bedeutender Darsteller vor der Un¬
geduld der Hörer schützen. So ging es ihr erfreulicherweise gestern,
da Albert Bassermann und Irene Triesch das
musikalische Ehepaar spielten.
(Kein Lobeswort ist für ihre Leistungen zu hoch. Gleich im
Anfangsakt entzückten das seine Widerspiel des Manues, dessen
Gedanken unablässig bei seiner koketten Sünderin weilen,
und das ängstlich=gespannte Lauschen der Frau auf alle
Wahrzeichen entfliehender Gattenliebe. Im zweiten Aufzug offen¬
barte sich Irene Trieschs Leidenschaft, aller Kühle der
Dichtung zum Trotz, in einer Vision künftiger fessel¬
loser Genußfreude. Am Schluß aber leuchtete Bassermanns
intimste Kunst, wie der feinfühlige Musiker sich die Tränen mühsam
verbiß. In dieser prachtvollen Weichheit des Gefühls war das echte
Wienertum verborgen, dessen Mundart der Darsteller so launisch
andentete.
Als Raisonneur brachte Emanuel Reicher seine Pointen
trocken und wirksam, wenn auch ein wenig zu einfältig
im Ton heraus. Die gefährliche Rolle des Fürsten war Herrn
Grunwald anvertrant. So wenig durchlauchtig er wirkte, so
diskret führte er seine Partie, als er beim Gatten um die Hand¬
der Gattin bat, an der Grenzlinie der Komik vorüber.