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20. Zuischensniel
und täuschen sich mit großen Worten über sehr kleinliche Be¬
gehrlichkeit hinweg. Sie wähnen ihr Schicksal fest in die Hand¬
zu nehmen und es nach eigenem Wohlgefallen zu gestalten, und
der Zuschauer sieht alsbald, daß sie nur Spielbälle ihrer eige¬
7 Feuilleton.
nen Leidenschaften sind. Ich glaube, es gibt wenige Szenen
in der modernen deutschen Dramatik, die mit so sonveränem
Können, mit scheinbar so einfachen Mitteln so sicher gestaltet
Berliner Theater.
sind. Der große Auftritt des zweiten Aktes führt die beiden
dann, nachdem sie eine zeitlang getrennt gelebt und einander
(Bessingtheater: „Zwischenspiel.“ Komödie in 3 Alten von
fremd geworden sind, zu heißem, flüchtigem Liebesrausch zu¬
Arthur Schnitzler.)
sammen. Psychologisch ist auch hier alles wohlbegründet, aus¬
Berlin, 26. November.
reichend motiviert; nur wünschie man sich vollere Farbenge¬
bung, mehr irrationelle Leidenschaft als rechnungssichere Re¬
Es ist ein tiefernstes Drama, das von der Heiligkeit der
flektion.
Ehe, das Shge geschrieben hat. Zwei „moderne“
Das eigentliche Problem der Dichtung löst der dritte
Menschen, die ihre Ehe ganz und allein auf Wahrheit zu grün¬
Akt. Es ist das gleiche Problem wie in Goethes „Wahlverwandt¬
den wähnten, geben sich frei, da die Versuchung gleichzeitig an
schaften". Die Frau sagt zu ihrem Mann: „Was ist es denn,
sie beide herantritt, und wandeln ihre eheliche Gemeinschaft
was mich mit einem Male für Dich so begehrenswert machte?
in eine bequeme Kameradschaft; er stürzt sich in das erste beste
Nicht, daß ich Cäcilie war, — nein: daß ich als eine andere
Abenteuer, sie spielt mit dem Gedanten daran; die Leidenschaft
wiederzukommen schien. Und war ich denn wirklich Dein?
einer Wiedersehens=Stunde führt sie zusammen, um sie nach dem
Ich war es nicht. Oder bist Du so bescheiden geworden mit
kurzen Rausch einer flüchtigen Nacht für immer von einander
einem Mal, daß Dir ein Glück genügte, das zur selben Stunde
zu trennen. Es ist ein tiefernstes Trama, das Schnitzler in
sich vielleicht auch ein anderer hätte holen können, wenn er
seinem „Zwischenspiel“ gegeben hat, und er nannte es
Der Mann hat den Ehebruch begangen,
nur dagewesen wäre?“
eine Komödie. Warum:
die Frau nur mit dem Gedanken daran gespielt: es ist tief
Pilatus gibt die Antwort mit seiner Frage: Was ist Wahr¬
menschlich wahr, daß sie es trotzdem ist, die es empfindet,
heit? Ist es möglic, in ehelichem Zusammenleben einander
daß ihre Ehe entheiligt worden ist. Zwei „moderne" Menschen,
stets die volle Wahrheit zu sagen? Schnitzler gibt lächelnd
die über alles Phrasentum erhaben zu sein glaubten, die keine
eine ausweichende Antwort, vielleicht ist's möglich. Das
äußeren und keine moralischen Bedenken gelten ließen, die
Schlimme aber ist, daß wir die Wahrheit über uns selbst, die
ihre eheliche Gemeinschaft zu versönlicher Freiheit erheben woll¬
wir bekennen wollen und sollen, nicht tennen. Darum ist dies
ten, wohin sahen sie sich geführt? Ihre Ehe ist zu einem Kon¬
Drama seiner Natur nach Komödie, weil sich das Wollen der
kubinat geworden. Sie haben ein nächtliches Abenteuer mit
Menschen wider sich selbst kehrt, weil diese beiden, die sich in
einander gehabt. Der Treubruch hat sich an ihnen gerächt,
kleinem Nachen mutig auf das Meer des Lebens begeben, nicht
wie an allen andern. Es gibt keine „modernen“ Menschen, es
wissen, daß der Boden ihres Schiffleins nur aus Popier be¬
gibt nur Menschen
steht. Eine Tragödie also hat Schnitzter geschrieben, die zu¬
Wer es nicht fühlt, daß die Lösung, die Schnitzler seinem
gleich Komödie sein mußte. Diese schwere Aufgabe künstlerisch
Drama gegeben hat theoretisch die einzig mögliche, die gebotene,
zu bewältigen, hat sich der Dichter des „Grünen Kakadn“ eines
ist, dem fehlt jene Einsicht in das menschliche Sittengesetz, ohne
Kunstariffs bedient. Der Heid seines Dramas ist Kapell¬
die Kunstverständnis im tieferen Sinne unmöglich ist. Indem
meister, er stellt iihm einen Freund zur Seite, mit dem
jene beiden, da sie sich fremd geworden waren und eine fremde #.
jener gemeinsam an einer Oper arbeitet, und der Dichter
Lüsternheit sie zu einander zwang, ihre ehelichen Rechte zur
ist. Dieser Dichter betrachtet alles, was der Held will, erlebt
Deckung eines galanten Abenteuers mißbrauchten, zwangen
und erleidet, unter dem Gesichtspunkt des „drematischen Stof¬
sie ihre Ehe nicht nur auf das Niveau des Ehebruchs here“,
Die Vorgänge selbst also we#den mit dem Gedanken¬
fes“.
sondern wenn möglich noch tief darunter, weil ihre Cmein¬
spiel konfrontiert, es entsteht jenes romantische Durcheinander
schaft früher eine andere, bessere gewesen war. Die Frau be¬
von Sein und Schein, die Bühnenwirklichkeit wird Spiel und
greift es sofort, der Mann wird es einsehen lernen: sie müssen
Spiel zu Wirklichkeit, die Tragödie darf als Komödie in Er¬
sich trennen. Theoretisch gibt es keine andere Lösung.
scheinung treten. Schnitzlers psychologisch feine, dem Wesen
der selbstgeschaffenen Menschen stets überlegenbleibende Kunst.
Künstlerisch ist es Schnitzler nur zum Teil gelungen,
feiert ihre Triumphe in jener Szene des erstenAktes, in der das
seine Lösung menschlich zwingend erscheinen zu lassen. Dieser
Ehepaar freiwillig seine Gemeinschaft in Kameradschaft wan¬
seine Psychologe abstrahiert zuweilen allzusehr von dem, was
delt. Der Mann glaubt in edler Resignation seiner Frau nur
die irrationellen Triebe über den Menschen vermögen. Er
die ihr gebührende Freiheit zu geben, und handelt dennoch nur
hat sich seine Lösung bequem gemacht, indem er die Leiden¬
aus dem Wunsch des Augenblicks, aus dem frechen Verlangen
schaften zu rechter Stunde schweigen hieß. Anstelle eines
einer flüchtigen Stunde heraus, das ihn zu einer andern
zicht. Sie meinen beide, wahr zu sein, und belügen sich selbst] heißen Kampfes steht eine theoretische Auseinandersetzung.
BE
Wohl ist es noch sehr sein erdacht,
alles gern geschehen ließ, nun, nach
seiner Frau gehabt, ihren mumaßli
unter dem Schein des Zweikampfs
recht bühnengemäß ist auch das schor
gebracht. Siehen sich schljeßlich abs
gegenüber, so gilt es nur noch di
Calculs. Was lebte, wird zu e
Vielleicht freilich könnte man gelte
Form des Dramas überhaupt nich
gebenen Konfliktes eigne. Sie wird
und Auseinandersetzung als einen
wo die Wirklichkeit, und ihr folgen
Sichausweichen, ein klagenden Sch#
hebt. Und damit stände man Schniß
über auf dem Punkte, wo man hins
Schauspiele stand: es ist in seinen
der Eigenart seiner konstruierenh
das über das Drama hinaus und
weist.
Die Aufführung des Lessing
bendig, sehr ausdruckssicher in der
renden Rollen durch Herrn Be
Triesch. Herr Bassermann zum
art zum Schnitzler=Darsteller besond
ner Poeten kennzeichnet ihn der Tu
der Reflerion. Etwas ärmlich nah
treter der Neveurollen aus. Herr
scheinung und Auftreten ein gar
Reicher gab den Dichter viel zu
komische Figur; die eigentliche Kraß
blieb ihm verborgen. Uebte aber
führungs= und trotz der eigenen M
fesselnde Wirtung aus, so scheint n
auch in Thaliens Reich die Gaben
achten sind.
— en
20. Zuischensniel
und täuschen sich mit großen Worten über sehr kleinliche Be¬
gehrlichkeit hinweg. Sie wähnen ihr Schicksal fest in die Hand¬
zu nehmen und es nach eigenem Wohlgefallen zu gestalten, und
der Zuschauer sieht alsbald, daß sie nur Spielbälle ihrer eige¬
7 Feuilleton.
nen Leidenschaften sind. Ich glaube, es gibt wenige Szenen
in der modernen deutschen Dramatik, die mit so sonveränem
Können, mit scheinbar so einfachen Mitteln so sicher gestaltet
Berliner Theater.
sind. Der große Auftritt des zweiten Aktes führt die beiden
dann, nachdem sie eine zeitlang getrennt gelebt und einander
(Bessingtheater: „Zwischenspiel.“ Komödie in 3 Alten von
fremd geworden sind, zu heißem, flüchtigem Liebesrausch zu¬
Arthur Schnitzler.)
sammen. Psychologisch ist auch hier alles wohlbegründet, aus¬
Berlin, 26. November.
reichend motiviert; nur wünschie man sich vollere Farbenge¬
bung, mehr irrationelle Leidenschaft als rechnungssichere Re¬
Es ist ein tiefernstes Drama, das von der Heiligkeit der
flektion.
Ehe, das Shge geschrieben hat. Zwei „moderne“
Das eigentliche Problem der Dichtung löst der dritte
Menschen, die ihre Ehe ganz und allein auf Wahrheit zu grün¬
Akt. Es ist das gleiche Problem wie in Goethes „Wahlverwandt¬
den wähnten, geben sich frei, da die Versuchung gleichzeitig an
schaften". Die Frau sagt zu ihrem Mann: „Was ist es denn,
sie beide herantritt, und wandeln ihre eheliche Gemeinschaft
was mich mit einem Male für Dich so begehrenswert machte?
in eine bequeme Kameradschaft; er stürzt sich in das erste beste
Nicht, daß ich Cäcilie war, — nein: daß ich als eine andere
Abenteuer, sie spielt mit dem Gedanten daran; die Leidenschaft
wiederzukommen schien. Und war ich denn wirklich Dein?
einer Wiedersehens=Stunde führt sie zusammen, um sie nach dem
Ich war es nicht. Oder bist Du so bescheiden geworden mit
kurzen Rausch einer flüchtigen Nacht für immer von einander
einem Mal, daß Dir ein Glück genügte, das zur selben Stunde
zu trennen. Es ist ein tiefernstes Trama, das Schnitzler in
sich vielleicht auch ein anderer hätte holen können, wenn er
seinem „Zwischenspiel“ gegeben hat, und er nannte es
Der Mann hat den Ehebruch begangen,
nur dagewesen wäre?“
eine Komödie. Warum:
die Frau nur mit dem Gedanken daran gespielt: es ist tief
Pilatus gibt die Antwort mit seiner Frage: Was ist Wahr¬
menschlich wahr, daß sie es trotzdem ist, die es empfindet,
heit? Ist es möglic, in ehelichem Zusammenleben einander
daß ihre Ehe entheiligt worden ist. Zwei „moderne" Menschen,
stets die volle Wahrheit zu sagen? Schnitzler gibt lächelnd
die über alles Phrasentum erhaben zu sein glaubten, die keine
eine ausweichende Antwort, vielleicht ist's möglich. Das
äußeren und keine moralischen Bedenken gelten ließen, die
Schlimme aber ist, daß wir die Wahrheit über uns selbst, die
ihre eheliche Gemeinschaft zu versönlicher Freiheit erheben woll¬
wir bekennen wollen und sollen, nicht tennen. Darum ist dies
ten, wohin sahen sie sich geführt? Ihre Ehe ist zu einem Kon¬
Drama seiner Natur nach Komödie, weil sich das Wollen der
kubinat geworden. Sie haben ein nächtliches Abenteuer mit
Menschen wider sich selbst kehrt, weil diese beiden, die sich in
einander gehabt. Der Treubruch hat sich an ihnen gerächt,
kleinem Nachen mutig auf das Meer des Lebens begeben, nicht
wie an allen andern. Es gibt keine „modernen“ Menschen, es
wissen, daß der Boden ihres Schiffleins nur aus Popier be¬
gibt nur Menschen
steht. Eine Tragödie also hat Schnitzter geschrieben, die zu¬
Wer es nicht fühlt, daß die Lösung, die Schnitzler seinem
gleich Komödie sein mußte. Diese schwere Aufgabe künstlerisch
Drama gegeben hat theoretisch die einzig mögliche, die gebotene,
zu bewältigen, hat sich der Dichter des „Grünen Kakadn“ eines
ist, dem fehlt jene Einsicht in das menschliche Sittengesetz, ohne
Kunstariffs bedient. Der Heid seines Dramas ist Kapell¬
die Kunstverständnis im tieferen Sinne unmöglich ist. Indem
meister, er stellt iihm einen Freund zur Seite, mit dem
jene beiden, da sie sich fremd geworden waren und eine fremde #.
jener gemeinsam an einer Oper arbeitet, und der Dichter
Lüsternheit sie zu einander zwang, ihre ehelichen Rechte zur
ist. Dieser Dichter betrachtet alles, was der Held will, erlebt
Deckung eines galanten Abenteuers mißbrauchten, zwangen
und erleidet, unter dem Gesichtspunkt des „drematischen Stof¬
sie ihre Ehe nicht nur auf das Niveau des Ehebruchs here“,
Die Vorgänge selbst also we#den mit dem Gedanken¬
fes“.
sondern wenn möglich noch tief darunter, weil ihre Cmein¬
spiel konfrontiert, es entsteht jenes romantische Durcheinander
schaft früher eine andere, bessere gewesen war. Die Frau be¬
von Sein und Schein, die Bühnenwirklichkeit wird Spiel und
greift es sofort, der Mann wird es einsehen lernen: sie müssen
Spiel zu Wirklichkeit, die Tragödie darf als Komödie in Er¬
sich trennen. Theoretisch gibt es keine andere Lösung.
scheinung treten. Schnitzlers psychologisch feine, dem Wesen
der selbstgeschaffenen Menschen stets überlegenbleibende Kunst.
Künstlerisch ist es Schnitzler nur zum Teil gelungen,
feiert ihre Triumphe in jener Szene des erstenAktes, in der das
seine Lösung menschlich zwingend erscheinen zu lassen. Dieser
Ehepaar freiwillig seine Gemeinschaft in Kameradschaft wan¬
seine Psychologe abstrahiert zuweilen allzusehr von dem, was
delt. Der Mann glaubt in edler Resignation seiner Frau nur
die irrationellen Triebe über den Menschen vermögen. Er
die ihr gebührende Freiheit zu geben, und handelt dennoch nur
hat sich seine Lösung bequem gemacht, indem er die Leiden¬
aus dem Wunsch des Augenblicks, aus dem frechen Verlangen
schaften zu rechter Stunde schweigen hieß. Anstelle eines
einer flüchtigen Stunde heraus, das ihn zu einer andern
zicht. Sie meinen beide, wahr zu sein, und belügen sich selbst] heißen Kampfes steht eine theoretische Auseinandersetzung.
BE
Wohl ist es noch sehr sein erdacht,
alles gern geschehen ließ, nun, nach
seiner Frau gehabt, ihren mumaßli
unter dem Schein des Zweikampfs
recht bühnengemäß ist auch das schor
gebracht. Siehen sich schljeßlich abs
gegenüber, so gilt es nur noch di
Calculs. Was lebte, wird zu e
Vielleicht freilich könnte man gelte
Form des Dramas überhaupt nich
gebenen Konfliktes eigne. Sie wird
und Auseinandersetzung als einen
wo die Wirklichkeit, und ihr folgen
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hebt. Und damit stände man Schniß
über auf dem Punkte, wo man hins
Schauspiele stand: es ist in seinen
der Eigenart seiner konstruierenh
das über das Drama hinaus und
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Die Aufführung des Lessing
bendig, sehr ausdruckssicher in der
renden Rollen durch Herrn Be
Triesch. Herr Bassermann zum
art zum Schnitzler=Darsteller besond
ner Poeten kennzeichnet ihn der Tu
der Reflerion. Etwas ärmlich nah
treter der Neveurollen aus. Herr
scheinung und Auftreten ein gar
Reicher gab den Dichter viel zu
komische Figur; die eigentliche Kraß
blieb ihm verborgen. Uebte aber
führungs= und trotz der eigenen M
fesselnde Wirtung aus, so scheint n
auch in Thaliens Reich die Gaben
achten sind.
— en