wi
20Schensniel
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Theater.
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laune verliebt. Hat also immer im Haus, was sein Herz an Wünschen, Leiden¬
schaften, Gefahren begehrt, fühlt sich zwischen diesen selbst gemalten Lebens¬
coulissen behaglich und scheut jeden Blick in die Wirklichkeit, die ihm nur dashä߬
liche Land der Philister ist. Sein Wille schlummert undregt sich, nicht allzu ener¬
gisch, höchstens, wenn ein Schauspiel oder Libretto anzubringen ist; die Kraft
seiner Vorstellung (die selbe Kraft, die ihm Butter aufs Brot schafft) bautihm
über Felsklüften Eispaläste, hilft ihm durch Dickicht und Morast, gaukeltihm
Ehegefahr vor, aus der er, neben dem guten, nie in Versuchung geführten Ma¬
riechen, auf feuchtem Kopfkissen lächelnd erwacht. Das wäre nichts für den Gro¬
ßen, aus dessen Seele die Welt sich in Tönen wiedergebiert. Der will vom Leben
mehrals den farbigen Abglanz. Will den Golfstrom der Affekte auf sich wirken
lassen. Jede erhaschbare Wonne durchkosten, aufrecht durch alle Qual schreiten
und, ohne Heuchlerscheu, ohne Schamanflug sogar, der Genossin zurufen:
So bin ich, bin, der ich sein muß; und erlaube nicht nur, nein: wünsche, daß
auch Du stets dem Trieb Deiner Natur folgen mögest. Nur keine banale Ehe
mit Zwist, Eifersucht, Aussöhnung, äußerem oder auch nur innerem Zwang!
In Freiheit schreiten wir, Hand in Hand, unsere Bahn; und nie kann die
Stunde kommen, in der wir einander auch nur ein Herzensfältchen verbergen.
Sechs Jahre lang gehts; die ersten Jahre, die für die Haltbarkeit eines
Ehebandes nicht viel beweisen. Beide leben in der Liebe zur Musik; und Ama¬
deus ist Caeciliens bester Lehrer. Ist ihr auf der Ehrenleiter auch schon um
ein paar Sprossen voraus; sie hat in Wien noch gegen älteres Rollenbesitz¬
recht zu kämpfen und seine Symphonien haben draußen im Reich schon eine
Gemeinde geworben. Auch tollt und schäkertein Knäbchen durchs Haus. Was
fehlt noch in dieser Glückssumme? Erfolg im geliebten Beruf, ein gesundes
Kind, Freunde aus naher Gefühlszone; in der kleinen Schaar ist auch der
junge Fürst Sigismund, des Kapellmeisters begabter Schüler, der nicht ins
Kloster gegangen, doch ein ernster Jüngling geblieben ist. (Kein Frömmler
und Feind frohen Lebens; eine Lust, ihm zuzuhören, wenn er Walzer spielt
und paraphrasirt.) Was fehlt noch? Nichts einstweilen der Frau. Freiheit,
volle Aufrichtigkeit, ungeschmälertes Persönlichkeitrecht: die großen Worte
des Titanen klangen so süß; und welches Weibchen wünscht sich nicht eine Ehe,
wie keine noch war: eine, die ihr die Weihen der Individualität erhält und
das Männchen doch fest an sie kettet? Nicht immer wards Caecilien ja ganz
leicht. Ihr Amadeus ist jung, hübsch, Opernkapellmeister und hat den Ruf des
Genies, bei dem die Frauen sich in der Hoffnung auf ungeahnte Schauder¬
spasmen bäumen. Von allen Seiten winken ihm soignirte Finger; und bald
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laune verliebt. Hat also immer im Haus, was sein Herz an Wünschen, Leiden¬
schaften, Gefahren begehrt, fühlt sich zwischen diesen selbst gemalten Lebens¬
coulissen behaglich und scheut jeden Blick in die Wirklichkeit, die ihm nur dashä߬
liche Land der Philister ist. Sein Wille schlummert undregt sich, nicht allzu ener¬
gisch, höchstens, wenn ein Schauspiel oder Libretto anzubringen ist; die Kraft
seiner Vorstellung (die selbe Kraft, die ihm Butter aufs Brot schafft) bautihm
über Felsklüften Eispaläste, hilft ihm durch Dickicht und Morast, gaukeltihm
Ehegefahr vor, aus der er, neben dem guten, nie in Versuchung geführten Ma¬
riechen, auf feuchtem Kopfkissen lächelnd erwacht. Das wäre nichts für den Gro¬
ßen, aus dessen Seele die Welt sich in Tönen wiedergebiert. Der will vom Leben
mehrals den farbigen Abglanz. Will den Golfstrom der Affekte auf sich wirken
lassen. Jede erhaschbare Wonne durchkosten, aufrecht durch alle Qual schreiten
und, ohne Heuchlerscheu, ohne Schamanflug sogar, der Genossin zurufen:
So bin ich, bin, der ich sein muß; und erlaube nicht nur, nein: wünsche, daß
auch Du stets dem Trieb Deiner Natur folgen mögest. Nur keine banale Ehe
mit Zwist, Eifersucht, Aussöhnung, äußerem oder auch nur innerem Zwang!
In Freiheit schreiten wir, Hand in Hand, unsere Bahn; und nie kann die
Stunde kommen, in der wir einander auch nur ein Herzensfältchen verbergen.
Sechs Jahre lang gehts; die ersten Jahre, die für die Haltbarkeit eines
Ehebandes nicht viel beweisen. Beide leben in der Liebe zur Musik; und Ama¬
deus ist Caeciliens bester Lehrer. Ist ihr auf der Ehrenleiter auch schon um
ein paar Sprossen voraus; sie hat in Wien noch gegen älteres Rollenbesitz¬
recht zu kämpfen und seine Symphonien haben draußen im Reich schon eine
Gemeinde geworben. Auch tollt und schäkertein Knäbchen durchs Haus. Was
fehlt noch in dieser Glückssumme? Erfolg im geliebten Beruf, ein gesundes
Kind, Freunde aus naher Gefühlszone; in der kleinen Schaar ist auch der
junge Fürst Sigismund, des Kapellmeisters begabter Schüler, der nicht ins
Kloster gegangen, doch ein ernster Jüngling geblieben ist. (Kein Frömmler
und Feind frohen Lebens; eine Lust, ihm zuzuhören, wenn er Walzer spielt
und paraphrasirt.) Was fehlt noch? Nichts einstweilen der Frau. Freiheit,
volle Aufrichtigkeit, ungeschmälertes Persönlichkeitrecht: die großen Worte
des Titanen klangen so süß; und welches Weibchen wünscht sich nicht eine Ehe,
wie keine noch war: eine, die ihr die Weihen der Individualität erhält und
das Männchen doch fest an sie kettet? Nicht immer wards Caecilien ja ganz
leicht. Ihr Amadeus ist jung, hübsch, Opernkapellmeister und hat den Ruf des
Genies, bei dem die Frauen sich in der Hoffnung auf ungeahnte Schauder¬
spasmen bäumen. Von allen Seiten winken ihm soignirte Finger; und bald