box 25/2
20. Zuischensniel
1801
Der Roland von Berlin.
Drei verschiedene Phasen, von denen die eine aus der anderen sich wohl
entwickeln kann; doch nicht muß. Da liegt es: man glaubt die Mög¬
lichkeit und mißt die Notwendigkeit. Das Dramu aber fordert nicht nur
Zustände; auch ihr Entstehen. Da liegt es, warum Hebbel vom Drama
überwundene Natur fordert: Sein und Werden zu einem Ring geschmie¬
det. Schnitzlers Einakter aber geben je gleich am Anfang ein psycho¬
logisches Fertigsein. Was folgt, dient nur dessem Ausdruck. Nur der
dritte Akt, der schlechte, bringt einen Umschwung. Der aber fußt nur
auf der Zufälligkeit, daß die Heldin ausgegangen war; arbeitet im
übrigen mit blutiger Theatralik. So kommt: interessiert folgt man der
Aussprache (nicht der Entwickelung) von Gefühlen. Doch kein dramati¬
sches Geschehen steigt. Schuld war nicht dichterisches Unvermögen; Schuld
war der Stoff. Schuld war Arthur Schnitzler, weil er eine köstliche
psychologische Novelle ins Theater zerrte. Eine köstliche Novelle, die der
Dichter Schnitzler uns geschenkt hätte, mit dem düsteren Dämmerlichte
des Sterbens, mit Anatols wehmütig=wissendem Lächeln, mit der skep¬
tischen Philosophie des Reigens, wenn, ja: wenn er dies Zwischenspiel
nicht geschrieben hätte.
III.
Für Schnitzlers Reich gibt Stendhal die Grenze. In diesem Reiche
ist er der Stärksten einer. Zweierlei ist seine Stärke: die Psychologie
der Erotik (also die Seele des Weibes); und die Musik von Stimmungen.
Darum ist er der Feinsten einer; er spricht, wo andere schreien; er
flüstert, wo andere sprechen; er schweigt, wo andere flüstern. Seine Psy¬
chologie ist licht: er leuchtet nicht mit Stalllaternen. Sie hascht nicht
nach Verdeutlichungen; also wird sie deutlich. Weil er kein Schwätzer ist,
darum findet er den Steg zu jenen Dämmertiefen der Seele, wo die
Worte aufhören. Er meistert die Melodik des Schweigens. Drum konnte
er vordringen zu jener Scheide, da Tatsachenwelt und Mystik sich be¬
rühren. Die knappe Sicherheit in der Führung des Griffels hat etwas
von der Klassik romanischer Formenbeherrschung. Er ist graziös; doch
diese Grazie bleibt kein zierliches Ornament: sie deckt Tiefen. Diese
Tiefen fordern kein mühsames Hinabklettern. Ich möchte sagen: er gibt
nicht die Tiefen; er gibt den Blick in die Tiefe. Er führt nicht in einen
Abgrund; er plandert und führ uns an den Rand des Abgrundes und
zwingt uns, hinunterzuschauen, und steht dabei mit dem wehen Lächeln
des Wissenden. Das läßt sich sagen von dem Schnitzler, der das Zwischen¬
spiel nicht schrieb. Der Zwischenspielverfasser ist ein Pseudo=Schnitzler:
es kündigt sich an der Keim zum Theatraliker. Die ersten zwei Einakter
noch zeigen den alten Schnitzler, den Psychologen (nicht den Dramatiker).
Hier noch steigt der wehmütige Frohmut Anatols. Zwar, älter ist er
geworden und redselig. Man ist nicht umsonst sieben Jahre Ehemann. Der
20. Zuischensniel
1801
Der Roland von Berlin.
Drei verschiedene Phasen, von denen die eine aus der anderen sich wohl
entwickeln kann; doch nicht muß. Da liegt es: man glaubt die Mög¬
lichkeit und mißt die Notwendigkeit. Das Dramu aber fordert nicht nur
Zustände; auch ihr Entstehen. Da liegt es, warum Hebbel vom Drama
überwundene Natur fordert: Sein und Werden zu einem Ring geschmie¬
det. Schnitzlers Einakter aber geben je gleich am Anfang ein psycho¬
logisches Fertigsein. Was folgt, dient nur dessem Ausdruck. Nur der
dritte Akt, der schlechte, bringt einen Umschwung. Der aber fußt nur
auf der Zufälligkeit, daß die Heldin ausgegangen war; arbeitet im
übrigen mit blutiger Theatralik. So kommt: interessiert folgt man der
Aussprache (nicht der Entwickelung) von Gefühlen. Doch kein dramati¬
sches Geschehen steigt. Schuld war nicht dichterisches Unvermögen; Schuld
war der Stoff. Schuld war Arthur Schnitzler, weil er eine köstliche
psychologische Novelle ins Theater zerrte. Eine köstliche Novelle, die der
Dichter Schnitzler uns geschenkt hätte, mit dem düsteren Dämmerlichte
des Sterbens, mit Anatols wehmütig=wissendem Lächeln, mit der skep¬
tischen Philosophie des Reigens, wenn, ja: wenn er dies Zwischenspiel
nicht geschrieben hätte.
III.
Für Schnitzlers Reich gibt Stendhal die Grenze. In diesem Reiche
ist er der Stärksten einer. Zweierlei ist seine Stärke: die Psychologie
der Erotik (also die Seele des Weibes); und die Musik von Stimmungen.
Darum ist er der Feinsten einer; er spricht, wo andere schreien; er
flüstert, wo andere sprechen; er schweigt, wo andere flüstern. Seine Psy¬
chologie ist licht: er leuchtet nicht mit Stalllaternen. Sie hascht nicht
nach Verdeutlichungen; also wird sie deutlich. Weil er kein Schwätzer ist,
darum findet er den Steg zu jenen Dämmertiefen der Seele, wo die
Worte aufhören. Er meistert die Melodik des Schweigens. Drum konnte
er vordringen zu jener Scheide, da Tatsachenwelt und Mystik sich be¬
rühren. Die knappe Sicherheit in der Führung des Griffels hat etwas
von der Klassik romanischer Formenbeherrschung. Er ist graziös; doch
diese Grazie bleibt kein zierliches Ornament: sie deckt Tiefen. Diese
Tiefen fordern kein mühsames Hinabklettern. Ich möchte sagen: er gibt
nicht die Tiefen; er gibt den Blick in die Tiefe. Er führt nicht in einen
Abgrund; er plandert und führ uns an den Rand des Abgrundes und
zwingt uns, hinunterzuschauen, und steht dabei mit dem wehen Lächeln
des Wissenden. Das läßt sich sagen von dem Schnitzler, der das Zwischen¬
spiel nicht schrieb. Der Zwischenspielverfasser ist ein Pseudo=Schnitzler:
es kündigt sich an der Keim zum Theatraliker. Die ersten zwei Einakter
noch zeigen den alten Schnitzler, den Psychologen (nicht den Dramatiker).
Hier noch steigt der wehmütige Frohmut Anatols. Zwar, älter ist er
geworden und redselig. Man ist nicht umsonst sieben Jahre Ehemann. Der