II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 293

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20. ZuISchenSD1E
G“ Dramatische Aufführungen.
Froschkönig.“ Romantische Komödie in drei Acten von
Dietrich Eckart. (Kgl. Schauspielhaus.) — „Zwischenspiel.“ Komödie
in drei Acten von Arthur Schnitzler. (Lessing=Theaier.)
Die Dankbarkeit mch matürliche Regung, ein un¬
menschliches Laster gescholten werden — es giebt doch entartete Creaturen,
die dieser Empfindung fähig sind. Und ich muß zugeben, daß mir
Stunden kommen, in denen auch ich mich nicht ganz frei davon weiß.
Wer nicht mit jener schönen Jähigkeit ausgestattet ist, die Bismarck als
Wurschtigkeit pries und von der er selber, ach so wenig, besaß; wer sich
vielmehr rechtschaffen ärgert, der wird sich meist auch rechtschaffen freuen
können. Junig wie sein Geist ist seine Liebe, ausschweifend wie sein
Rache= und Vergeltungstrieb seine Dankbarkeit.
Meine Bemerkungen über Dietrich Eckart's „Froschkönig“ be¬
dürsen solch philosophisch=psychologischer Vorrede. Ohne sie wäre es
nicht zu verstehen, weshalb mit der Spottgeburt aus Dreck ohne Feuer,
die der Verfasser über unsere königliche Bühne gehen ließ, hier längerer
Prozeß als mit hundert anderen dramatischen Scheusalen gemacht wird.
Aber Dietrich Eckart hat eine tragische Komödie, „Familienväter“
geschrieben, und die erwirkt ihm, so oder so, fürstliche Ehren. Ein vor¬
treffliches, ein zuversichtlich wirksames Stück, und darum auch noch an
keinem Berliner Theater aufgeführt. Man könnte „Familienväter“ als
drematisches Pasquill werthen, als eine gotteslästerliche Schmähschrift
in Dialogen, ohne deßhalb seiner Bedeutung Abbruch zu thun. Eckart
ist —
und ich nehme da selbst Ruederer nicht aus, dessen kecke und
frisch zugreifende Art mir eine der wenigen Hoffnungen unserer
modernen Lustspielbühne scheint — Eckart ist der einzige V#an, der
zur Zeit in Deutschland eine politische Komödie schreiben könn Eine
Komödie, die uns weinen macht vor Wutl, und doch bewirkt, duß sich
die Thränen unversehens in Lachthränen verwandeln; eine Komödie,
über deren unbarmherzige und schreckliche Witze man nicht lachen kann,
so drastisch sie sind, bei denen man vielmehr zittert und im Grimm die
Faust ballt. „Familienväter“, das sind die neuen „Journalisten“.
Ohne Freytag's Bonhommie und Piepenbrinck=Art; ohne Freytog's etwas
spießigen, guten Stuben=Ton, „dne Freutag's Wohlgefollen an niedlichen
Theaterwirkungen. Wir haben die B#dermeier=Zeiten überwunden. An
die Stelle der Ibeale ist das Geschäft geteeten. An die Stelle der
Humore dem entsprechend das Pamphlet. Genau so grausam und mit¬
leidslos zeichnet Eckart die geriebene Zeitungsfabrikation von heute, wie
Freytag die gezierte Zeitungskunst von Anno Toback liebevoll und zärt¬
lich zeichnete. Wer sich eine unvergeßliche Stunde schaffen will, muß
das Buch lesen.
Alles Gute findet schon auf Erden seine Strafe. Ich für mein
Theil habe die unkritische Freude an den „Familienvätern“, die eine
reine Stunde der Lust mit drei Stunden „Froschkönig“ bitter gebüßt.
Sie kennen die Schicksale Manulescu's, der ein elegant ausgestattetes
Werk über seine Hochstapelei=Abenteuer geschrieben hat; Sie kennen ferner
Mirbeau's frohlustigen Einacter von dem Gentlemandieb, der nur mit
Lakaien stehlen geht und aus der Spitzbüberei eine überlegene Welt¬
anschauung gemacht hat. Unser Freund Eckart ist beiden Anregungen
mit deutscher Gründlichkeit auf den Leib gegangen. Die fidele Idee des
Parisers hat unter seinen treuen Fingern tragisches Ausichen gewonnen.
Er nimmt den spaßig=geistreichen Gauner ernst, umkleidet ihn mit allem
Zauber der Romantik und macht ihn beinahe zu einem saustischen Karl
Moor, der eigentlich nur stiehlt und betrügt, um zu bessern und zu
bekehren; der seinen Weltschmerz theils in Byren'schen und Schopen¬
hauer'schen Redensarten, theils in der geschickten Entwendung von Bank¬
noten kund giebt. Dasselbe schwarzbärtige Individuum, das im ersten
Acte als Schmuckdieb und gemeiner Erpresser auftritt, eitirt nachher
Goethe, Nietzsche, Shakespeare und die Marlitt, sagt, vom vollen Schein
des Mondes umfluthet, melancholisch=grüblerische Gedichte eigener Er¬
zeugung her und bezaubert durch seinen Weltschmerz das rothblonde,
somnamvule, schrecklich interessante Commerzienrathstöchterlein. D
süß=dämonische Kind würde ihm in Nacht und Graus sol# würde
irch seinen keuschen Prinzessinnenkuß den armen Froschkönig### ellen
Ku##ke erfülen, wenn da
gute alte Onket wäre und dem
Saldnhanditen ernstlich in's Gewissen redete. „Es ist unrecht, die eigene.
Qual in Smder Qual betäuben und vergessen zu wollen.“ Ganz ge
knickt und zesknirscht entsagt der schimmernde Hallunke dem lieben
Mädel, Damit sie auch innerlich von ihm loskomme, prellt er in ihrer
Gegenwart noch rasch die Frau Mama um ihren schönen Brautschmuck.
Die Prinzessin erkennt, daß der Froschkönig aus seinem Moraste nicht
mehr hinaus kann und heirathet gehorsam den ihr zugedachten Forst¬
assessor, einen grünen Hampelmann von nicht alltäglichem Eselthum.
Ueberhaupt die Planeten, die Eckart um seine Gaunersonne stellt!
Kunstlosere und gröbere Carieaturen findet man nicht einmal den
Kalenderwitzen beigegeben. Wären sie originell, so verdiente Dietrich
Eckart den Preis der Plumpheit. So aber kennen wir sie Alle seit
Langem: die pfauenstolze und pfauendumme Commerzienräthin, die
jedem vornehmen Gaste gegenüber die Amerikanerin spielt; den idiotischen
Polizeirath, der gewohnheitsmäßig daneben greift und vor Eitelkeit platzt:
den unwissenden, verfutterten Hausarzt und dergleichen mehr. Nicht
minder fällt daneben der Dialog mit alltäglichen, abgegriffenen oder
direkt den „Fliegenden Blättern“ entnommenen Wortwitzchen auf, und
nur kopfschüttelnd erträgt man die technische Unbeholsenheit des Ver¬
fassees, der uns keinen, aber auch keinen Anfängerfehler erspart. Wahr¬
haftig, der „Froschkönig“ ist ein außergewöhnlich schlechtes Stück. Und
dennoch = Dietrich Eckart hätte auch hier nur nöthig gehabt, in's volle
Leben hineinzugreisen, statt sich mit Schnitzeln und Abfällen aus zwanzig
Büchern zu begnügen und Zwischenhändler zu sein, wo er Schöpfer
sein könnte.
Immerhin, ich geb’ ihn nicht verloren. Und das Kgl. Schauspiel¬
haus verdient Dank dafür, daß es dem Autor auf die Bretter half und
wie zur Entschädigung dafür, daß es sein Meisterstück nicht zu spielen
wagte, wenigstens ein mißrathenes Werk von ihm aufführte.
An demselben Abend, wo der „Froschkönig“ mit Beifall abgelehnt
wurde, scheim auch Schnitzler's „Zwischenspiel“ durchgefallen zu sein. Be
der Wiederholung verhielt sich das Publicum hinreichend theilnahmlos
und fällte damit meines Erachtens ein sehr verständiges Urtheil über
das allzu künstlich gestellte Conversationsstück. Der Verfasser thut sich
scheinbar viel darauf zu Gute, daß er die schweren Erschütterungen, die
brohnenden Worte aus seiner Ehestandstragödie ausschaltet — aber was
hat er dadurch für das Drama erreicht? Ihm die großen Wirkungen
genommen und ihm an Lebenswahrheit nichts gewonnen! Denn das
rede uns doch Niemand ein, daß Naturen wie dieser Amadäus und
diese Cäcilie sich gegenseitig im Flüsterton fortgesetzt schrauben und
älen, ohne daß auch nur ein einziges Mal die rothe Leidenschaft
flackernd durchbricht und der echte, alte Grimm aufschreit! Weshalb
vermier Schnitzler##s so ängstlich, dramatisch zu werden und wurde da¬
für lieber theatralisch, schlecht theatralisch, wie in der unmöglichen und
unkünstlerischen Figen des Raisonneurs und Zeichenerklärers Albertus
Ahon* „Einige von ihnen aber wollen sein und tief sein und meinen
Schwäche sei Feinheit und ein Schleier zeige die Tiese an.“