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20. Zuischensniel
S
unmöglich geworden ist. Sie fühlt, daß sie selbst nicht mehr die ist,
die sie war,g daß sie selbst sich verbrannt hat, als sie mit dem Feuer
„Zwischenspiel“.
spielte. „Wir sind einander so viel gewesen,“ sagt sie, „daß wir uns
die Erinnerung daran erhalten müssen. Wenn das“ (daß sie sich nach allem,
rzarte Mädchengestalten, die mit ihrer
was vorgefallen, ihm noch einmal hingegeben hat,) „ein Abenteuer war, sind
En blutleeren Lippen und jenem fiebrigen
wir auch unser vergangenes Glück nicht wert. War es ein Abschied,
aus dem die Fackel eines frühen Todes
so sind wir vielleicht doch zu einem künftigen bestimmt ... viel¬
inen, daß man unwillkürlich geneigt ist,
leicht.“ — So nimmt sie ihr Kind und geht davon.
k und auf den Fußspitzen einherzugehen.
Dieser kritische Zustand zweier Menschenherzen mochte einen Dichter
gste Sprößling der Schnitzlerschen Muse¬
von der Feinsinnigkeit Schnitzlers wohl reizen. Aber er hätte ihn zum
kollt in seinen Abern, man sieht
Gegenstand einer Novelle machen sollen. Auf der Bühne wirkt das
ihm kein langes Leben beschieden
alles so unklar, und dabei wirkt es zynisch. Man kann keine
sich doch merkwürdig angezogen
st
Sympathie haben für diesen Mann, der sich so frivol über die heiligen
möchte ihn dem grellen Bühnenlicht,
Forderungen der Ehe hinwegsetzt, und auch nicht für die Frau, die sich
entreißen und ihn mit sich nehmen in
nicht einmal bemüßigt fühlt, wenigstens den Versuch zu machen, ihre
milden Schein eines rosig gedämpften
Stellung im Herzen des Vaters ihres Kindes zu behaupten. Manches,
Schönheit zu genießen. Schnitzler ist in
was da gesprochen wird, wirkt auf der Bühne geradezu verletzend, und
ganz Stimmungsmensch. Er verzichtet
wenn der Fürst Sigismund, mit dem Frau Cäcilie flirtet, gar erscheint,
Bühne wirken kann, auf Handlung, auf
um von ihrem Gatten ihre Hand zu erbitten, so ist sogar ein bedenk¬
ja selbst auf sogenannte Geistesblitze.
licher Einschuß unfreiwilliger Komik dabei. Kurz, als psychologische
u verinnerlichen, hat er die Forderungen
Studie ist dieses „Zwischenspiel“ unzweifelhaft interessant, als Theater¬
un einmal seine eigene Logik hat, seine
stück ist es verfehlt, schon aus dem Grunde, weil es beinahe unmöglich
che.
ist, diese Rollen zu spielen.
Die Darstellung wußte denn auch nur zum Teil etwas damit anzu¬
vor uns hin, zwei freie, selbständige
fangen. Frl. Triesch half sich damit, daß sie die unklare Gestalt der
nach siebenjähriger glücklicher Ehe dem
Cäcilie auf die kluge, feinfühlige Frau hinausspielte, die dem leicht¬
hling ihrer Liebe zu schwinden beginnt.
fertigen Seitensprung des Mannes mit scheinbarem Gleichmut zuschaut,
Beziehungen aufzugeben und als Freunde,
während in ihrem Innern das so schwer gekränkte Frauenherz sich auf¬
eben einander weiter zu leben und weiter
bäumt. Aber so wundervoll sie diese Aufgabe auch löste, die Forderungen,
wie bisher, sie wollen sich alles sein
die der Dichter in diese Gestalt hineingelegt hat, erfüllte sie damit nur
rem Liebesleben soll in Zukunft jeder
zum Teil. Herr Bassermann als Kapellmeister Amadeus aber schien
st es der Frau Ernst mit dieser frevel¬
mir mit seinen breiten Bewegungen und seiner breiten Sprache,
ichter läßt uns darüber im unklaren. Er
die oft an das Geschrei eigensinniger Kinder erinnert, gar nicht
Beg nicht geht, daß sie nur mit einer un¬
am Platze. So meisterlich dieser Künstler zu charakterisieren
ausblickt, daß sie mit dem Gedanken nur
versteht, so tief er sich in seine Gestalten hineinzuleben weiß, ein Lieb¬
nkönnte. Der Mann dagegen nutzt die
haber ist er nicht. Und wenn diesem leichtfertigen Bohémien von
delt sorglos die gefährliche Bahn. Aber
Wiener Kapellmeister auch noch der Zauber hinreißender persönlicher
eine Sackgasse geraten tst. Er sehnt sich
Liebenswürdigkeit abgeht, dann wird er unleidlich, und dann kann man
das er so leichtfertig aufs Spiel gesetzt
auch die Frau ganz und gar nicht verstehen, die ihn nach all seinen
die Liebe seines Weibes. Und im er¬
Verirrungen noch einmal erhört. Aber, wie gesagt, vislleicht ist diese
n Leidenschaft wird sie noch einmal sein.
ein Glück von Dauer für sie beide nun Rolle überhaupt nicht zu spielen, auch Lanz in Wien hat nicht mit
ihr fertig werden können. Das ganze Stück ist wohl nur ein
„Zwischenspiel“ in Schnitzlers dramatischem Schaffen. Man wird es
nicht geben, aber vielleicht wird man es lesen.
Richard Schott.
* Der Streit um den Schulbeginn. Leipzig, 26. Rovember.
Schulbeginn im Sommer nicht vor 8, im Winter nicht vor 9 Uhr
in den vier untersten Volksschukklassen ist schon lange der Wunsch
zahlreicher Eltern, namentlich wegen sanitärer Rücksichten, und
die Stadtverordneten trugen demselben gestern insofern Rechnung,
als sie dem Ausschußantrag zustimmten, die Sache dem Stadtrate
zur Erwägung anheimzugeben. Davei wurde aber auf die
Schwierigkeit hingewiesen, die 26 Wochenstunden unterzubringen,
ebenso darauf, daß bei einer Elternabstimmung in zwei Schul¬
bezirken sich 93 bezw. 96 Prozent der Eltern für den jetzigen
Schulbeginn (um 7 resp. 8 Uhr) erklärt hätten. (In anderen
Bezirken dürfte die Abstimmung indessen anders ausfallen.)
Aus der Freimaurerwelt. Leipzig, 26 November.
Hier starb im Alter von 78 Jahren der bekannte freimaurerische
Schriftsteller und frühere Verlagsbuchhändler I. G. Findel. Seine
Leiche wird nach Jena zur Einäscherung übergeführt; auf den
Wunsch des Verstorbenen dürfen äußere Zeichen der Trauer nicht
angelegt werden. Findel gehörte der Freisinnigen Partei und
der deutsch=latholischen (freireligiösen) Gemeinde an. Jesuitisch
erzogen, war er ein gefürchteter Bekämpfer des Jesuitismus.
Christiana, 26. November. „Verdens Gang“ sagt, der Zu¬
stand Henrik Ibsens sei nicht unmittelbar beunruhigend. Der Dichter
sei zwar in der letzten Zeit schwächer geworden, er sei aber doch täglich
einige Stunden auf und zeige Interesse für die Begebenheiten des Tages.
* Leipzig, 26. November. „Die Siegerin“, ein dreiaktiges
Schauspiel von J. Wiegand, erlebte heute im Leipziger Schauspiel¬
haus (Dir. A. Hartmann) seine Uraufführung. Das Werk ist ein
schwächlicher und mißlungener Versuch, eine Liebesepisode aus dem
Leben der Zarin Katharina dramatisch zu gestalten. Die Darsteller
fanden sich mit der Aufgabe dankenswert ab und konnten den starken
Beifall an den Aktschlüssen wohl auf sich beziehen. Fräulein Immisch
als „Katharina“, die in dem Regierungsgeschäfte nur Vernunft und
Willen, sonst aber stark das Herz und die Leidenschaft walten läßt, war
sogar anzuerkennen. Ein kritischeres, als das Soffsitagspublikum hätte
das Opus wohl abgelehnt.
20. Zuischensniel
S
unmöglich geworden ist. Sie fühlt, daß sie selbst nicht mehr die ist,
die sie war,g daß sie selbst sich verbrannt hat, als sie mit dem Feuer
„Zwischenspiel“.
spielte. „Wir sind einander so viel gewesen,“ sagt sie, „daß wir uns
die Erinnerung daran erhalten müssen. Wenn das“ (daß sie sich nach allem,
rzarte Mädchengestalten, die mit ihrer
was vorgefallen, ihm noch einmal hingegeben hat,) „ein Abenteuer war, sind
En blutleeren Lippen und jenem fiebrigen
wir auch unser vergangenes Glück nicht wert. War es ein Abschied,
aus dem die Fackel eines frühen Todes
so sind wir vielleicht doch zu einem künftigen bestimmt ... viel¬
inen, daß man unwillkürlich geneigt ist,
leicht.“ — So nimmt sie ihr Kind und geht davon.
k und auf den Fußspitzen einherzugehen.
Dieser kritische Zustand zweier Menschenherzen mochte einen Dichter
gste Sprößling der Schnitzlerschen Muse¬
von der Feinsinnigkeit Schnitzlers wohl reizen. Aber er hätte ihn zum
kollt in seinen Abern, man sieht
Gegenstand einer Novelle machen sollen. Auf der Bühne wirkt das
ihm kein langes Leben beschieden
alles so unklar, und dabei wirkt es zynisch. Man kann keine
sich doch merkwürdig angezogen
st
Sympathie haben für diesen Mann, der sich so frivol über die heiligen
möchte ihn dem grellen Bühnenlicht,
Forderungen der Ehe hinwegsetzt, und auch nicht für die Frau, die sich
entreißen und ihn mit sich nehmen in
nicht einmal bemüßigt fühlt, wenigstens den Versuch zu machen, ihre
milden Schein eines rosig gedämpften
Stellung im Herzen des Vaters ihres Kindes zu behaupten. Manches,
Schönheit zu genießen. Schnitzler ist in
was da gesprochen wird, wirkt auf der Bühne geradezu verletzend, und
ganz Stimmungsmensch. Er verzichtet
wenn der Fürst Sigismund, mit dem Frau Cäcilie flirtet, gar erscheint,
Bühne wirken kann, auf Handlung, auf
um von ihrem Gatten ihre Hand zu erbitten, so ist sogar ein bedenk¬
ja selbst auf sogenannte Geistesblitze.
licher Einschuß unfreiwilliger Komik dabei. Kurz, als psychologische
u verinnerlichen, hat er die Forderungen
Studie ist dieses „Zwischenspiel“ unzweifelhaft interessant, als Theater¬
un einmal seine eigene Logik hat, seine
stück ist es verfehlt, schon aus dem Grunde, weil es beinahe unmöglich
che.
ist, diese Rollen zu spielen.
Die Darstellung wußte denn auch nur zum Teil etwas damit anzu¬
vor uns hin, zwei freie, selbständige
fangen. Frl. Triesch half sich damit, daß sie die unklare Gestalt der
nach siebenjähriger glücklicher Ehe dem
Cäcilie auf die kluge, feinfühlige Frau hinausspielte, die dem leicht¬
hling ihrer Liebe zu schwinden beginnt.
fertigen Seitensprung des Mannes mit scheinbarem Gleichmut zuschaut,
Beziehungen aufzugeben und als Freunde,
während in ihrem Innern das so schwer gekränkte Frauenherz sich auf¬
eben einander weiter zu leben und weiter
bäumt. Aber so wundervoll sie diese Aufgabe auch löste, die Forderungen,
wie bisher, sie wollen sich alles sein
die der Dichter in diese Gestalt hineingelegt hat, erfüllte sie damit nur
rem Liebesleben soll in Zukunft jeder
zum Teil. Herr Bassermann als Kapellmeister Amadeus aber schien
st es der Frau Ernst mit dieser frevel¬
mir mit seinen breiten Bewegungen und seiner breiten Sprache,
ichter läßt uns darüber im unklaren. Er
die oft an das Geschrei eigensinniger Kinder erinnert, gar nicht
Beg nicht geht, daß sie nur mit einer un¬
am Platze. So meisterlich dieser Künstler zu charakterisieren
ausblickt, daß sie mit dem Gedanken nur
versteht, so tief er sich in seine Gestalten hineinzuleben weiß, ein Lieb¬
nkönnte. Der Mann dagegen nutzt die
haber ist er nicht. Und wenn diesem leichtfertigen Bohémien von
delt sorglos die gefährliche Bahn. Aber
Wiener Kapellmeister auch noch der Zauber hinreißender persönlicher
eine Sackgasse geraten tst. Er sehnt sich
Liebenswürdigkeit abgeht, dann wird er unleidlich, und dann kann man
das er so leichtfertig aufs Spiel gesetzt
auch die Frau ganz und gar nicht verstehen, die ihn nach all seinen
die Liebe seines Weibes. Und im er¬
Verirrungen noch einmal erhört. Aber, wie gesagt, vislleicht ist diese
n Leidenschaft wird sie noch einmal sein.
ein Glück von Dauer für sie beide nun Rolle überhaupt nicht zu spielen, auch Lanz in Wien hat nicht mit
ihr fertig werden können. Das ganze Stück ist wohl nur ein
„Zwischenspiel“ in Schnitzlers dramatischem Schaffen. Man wird es
nicht geben, aber vielleicht wird man es lesen.
Richard Schott.
* Der Streit um den Schulbeginn. Leipzig, 26. Rovember.
Schulbeginn im Sommer nicht vor 8, im Winter nicht vor 9 Uhr
in den vier untersten Volksschukklassen ist schon lange der Wunsch
zahlreicher Eltern, namentlich wegen sanitärer Rücksichten, und
die Stadtverordneten trugen demselben gestern insofern Rechnung,
als sie dem Ausschußantrag zustimmten, die Sache dem Stadtrate
zur Erwägung anheimzugeben. Davei wurde aber auf die
Schwierigkeit hingewiesen, die 26 Wochenstunden unterzubringen,
ebenso darauf, daß bei einer Elternabstimmung in zwei Schul¬
bezirken sich 93 bezw. 96 Prozent der Eltern für den jetzigen
Schulbeginn (um 7 resp. 8 Uhr) erklärt hätten. (In anderen
Bezirken dürfte die Abstimmung indessen anders ausfallen.)
Aus der Freimaurerwelt. Leipzig, 26 November.
Hier starb im Alter von 78 Jahren der bekannte freimaurerische
Schriftsteller und frühere Verlagsbuchhändler I. G. Findel. Seine
Leiche wird nach Jena zur Einäscherung übergeführt; auf den
Wunsch des Verstorbenen dürfen äußere Zeichen der Trauer nicht
angelegt werden. Findel gehörte der Freisinnigen Partei und
der deutsch=latholischen (freireligiösen) Gemeinde an. Jesuitisch
erzogen, war er ein gefürchteter Bekämpfer des Jesuitismus.
Christiana, 26. November. „Verdens Gang“ sagt, der Zu¬
stand Henrik Ibsens sei nicht unmittelbar beunruhigend. Der Dichter
sei zwar in der letzten Zeit schwächer geworden, er sei aber doch täglich
einige Stunden auf und zeige Interesse für die Begebenheiten des Tages.
* Leipzig, 26. November. „Die Siegerin“, ein dreiaktiges
Schauspiel von J. Wiegand, erlebte heute im Leipziger Schauspiel¬
haus (Dir. A. Hartmann) seine Uraufführung. Das Werk ist ein
schwächlicher und mißlungener Versuch, eine Liebesepisode aus dem
Leben der Zarin Katharina dramatisch zu gestalten. Die Darsteller
fanden sich mit der Aufgabe dankenswert ab und konnten den starken
Beifall an den Aktschlüssen wohl auf sich beziehen. Fräulein Immisch
als „Katharina“, die in dem Regierungsgeschäfte nur Vernunft und
Willen, sonst aber stark das Herz und die Leidenschaft walten läßt, war
sogar anzuerkennen. Ein kritischeres, als das Soffsitagspublikum hätte
das Opus wohl abgelehnt.