II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 307

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20. Zuischensniel
selbst die gute phonographische Reproduktion der
Tragikomödie der reformbedürftigen Ehe ge¬
worden sind. Allerdings wäre Schnitzler dann
einzigen Kunst Alessandro Boncis darbietet.
dem Lustspielleierkasten Fuldas in den Ton ge¬

fallen oder hätte gar aus Blumenthals Garten,
ganz unbewußt, Gelbveiglein und Ros¬
Die theaterwoche.
marin gepflückt. Und im heimlichen
aber berechtigten Grausen davor wagte
Drei Durchfälle sind das Resultat. Bei
er erst gar nicht den Lustspielwurf,
Brahm im Lessingtheater Arthur Schnitzlers
der vielleicht gerade sehr reizvoll gelungen
„Zwischenspiel", das vom Dirigenten
wäre, und entschied sich für die Tragikomödie
wohl bald abgeklopft werden wird, bei Hülsen
ohne Komödie, für die Tragödie ohne tragischen
im Schauspielhaus die ungleich entschiedenere
Zwang. Daraus wurde ein Gesprächsstück, in
Ablehnung von Dietrich Eckarts „Frosch¬
dem einer des anderen Gedanken kämmt, wider
könig, einem falsch=romantisch drapierten
den Strich bürstet und einer schließlich dem
Kolportageroman, der selbst die geduldigen
andern an psychologischer Unwahrheit über den
Stammgäste der Hofbühne zu energischem Griff
Kopf wächst. Aber immer klingt jener feine,
nach dem Hausschlüssel anregte, bei Ferdinand
wienerische Kultur atmende Dialog, den kein
Bonn im Berliner Theater sodann die übliche
zweiter nächst Schnitzler meistert, der aber eine
Blamage, die sich von den vorhergegangenen
subtile Kunst der Konversation erfordert, wenn
nur durch den Titel unterscheidet; ein Provinz¬
er nicht in seinem Hang zur Breite mitunter
ereignis, das eigentlich das Berliner Theater¬
langweilen soll.
leben nichts angeht.
Gegen die Langeweile glaubten sie im
Schnitzler ist bei Brahm nicht ganz selbstver¬
Lessingtheater ein Rezept gefunden zu haben
schuldet zu Fall gekommen; da half auch eine
im Zerhacken, im Zerbröckeln, im „naturalisti¬
Darstellung, die grobklotzig die subtilsten Dialog¬
schen" Stottern, in jener falschen Natürlichkeits¬
gewebe zerriß, wichtige Worte verschluckte, geist¬
manie, die so tut, als gebe es keine Menschen
volle Sätze durch die Nase gehen ließ oder mit
von Bildung und Kultur, die ein paar zusam¬
ihnen Gurgelübungen machte, als wären
menhängende Sätze ohne Stocken zu
Spül¬
Schnitzlersche Mots medikamentöses
sprechen vermögen. Da ist Nummer
wasser gegen chronischen Rachenkatarrh.
Eins: Herr Reicher, dessen trockene
Schnitzler
seinen Anatol als
zeigt
Phantasic sich einen geistvollen Schriftsteller
Ehemann, seinen Anatol als Kapellmeister,
nur als einen „nuschelnden" Provinzreporter
der seine schöne Frau sattbekommen hat und
in schäbigstem Anzug und mit Trödelladen¬
mit ihr — ganz Anatol — einen Freund¬
manieren vorzustellen vermag. Dank seiner
schaftsvertrag schließt, in dem der Paragraph
pfendorealistischen Auffassungsmethode fiel alles,
„Liebe“ nicht vorkommt. Sie leben nun mit¬
was die beste Figur des Stückes zu sagen hat,
einander aber nebeneinander und schließlich
unter den Tisch des Hauses Brahm. Reichers
ganz voneinander. Nach längerer Trennung
Interpretationsart ist wohl von einem energischen
erscheini aber dem nervösen Musiker seine viel¬
Regisseur abzustellen, schlimmer steht es um das
fach begehrte und auch begehrlich gewordene
Gebrest des begabten Herrn Bassermann,
Frau plötzlich in einem ganz neuen sinnlichen
der zu seiner unerträglichen Mannheimerei, die
Reiz, und in unwiderstehlich erwachter Glut zer¬
er diesmal wienerisch mit ein paar „net" und
reißt er den Freundschaftsvertrag mit dem
„g'sagt“ aufputzte, eine Art von Wortzerquetschen
fehlenden Liebesparagraphen und nötigt die
sich als „individuelle“ Ausdrucksart zugelegt hat,
anfangs widerstrebende Frau zu einer gemein¬
die an einem Werk der feinen Sätze, wie das
samen Nacht. Am nächsten Morgen ist die
Schnitzlersche doch immerhin ist, den reinen Mord
Frau von den offenbar sehr temperamentvollen
bedeutet. Das ist unmöglich allein auf einen
Liebesbezeigungen ihres Gatten nicht nur nicht
Defekt in der Kehle des Künstlers zu schieben.
begeistert, sondern sie empfindet erst jetzt eine
das ist einfach Zuchtlosigkeit. Frau Triesch
tiefere Kluft zwischen sich und dem Mann, der
allein kam für klare Wiedergabe von Gedanken
sich sogar aus Eifersucht für sie schlagen
und Wort auf. Den jungen Prinzen Sigis¬
will, aber als die Frau, statt purpurrote
mund, eine feine, geschmeidig=lässige Aristokraten¬
Liebeslieder mit ihrer warmtimbrierten
figur vom Wiener Turf, gab man dem Eckigsten,
Carmen=Stimme zu singen, auf der asketischen
Steifsten, den man finden konnte: Herrn Grun¬
Trübsalsharfe klimpert, und ganz unschnitzlerisch¬
wald. Ist Herr Curt Stieler jetzt in Ungnade?
gedankliche Terte spricht, da packt der Neurasthe¬
Dafür leuchtet aber die Rampensonne umso
niter sein Lotenbündel und fährt mit dem
strahlender dem Frl. Schiff, die eine Wiener
nächsten Zuge auf immer weg. „Wir lassen
Gräfin und Sängerin mit erbarmungswextem
uns nicht scheiden — wir scheiden,“ hat Frau
Cäcilie vorhin ruhig und entschlossen gesagt;
Schick „hinstellte“.
Luciies.
jetzt setzt sie sich aber wie starr hin ins leere¬
Musikzimmer und weint.
Wenn Unentschlossenheit und Konsequenzlosig¬
keit das Kennzeichen moderner Menschen, dann
sind Schnitzlers Amadeus und Cäcilie, die ihre
Ehe langsam aber sicher zergrübeln, hyper¬
moderne Lebewesen; nur schade, daß sie nicht
richtige Komödienfiguren aus einer rechten
—ae