20. Zuischenspiel
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Zwischenspiel
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lichen Mächte des Inneren, für unüberwindlich rätselvolle Triebe, für den jähen
Zwang des Blutes, für die lockenden Trugbilder der Phantasie.
Einen ähnlichen Gedanken, der den gleichen Kern in den mythologisch¬
legendarischen Vorstellungen primitiverer Zeiten und in der modernen Seelen¬
forschung feststellt, spricht Lafcadio Hearn, der englisch=japanische Philosoph,
aus, wenn er sagt: „Figürlich können wir sagen, daß jeder Intellekt eine Welt
von Geistern ist — Geister, die unvergleichlich zahlreicher sind, als die an¬
erkannten Millionen der Shinko=Kamis (der japanischen Ahnengeister), und daß
die geisterhafte Bevölkerung einer einzigen Gehirnzelle die wildesten Phantasien
der mittelalterlichen Scholastiker von der Zahl der Engel, die auf einer Nadel¬
spitze stehen können, noch übersteigt.“
Ein Wort von Lessing gehört noch in diesen Zusammenhang, das jene
„Trolls in unserem Herzen und Hirn“ mit scharfem Blendlaternenschein belichtet,
jenes Wort, das in einer Shakespearecharakteristik (Nomeo und Julia gegen
Voltairs Jaire) von den „kleinsten, geheimsten Ränken“ spricht, „durch die sich
ein Gefühl in unsre Seelen einschleicht, all den unmerklichen Vorteilen, die es
darin gewinnt, all den Kunstgriffen, mit denen es jede andere Leidenschaft unter
sich bringt, bis es der einzige Tyrann unserer Begierden und Verabscheu¬
ungen wird“
Für solche eingeborene Dämonologie hat nun von allen Gegenwarts¬
dichtern — wenn man den großen Heimlichkeitsbeschwörer Ibsen ausnimmt —
das stärkste künstlerische Interesse Artur Schnitzler. Und in diesem letzten Werk,
„Zwischenspiel“, versucht er mit subtilen Erweckungskünsten solch Walten in die
Erscheinung zu bringen. And das Thema ist, noch einmal formuliert, die „ewige
Ansicherheit aller irdischen Beziehungen zwischen Mann und Weib“.
Ein Ehefall gibt den äußeren Stoff und die Gelegenheit, experimentell
in alle Schleichwege der Seele hineinzuleuchten, auf denen durch Phankome
der Einbildungskraft, durch Märchen des Blutes, durch Illusions- und Vor¬
stellungsgebilde Menschen sich von unkontrollierbaren Einbildungskräften über¬
rumpeln lassen.
Das Goethewort wird hier gegenwärtig, auch voll des beklommenen Ge¬
fühls der Ansicherheiten: „Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft“, und
die letzte Frage ist: Wer kennt den andern, wer kennt sich selbst?
Und Schicksalsironien spielen bedeutungsvoll hinein, ein Mensch glaubt,
wahr zu sein, und gerade in dem Moment belügt er sich am schwersten. Ein
Mensch glaubt, ein Verlorenes wiedergefunden zu haben, und gerade da ist es
ihm unaufhaltsam entglitten.
Solche komplizierten inneren Geschehnisse, wie sie hier sich begeben, werden
den normalen Durchschnittsnaturen nicht zum Ereignisse, oder aber sie setzen sich
anders bei ihnen um, sie werden bequemer, handfester erledigt. Schnitzler nahm
als geeignete, möglichkeitsreichste Träger der Vorgänge ein Künstlerehepaar.
Er, Amadeus, Kapellmeister und Komponist; sie, Cäcilie, Sängerin. Die
menschlichen Beziehungen dieses Ehepaares bekommen dadurch eine steigerndere
Komplikation, daß sie beide eine künstlerische Gemeinschaft voll ganz einzigen,
unentbehrlichen Verständnisses haben. Sie singt seine Lieder, wie niemand
anders es kann, und er weckt in ihr, beim Studium ihrer Rollen, ungeahnte
Verständnisse und tiefe Blicke.
In der Kunst sind sie eins, aber in die Lebens= und Liebeseinheit hat
sich ein Spuk zersetzend, verwirrend eingemischt. Den Mann zieht es nach einer
Der Türmer VIII, 4
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lichen Mächte des Inneren, für unüberwindlich rätselvolle Triebe, für den jähen
Zwang des Blutes, für die lockenden Trugbilder der Phantasie.
Einen ähnlichen Gedanken, der den gleichen Kern in den mythologisch¬
legendarischen Vorstellungen primitiverer Zeiten und in der modernen Seelen¬
forschung feststellt, spricht Lafcadio Hearn, der englisch=japanische Philosoph,
aus, wenn er sagt: „Figürlich können wir sagen, daß jeder Intellekt eine Welt
von Geistern ist — Geister, die unvergleichlich zahlreicher sind, als die an¬
erkannten Millionen der Shinko=Kamis (der japanischen Ahnengeister), und daß
die geisterhafte Bevölkerung einer einzigen Gehirnzelle die wildesten Phantasien
der mittelalterlichen Scholastiker von der Zahl der Engel, die auf einer Nadel¬
spitze stehen können, noch übersteigt.“
Ein Wort von Lessing gehört noch in diesen Zusammenhang, das jene
„Trolls in unserem Herzen und Hirn“ mit scharfem Blendlaternenschein belichtet,
jenes Wort, das in einer Shakespearecharakteristik (Nomeo und Julia gegen
Voltairs Jaire) von den „kleinsten, geheimsten Ränken“ spricht, „durch die sich
ein Gefühl in unsre Seelen einschleicht, all den unmerklichen Vorteilen, die es
darin gewinnt, all den Kunstgriffen, mit denen es jede andere Leidenschaft unter
sich bringt, bis es der einzige Tyrann unserer Begierden und Verabscheu¬
ungen wird“
Für solche eingeborene Dämonologie hat nun von allen Gegenwarts¬
dichtern — wenn man den großen Heimlichkeitsbeschwörer Ibsen ausnimmt —
das stärkste künstlerische Interesse Artur Schnitzler. Und in diesem letzten Werk,
„Zwischenspiel“, versucht er mit subtilen Erweckungskünsten solch Walten in die
Erscheinung zu bringen. And das Thema ist, noch einmal formuliert, die „ewige
Ansicherheit aller irdischen Beziehungen zwischen Mann und Weib“.
Ein Ehefall gibt den äußeren Stoff und die Gelegenheit, experimentell
in alle Schleichwege der Seele hineinzuleuchten, auf denen durch Phankome
der Einbildungskraft, durch Märchen des Blutes, durch Illusions- und Vor¬
stellungsgebilde Menschen sich von unkontrollierbaren Einbildungskräften über¬
rumpeln lassen.
Das Goethewort wird hier gegenwärtig, auch voll des beklommenen Ge¬
fühls der Ansicherheiten: „Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft“, und
die letzte Frage ist: Wer kennt den andern, wer kennt sich selbst?
Und Schicksalsironien spielen bedeutungsvoll hinein, ein Mensch glaubt,
wahr zu sein, und gerade in dem Moment belügt er sich am schwersten. Ein
Mensch glaubt, ein Verlorenes wiedergefunden zu haben, und gerade da ist es
ihm unaufhaltsam entglitten.
Solche komplizierten inneren Geschehnisse, wie sie hier sich begeben, werden
den normalen Durchschnittsnaturen nicht zum Ereignisse, oder aber sie setzen sich
anders bei ihnen um, sie werden bequemer, handfester erledigt. Schnitzler nahm
als geeignete, möglichkeitsreichste Träger der Vorgänge ein Künstlerehepaar.
Er, Amadeus, Kapellmeister und Komponist; sie, Cäcilie, Sängerin. Die
menschlichen Beziehungen dieses Ehepaares bekommen dadurch eine steigerndere
Komplikation, daß sie beide eine künstlerische Gemeinschaft voll ganz einzigen,
unentbehrlichen Verständnisses haben. Sie singt seine Lieder, wie niemand
anders es kann, und er weckt in ihr, beim Studium ihrer Rollen, ungeahnte
Verständnisse und tiefe Blicke.
In der Kunst sind sie eins, aber in die Lebens= und Liebeseinheit hat
sich ein Spuk zersetzend, verwirrend eingemischt. Den Mann zieht es nach einer
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