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20. Zwischenspiel
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Zwischenspiel
ironie, zu zeigen, wie primitiv und typisch die Mittel der Natur sind beim
Fallenstellen, und wie die Intelligenten genau so hineintappen wie die „Tumben“.
So baut sich in dem Mann ein neues Bild der Frau mit neuen lockenden
Eigenschaften auf.
Während er so zu sich zurückgekehrt, ist sie, im Gegensatz zu ihm, „außer
sich geraten“, sie ist eine andere geworden. In den künstlerischen Triumphen,
in der gesteigerten Atmosphäre der Bewunderung, in der Leidenschaft, über
Kränkung und Verschmähung hinauszuwachsen und sich ein eigenes Schicksal
zu schaffen, hat sich ihr Wesen geweitet; ein Glanz leuchtet in ihren Augen, ein
Klang vibriert in ihrer Stimme, der Amadeus fremd ist und ihn berauscht.
In dieser Begegnung begibt sich jetzt neue Gefühlsverwirrung. In ihm
ist die Wiederliebe zur Cäcilie, wie er sie gekannt, vorbereitet, sie mischt sich
nun aufreizend mit dem verführerischen Fluidum eines ihm ganz neuen Wesens.
Und Amadeus sagt: „Nein, du bist nicht die, die jahrelang meine Frau war;
das habe ich in dem Augenblick empfunden, als du hereintratest. Nur ein
geheimnisvoller Zusammenhang besteht zwischen dem jungen Mädchen, das vor
sieben Jahren eines Abends in meine Arme sank, und der, die heute aus der
Fremde in diesem Hause für kurze Zeit eingekehrt ist. Aber diese sieben Jahre
habe ich mit einer anderen verlebt — mit einer stillen, gütigen Frau, mit einer
Art von Engel vielleicht, der nun entschwunden ist. Die, die heute kam, hat
eine Stimme, die ich nie gehört, Blicke, die mir fremd sind, eine Schönheit,
die ich nicht kenne ...“
Auch dies ein bedeutungsvolles Lebensmotiv, daß die Menschen im
Gewohnheits-Nebeneinander sich im immer gleichen Lichte sehen, in scheinbar
ewig festgelegter Form, bis eine besondere Situation enthüllend zeigt, wie
wenig die Nächsten voneinander wissen.
In diesem dramatischen Gegenüber sind nun also die Rollen getauscht.
Er brennt lichterloh, und sie, die sich mühsam überwunden, die schwer kämpfend
von ihm sich innerlich unabhängig gemacht, erschrickt und erinnert ihn an das
Freundschaftsbündnis. Doch er, in der Amnebelung der begehrenden Sinne,
umstrickt sie und nimmt sie, die dann von der Hochspannung dieser Momente
überrumpelt wird, wie eine Geliebte.
Es begibt sich hier etwas psychologisch Ahnliches, wie in jener verhängnis¬
vollen geistig-ehebrecherischen Liebesnacht Eduards und Charlottens in Goethes
Wahlverwandtschaften.
Cäcilie ist nun so vom Dichter gezeichnet, daß dies Erlebnis mit Trug
und Geschlechtsverführung für sie eine unheilbare Gefühlsverletzung voll töd¬
licher Scham bedeutet.
Amadeus, nur in Eigen=Illusion, glaubt sie wiedergewonnen, zumal, da
seine Angst, daß Cäcilie ihm in der Zwischenzeit untreu war, überzeugend zer¬
streut ist, und gerade jetzt erst hat er sie wirklich verloren. Cäciliens Feingefühl
graut es vor einem noch schlimmeren Ende, vor noch erniedrigenderen Kon¬
sequenzen der Selbstlüge und der reizbaren Schwäche der Einbildung. Sie zwingt
sich zu dem Trennungsentschluß. Und Amadeus vermag es nicht, sie zu halten.
Und als er, der unverbesserliche Illusionist, wie ein schmollendes, ratloses
Kind — ein feiner Zug in dieser labilen, gleitenden Künstlernatur — gekränkt
sagt: „Das ist der Lohn dafür, daß wir gegenseitig immer wahr gewesen sind“.
antwortet ihm die wissend gewordene Frau: „Sind wir's denn immer gewesen?
Wenn alles andere wahr gewesen ist, — daß wir beide uns so schnell darein
20. Zwischenspiel
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Zwischenspiel
ironie, zu zeigen, wie primitiv und typisch die Mittel der Natur sind beim
Fallenstellen, und wie die Intelligenten genau so hineintappen wie die „Tumben“.
So baut sich in dem Mann ein neues Bild der Frau mit neuen lockenden
Eigenschaften auf.
Während er so zu sich zurückgekehrt, ist sie, im Gegensatz zu ihm, „außer
sich geraten“, sie ist eine andere geworden. In den künstlerischen Triumphen,
in der gesteigerten Atmosphäre der Bewunderung, in der Leidenschaft, über
Kränkung und Verschmähung hinauszuwachsen und sich ein eigenes Schicksal
zu schaffen, hat sich ihr Wesen geweitet; ein Glanz leuchtet in ihren Augen, ein
Klang vibriert in ihrer Stimme, der Amadeus fremd ist und ihn berauscht.
In dieser Begegnung begibt sich jetzt neue Gefühlsverwirrung. In ihm
ist die Wiederliebe zur Cäcilie, wie er sie gekannt, vorbereitet, sie mischt sich
nun aufreizend mit dem verführerischen Fluidum eines ihm ganz neuen Wesens.
Und Amadeus sagt: „Nein, du bist nicht die, die jahrelang meine Frau war;
das habe ich in dem Augenblick empfunden, als du hereintratest. Nur ein
geheimnisvoller Zusammenhang besteht zwischen dem jungen Mädchen, das vor
sieben Jahren eines Abends in meine Arme sank, und der, die heute aus der
Fremde in diesem Hause für kurze Zeit eingekehrt ist. Aber diese sieben Jahre
habe ich mit einer anderen verlebt — mit einer stillen, gütigen Frau, mit einer
Art von Engel vielleicht, der nun entschwunden ist. Die, die heute kam, hat
eine Stimme, die ich nie gehört, Blicke, die mir fremd sind, eine Schönheit,
die ich nicht kenne ...“
Auch dies ein bedeutungsvolles Lebensmotiv, daß die Menschen im
Gewohnheits-Nebeneinander sich im immer gleichen Lichte sehen, in scheinbar
ewig festgelegter Form, bis eine besondere Situation enthüllend zeigt, wie
wenig die Nächsten voneinander wissen.
In diesem dramatischen Gegenüber sind nun also die Rollen getauscht.
Er brennt lichterloh, und sie, die sich mühsam überwunden, die schwer kämpfend
von ihm sich innerlich unabhängig gemacht, erschrickt und erinnert ihn an das
Freundschaftsbündnis. Doch er, in der Amnebelung der begehrenden Sinne,
umstrickt sie und nimmt sie, die dann von der Hochspannung dieser Momente
überrumpelt wird, wie eine Geliebte.
Es begibt sich hier etwas psychologisch Ahnliches, wie in jener verhängnis¬
vollen geistig-ehebrecherischen Liebesnacht Eduards und Charlottens in Goethes
Wahlverwandtschaften.
Cäcilie ist nun so vom Dichter gezeichnet, daß dies Erlebnis mit Trug
und Geschlechtsverführung für sie eine unheilbare Gefühlsverletzung voll töd¬
licher Scham bedeutet.
Amadeus, nur in Eigen=Illusion, glaubt sie wiedergewonnen, zumal, da
seine Angst, daß Cäcilie ihm in der Zwischenzeit untreu war, überzeugend zer¬
streut ist, und gerade jetzt erst hat er sie wirklich verloren. Cäciliens Feingefühl
graut es vor einem noch schlimmeren Ende, vor noch erniedrigenderen Kon¬
sequenzen der Selbstlüge und der reizbaren Schwäche der Einbildung. Sie zwingt
sich zu dem Trennungsentschluß. Und Amadeus vermag es nicht, sie zu halten.
Und als er, der unverbesserliche Illusionist, wie ein schmollendes, ratloses
Kind — ein feiner Zug in dieser labilen, gleitenden Künstlernatur — gekränkt
sagt: „Das ist der Lohn dafür, daß wir gegenseitig immer wahr gewesen sind“.
antwortet ihm die wissend gewordene Frau: „Sind wir's denn immer gewesen?
Wenn alles andere wahr gewesen ist, — daß wir beide uns so schnell darein