II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 316

20. Zuischensniel
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Zwischenspiel
gefunden in jener Stunde, da du mir deine Leidenschaft für die Gräfin und
ich dir meine Neigung für Siegismund gestand — das ist nicht Wahrheit ge¬
wesen. Hätten wir einander damals unseren Zorn, unsere Erbitterung, unsere
Verzweiflung ins Gesicht geschrien, statt die Gefaßten und Aberlegenen zu
spielen, dann wären wir wahr gewesen — Amadeus, und wir waren es nicht.“
Schnitzler ist hier wieder der Wissende, der mit spähenden Augen auf
die Kreuzwege der Seele blickt, in jene schillernden Übergangs= und Grenzgebiete
des Gefühls. Er führt die psychologischen Komplikationen klug und sicher und
sein Experiment nimmt einen den Bedingungen der gewählten Stoffe logisch
entsprechenden Verlauf.
Aber aus diesem kühlen, verstandesmäßigen Bild des Experiments, oder
man könnte auch sagen der Gleichung, geht schon hervor, daß die Kunst, die
hier waltet, durchaus zerebral ist.
Am diese schwankenden, diffizilen Zustände in die dramatische Form zu
bringen, mußte eine rechnerische Konzentration angewendet werden, die die
Personen ausschließlich zu Wortführern der Schnitzlerschen Dialektik macht, zu
Figuren, die ein Schnitzlersches Thema in Dialogen austragen. Die Dialektik
und das Thema sind anregend und nachdenklich, aber in der dünnen Luft der
Abstraktion, auf den „steilen Eisgraten des Gehirns“ werden die Figuren selbst
etwas schemenhaft. Sie tragen ihren Zweck und Beruf, Vivisektionsobjekte für
einen bestimmten Fall zu sein, zu deutlich an der Stirn, sie ermangeln allzu
puritanisch eines gewissen menschlichen Beiwerks.
Diese Technik ist disputatorisch, antithetisch, ja man wird manchmal an
die antike Stichomythie erinnert; ein Räsoneur als Chorus fehlt nicht; die Rede
wird mit Thesen und Sentenzen durchwirkt, paradox, geistreich=spielend, schillernd¬
gefährlich, und oft voll tieferer Bedeutung. So heißt es: „Verlockungen wider¬
stehn mit Sehnsucht in der Seele, kann von allen Lügen die schlimmste und
gefährlichste sein, und man kann eher aus Abenteuern heil nach Hause kommen
als aus Wünschen,“ was an Oskar Wildes Immoralistenpointe erinnert: Das
beste Mittel, Versuchungen zu überwinden, ist, ihnen nachzugeben.
Aber dieser Näsoneur sagt auch Wahrheiten, die noch ernstere Gesichte
tragen: „Das ist das Charakteristische aller Abergangsepochen, daß Verwick¬
lungen, die für die nächste Generation vielleicht gar nicht mehr existieren werden,
tragisch enden müssen, wenn ein leidlich anständiger Mensch hineingerät.“
Diese Technik, die eigentlich ein gewisses Ausspielen seelischer Trümpfe
ist, eine psychologische Partie, fesselt zwei Akte lang ungemein. Im dritten
leidet sie künstlerisch Schiffbruch. Die seelische Situation der Cäcilie verlangt
nach einer anderen Spiegelung, als daß die Arme sich selbst und uns in destil¬
lierter Rede das Problem präzisieren muß. Hier lebt Schnitzlers Klugheit
etwas peinlich auf Kosten des dichterischen Feingefühls.
And die Klugheit wird wieder beeinträchtigt durch eine Ansicherheit, fast
könnte man sagen durch ein böses Gewissen. Das bringt Schnitzler um die über¬
legene Haltung, und um es zu verbergen, wird er geräuschvoll, er unterstreicht
und schreit ins Publikum. Der Räsoneur, den er bis dahin zum Glossieren,
und, da dieser ein dramatischer Dichter, zu einer witzigen Doppelspiegelung der
Vorgänge benutzte — eine Variation zu der alten Vorliebe dieses Dichters
fürs „Spiel im Spiel“, mit den sich daraus ergebenden romantischen Ironien —
der muß jetzt mit einer überdicken Deutlichkeit und einer für einen Freund dieses
Hauses befremdlichen burlesken Taktlosigkeit die Situationen kommentieren.