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20. Zuischensniel
Rundschau.
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auch die Wissenschaften, besonders die der Natur, zur von Musik und Chor abgesehen — scheint mir die zweite
Selbstbeobachtung und zum Experiment anleiten.
Entwicklungsmöglichkeit der dramatischen Dichtkunst zu
Heroen sind Vollmenschen. Wer eignete sich besser nutzen, die an den andern Großen von Weimar an¬
zu Dramenhelden als solche Menschen mit großer Fall¬
knüpft, an Goethe in seiner „Natürlichen Tochter“.
höhe? Und Vollmenschen stellen heute fast nur mehr
Diese Art ist aufgebaut nach dem Prinzip der Typi¬
sierung.)
die Künstler: Sie leben sich deutlich vor aller Welt
Die letzte lebendige Stunde („Literatur“) erbrachte den
aus. Heroentum von einst gab sich kund in glänzen¬
Beweis, daß „Esprit“ auch im deutschen Leben und
den äußeren Handlungen, Heroentum von heute liegt
in inneren Handlungen. Und dieses ist oftmals erha¬
in deutscher Kunst springt und sprudelt. In köst¬
beuer als jenes.
licher Selbstironie malte Schnitzler Literatentum, wie es
Ist es mit Goethes Tasso anders? ist es mit Sappho
im Café haust. Gilbert, der „innerlich“ ohrfeigende,
anders? Man nehme Tasso den Dichter aus Goethes
der „innerlich“ mit einem Stoff oder Erleben fertige,
Drama heraus und nehme die Sängerin Sappho heraus
der humorvolle gute Kerl mit dem großen Mundwerk
und dem kleinen Mut ist dort der männliche Repräsen¬
aus Grillparzers Dichtung und bringe sie aneinander.
tant der „Schaffenden“.
Abstrahieren wir von allem, was äußere und innere
Diese zwei Figuren, die ernsthafte und die spaßhafte,
kulturelle Bedingtheit an ihnen gemodelt haben und
stellen wir sie als Kinder unsrer Zeit mitten unter uns
ließen den Erzeuger nicht los. Er läßt den jungen
und ich wette, was aus der Retorte dann herausspaziert,
Künstler älter werden, gibt ihm die versteckten Ernst¬
haftigkeiten des Gilbert. Und der tolle Gilbert wird
ist sehr wahlverwandt dem „Zwischenspiel“. Im Ernst:
Albertus Rhon. Wahrlich, dieser Albertus Rhon, ist er
die bloße Möglichkeit, daß ich mit dem kühnen Bilde
nicht ein Nachfahr der Narren Shakespeares? Paradox
recht haben kann, ist genug Bürge dafür, daß das
wie diese, narrt er seinen und unseren Helden, narrt
Zwischenspiel mehr ist als ein Spiel und nicht zwischen
die vielen dramatischen Erzeugnisse der letzten Jahre be¬
die Welt und geißelt sie und geht durch die Komödie
wie ein rechter Narr, jetzt schwatzt er vernünftigen Un¬
liebig obenhin einzuschachteln. Überdies darf ich auch
auf das hinweisen, was ich letzthin an derselben Stelle
sinn und jetzt wieder unsinnige Vernunft und mitten¬
drein redet er klar wie ein verständiger Erdenbürger.
(November=Heft) über die Komödie ausgeführt habe
Und zum Schlusse findet er das befreiende Wort vom
und wofür ich in dem neuen Schnitzler eine glänzende
Schmerz, der uns größer macht, der das Schaffen för¬
Bestätigung sehe.
dert. Und er richtet den Meister auf, der einen Augen¬
Ja, eine neue Verheißung, eine viel herrlichere noch
blick irre ward und über Menschlichem, Allzumensch¬
als alle vor ihm, ist dieses Werk eines echten Dichters,
lichem seiner Sendung fast vergaß.
des besten, kräftigsten, reichsten, männlichsten Schöpfers
Denn jenseits von Gut und Böse stehen die Künst¬
(männlicher selbst als Hauptmann).
Wie schuf er es?
ler, das haben sie mit der Natur gemein. So das,
Als wir vor Jahren nach ihm seine „Lebendigen
was andre schuldig machen und zerbrechen müßte, daß
sie das abschütteln. Und sie treten in neuen Arbeits¬
Stunden“ erleben durften, da fühlten wir uns ganz tief
angeregt durch die erste Stunde und kostbar erheitert
tag. Aber nicht die Selben sind sie dann, nein, Neue,
wiedergeboren. So hat Goethe neunundneunzig Leben
durch die letzte Stunde. Die erste stimmungsvoll in
gelebt. So wird Meister Amadeus Adams Auferstehung
Schwarz=Weiß hingeworfene dramatische Skizze zeigte so
feiern und — wer weiß — vielleicht wenn Frau
recht die unüberbrückbare Kluft auf zwischen dem altern¬
Ortenburg, Weib und Künstlerin (denn der Mann wird
den Leben, das nur auf Leben, nicht auf Erleben ge¬
aufgehoben in der Kunst, das Weib nie völlig; daran
stellt ist, und dem jungen, aus Schicksalsschlag, Trauer
liegts) ihm freier und stärker wiederbegegnet, ihm, in
und Schmerz Nahrung und Ansporn saugenden Künstler¬
seiner neuen Wesenheit, vielleicht daß sie dann wieder
tum. (Wilhelm von Wymetal zeichnete den reifenden
eine Strecke Weges zusammengehören.
Dichter Heinrich mit vornehmster Delikatesse und der von
Die Geister Tassos und Sapphos habe ich herauf¬
der öffentlichen Meinung angefochtenen positiven Auf¬
fassung erteilte der befragte Dichter seine Sanktion.)
beschworen.
Daß das Geschenk des Leidens Quelle von Schöp¬
Im Tasso steht der männliche Künstler der Um¬
welt und sich selbst gegenüber.
fungen sein kann, diese Erkenntnis floß daraus, sowie
In der Sappho steht der weibliche Künstler der
die eherne Wahrheit: Über Gräber schreiten wir alle.
Umwelt und sich selbst gegenüber.
Egoismus sagt die Bourgeoisie, Ellbogenfreiheit sagt
Dort der Mann, der an der Muse des Dichters
Zarathustra. Der Skalde Jategyr in Ibsens Kronprä¬
leidet in aussichtsloser Liebe.
tendenten singt dasselbe hohe Lied des Schmerzes. Das
Hier die Dichterin, die an dem Erkorenen des Weibes
Recht über Gräber zu schreiten posannt die „Sänger¬
leidet, das alternde verdrängt von dem jungen. Noch
weihe" von Professor Ehrenfels in hehren Klängen
einmal:
hinaus in die Welt. (Und die Art dieses Dramas —
20. Zuischensniel
Rundschau.
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auch die Wissenschaften, besonders die der Natur, zur von Musik und Chor abgesehen — scheint mir die zweite
Selbstbeobachtung und zum Experiment anleiten.
Entwicklungsmöglichkeit der dramatischen Dichtkunst zu
Heroen sind Vollmenschen. Wer eignete sich besser nutzen, die an den andern Großen von Weimar an¬
zu Dramenhelden als solche Menschen mit großer Fall¬
knüpft, an Goethe in seiner „Natürlichen Tochter“.
höhe? Und Vollmenschen stellen heute fast nur mehr
Diese Art ist aufgebaut nach dem Prinzip der Typi¬
sierung.)
die Künstler: Sie leben sich deutlich vor aller Welt
Die letzte lebendige Stunde („Literatur“) erbrachte den
aus. Heroentum von einst gab sich kund in glänzen¬
Beweis, daß „Esprit“ auch im deutschen Leben und
den äußeren Handlungen, Heroentum von heute liegt
in inneren Handlungen. Und dieses ist oftmals erha¬
in deutscher Kunst springt und sprudelt. In köst¬
beuer als jenes.
licher Selbstironie malte Schnitzler Literatentum, wie es
Ist es mit Goethes Tasso anders? ist es mit Sappho
im Café haust. Gilbert, der „innerlich“ ohrfeigende,
anders? Man nehme Tasso den Dichter aus Goethes
der „innerlich“ mit einem Stoff oder Erleben fertige,
Drama heraus und nehme die Sängerin Sappho heraus
der humorvolle gute Kerl mit dem großen Mundwerk
und dem kleinen Mut ist dort der männliche Repräsen¬
aus Grillparzers Dichtung und bringe sie aneinander.
tant der „Schaffenden“.
Abstrahieren wir von allem, was äußere und innere
Diese zwei Figuren, die ernsthafte und die spaßhafte,
kulturelle Bedingtheit an ihnen gemodelt haben und
stellen wir sie als Kinder unsrer Zeit mitten unter uns
ließen den Erzeuger nicht los. Er läßt den jungen
und ich wette, was aus der Retorte dann herausspaziert,
Künstler älter werden, gibt ihm die versteckten Ernst¬
haftigkeiten des Gilbert. Und der tolle Gilbert wird
ist sehr wahlverwandt dem „Zwischenspiel“. Im Ernst:
Albertus Rhon. Wahrlich, dieser Albertus Rhon, ist er
die bloße Möglichkeit, daß ich mit dem kühnen Bilde
nicht ein Nachfahr der Narren Shakespeares? Paradox
recht haben kann, ist genug Bürge dafür, daß das
wie diese, narrt er seinen und unseren Helden, narrt
Zwischenspiel mehr ist als ein Spiel und nicht zwischen
die vielen dramatischen Erzeugnisse der letzten Jahre be¬
die Welt und geißelt sie und geht durch die Komödie
wie ein rechter Narr, jetzt schwatzt er vernünftigen Un¬
liebig obenhin einzuschachteln. Überdies darf ich auch
auf das hinweisen, was ich letzthin an derselben Stelle
sinn und jetzt wieder unsinnige Vernunft und mitten¬
drein redet er klar wie ein verständiger Erdenbürger.
(November=Heft) über die Komödie ausgeführt habe
Und zum Schlusse findet er das befreiende Wort vom
und wofür ich in dem neuen Schnitzler eine glänzende
Schmerz, der uns größer macht, der das Schaffen för¬
Bestätigung sehe.
dert. Und er richtet den Meister auf, der einen Augen¬
Ja, eine neue Verheißung, eine viel herrlichere noch
blick irre ward und über Menschlichem, Allzumensch¬
als alle vor ihm, ist dieses Werk eines echten Dichters,
lichem seiner Sendung fast vergaß.
des besten, kräftigsten, reichsten, männlichsten Schöpfers
Denn jenseits von Gut und Böse stehen die Künst¬
(männlicher selbst als Hauptmann).
Wie schuf er es?
ler, das haben sie mit der Natur gemein. So das,
Als wir vor Jahren nach ihm seine „Lebendigen
was andre schuldig machen und zerbrechen müßte, daß
sie das abschütteln. Und sie treten in neuen Arbeits¬
Stunden“ erleben durften, da fühlten wir uns ganz tief
angeregt durch die erste Stunde und kostbar erheitert
tag. Aber nicht die Selben sind sie dann, nein, Neue,
wiedergeboren. So hat Goethe neunundneunzig Leben
durch die letzte Stunde. Die erste stimmungsvoll in
gelebt. So wird Meister Amadeus Adams Auferstehung
Schwarz=Weiß hingeworfene dramatische Skizze zeigte so
feiern und — wer weiß — vielleicht wenn Frau
recht die unüberbrückbare Kluft auf zwischen dem altern¬
Ortenburg, Weib und Künstlerin (denn der Mann wird
den Leben, das nur auf Leben, nicht auf Erleben ge¬
aufgehoben in der Kunst, das Weib nie völlig; daran
stellt ist, und dem jungen, aus Schicksalsschlag, Trauer
liegts) ihm freier und stärker wiederbegegnet, ihm, in
und Schmerz Nahrung und Ansporn saugenden Künstler¬
seiner neuen Wesenheit, vielleicht daß sie dann wieder
tum. (Wilhelm von Wymetal zeichnete den reifenden
eine Strecke Weges zusammengehören.
Dichter Heinrich mit vornehmster Delikatesse und der von
Die Geister Tassos und Sapphos habe ich herauf¬
der öffentlichen Meinung angefochtenen positiven Auf¬
fassung erteilte der befragte Dichter seine Sanktion.)
beschworen.
Daß das Geschenk des Leidens Quelle von Schöp¬
Im Tasso steht der männliche Künstler der Um¬
welt und sich selbst gegenüber.
fungen sein kann, diese Erkenntnis floß daraus, sowie
In der Sappho steht der weibliche Künstler der
die eherne Wahrheit: Über Gräber schreiten wir alle.
Umwelt und sich selbst gegenüber.
Egoismus sagt die Bourgeoisie, Ellbogenfreiheit sagt
Dort der Mann, der an der Muse des Dichters
Zarathustra. Der Skalde Jategyr in Ibsens Kronprä¬
leidet in aussichtsloser Liebe.
tendenten singt dasselbe hohe Lied des Schmerzes. Das
Hier die Dichterin, die an dem Erkorenen des Weibes
Recht über Gräber zu schreiten posannt die „Sänger¬
leidet, das alternde verdrängt von dem jungen. Noch
weihe" von Professor Ehrenfels in hehren Klängen
einmal:
hinaus in die Welt. (Und die Art dieses Dramas —