II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 335

20. Zwischensniel box 25/3
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Im Manne ist die Kunst stärker, im Weibe das Weib;
daher auch im Tasso guter Ausgang, in der Sappho
tragisches Ende. Der vielgewendeten Frage, ob Tasso
eine Tragödie ist oder nicht, ließe sich so beikommen:
Dieser Tasso ist so gut wie tot, der Mann und
der Dichter; aber ein neuer Tasso kann werden, be¬
reichert um die Voraussetzungen, die aus der tragischen
Episode gewonnen sind.
Im „Zwischenspiel“ nun leiden zwei feine Menschen,
hohe Menschen, leiden jeder an sich selbst und an dem
andern, beide Künstler!
So glaube ich denn, daß hier das letzte Wort im
Künstlerdrama gesprochen ist und daß ein Weitergehen
keinen Gewinn mehr brächte. Das Motiv gehe wieder
über in den Besitz der Novelle!
Was geht vor?
Bis vor einem Jahre lehten beide in geradezu idealer
Ehe.
Jetzt schreitet Er über das Grab ihrer Ehe in ver¬
lockende Verheißung neuer Liebe. Dann schreiten beide
über das Grab der Liebe und Ehe miteinander in brün¬
stige Leidenschaft und dann gehen sie auseinander, weil
es Sie so will. Cäcilie nämlich, bis vor einem Jahr
die keusche Ehefrau, ist von Amadeus zum intuitiven
Menschen erweckt worden und noch erträgt sie den Wan¬
del in sich und um sich nicht. Liebe und Ehe waren
ihr ein und dasselbe. Jetzt ist sie entwurzelt und muß
erst aus der an sie heranwogenden Welt selbständiges
Leben saugen.
Eine Komödie.
Es dünken sich die zwei gottbegnadeten Menschen¬
kinder über sich selbst und gegenseitig klar zu sein und
werden doch von der holden Lügnerin Phantasie ver¬
strickt in Irren und Wirren.
Das Intuitive, dem die Künstler ihre Größe dan¬
ken, dem vertrauen sich die Menschen an und gehen
fehl, weil „die Muse zu begleiten, doch zu leiten nicht
versteht“
Wunderlich! Wahrheit wird Lüge, Lüge wäre Wahr¬
Wahrheit. Wer ist seiner selbst sicher? Wer wertet
richtig?
In würdigem Gewande wurde uns der funkelnde
Edelstein dargeboten. Das Interieur war mustergiltig,
Licht — natürliches und künstliches —, Blumen, kurz
alles, was zur „mise en scène“ gehört, war trefflich.
Aber wische die Traube ab und du nimmst ihr viel. Wische
das Wienertum weg aus dem Zwischenspiel und du nimmst
ihm viel. Die echt wienerischen Wendungen und die immer
wiederkehrende Formel „Grüß Dich Gott“ oder „Grüß
Sie Gott“ heischen bestimmte Färbung und der liebe Mensch
und tadellose Aristokrat, der platonische junge Mann ist
so bodenständig in Wien und in den Alpenländern, daß
er anderswo ein Lächeln erregen dürfte. Das merken
wir erst recht, wenn die andern Figuren so unwienerisch
dargestellt werden.
Rundschau.
Den Intentionen des Dichters wurde man im ganzen
weniger gerecht, als zu wünschen gewesen wäre. Aller¬
dings stellt die Komödie die höchsten Anforderungen an
die Spielleitung und an die einzelnen Schauspieler. Die
heterogensten Charaktereigenschaften treten aus dem
Heldenpaar schillernd zutage, ein Bild der unbegrenz¬
ten Möglichkeiten, die alle im Vollmenschen liegen. Die
Gefahr, die größte, ist ein falsches Pathos. Hart an
der Schneide des Lächerlichen bewegt sich der dialek¬
tische Dialog vom Schrei der Natur bis zum bizarrsten
Selbstbespiegeln. Diskret, delikat, geschmackvoll, spitzig,
witzig, mißtrauisch, exaltiert, launenhaft, ehrlich — alle
die Töne und Farben werden verlangt.
Gebt dem Dichter was des Dichters ist.
Trotzdem danken wir aufrichtig dafür, daß man der
Pflicht nachgekommen ist und den österreichischen Dichter
zu Worte hat kommen lassen.
Die Zwischenaktmusik trug dazu bei, daß man in
Schauspiel=Stimmung kam anstatt in die der Komödie;
es wurden getragene Piecen zu Gehör gebracht.
Was aber hindert den Komödiendichter heute, die
reinste Form ohne Makel zu finden? Was hindert
unsern Dichter, mit diesem schönen Werk durchzu¬
dringen?
Die überwuchernde Produktion auf dem Gebiet des
„mittleren Lustspieles“ und der äußerlich zu Komödien
aufgeputzten Zeitsatiren sperren den Weg zur freien
Komödie.
Und das Publikum akklamiert den gewandten Stücke¬
schreibern, ja es fordert solche maitres de plaisir.
In Wiener Patrizierkreisen (und Wien ist doch Öster¬
reich) ist heute noch Kotzebue beliebt. Zwar sieht man
ihn nicht mehr auf den öffentlichen Bühnen. Aber die
Familien tun sich zusammen und lassen in Privatzirkeln
ihre Jugend Kotzebue (und Birch=Pfeifer und Iff¬
land und deren Epigonen) agieren. „Klein Doritt“
ist darum eine helle Freude der Bourgeoisie und der
„Stein unter Steinen“ des Kotzebue redivivus findet
bereitwillige Nerven und Taschentücher.
Aus England, dem Lande des Oratoriums, dem
Lande des Pietismus, dem Lande der Sonntagsruhe, dem
Lande endlich, woher „Quality Street“ kam, ist der
Keim von „Klein Doritt“ zu uns verpflanzt worden,
aus einem Roman von Dickens.
Zwei Figuren hat das Stück. Den alten Doritt,
den König des Schuldgefängnisses mit der Geberde des
Herrschers, mit der Pose der Wohlerzogenheit, mit der
Gewohnheit, wie ein Tyrann zu brandschatzen; eigent¬
lich recht verkommen, aber liebenswürdig auch dann,
wenn er unnachsichtig seinen Tribut fordert; und die
Tochter des Gefängnisses, Klein Doritt, einen Engel.
Bekehrt alle bösen Menschen zu guten Menschen. (Ganz
die Klassisizierung wie in den Erzählungen von Herchen¬
bach, die man uns in den untersten Gymnasialklassen
vorgesetzt hat.) Bekehrt auch den aristokratischen Wild¬