20. Zuischensnie.
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kann nur ein Zwischenspiel sein, nach dem die alte Hand¬
lung wieder ausgenommen wird; doch die alte Handlung
ist nicht das alte Glück; dieses ist nichtwiederkehrend dahin.
Der Narr Amadeus wähnt durch die Freundschaft zwischen
Mann und Weid die wahre Ehe, die zugleich Freundschaft
und finnliche Liebe ist, ersetzen zu können. Seine Gattin
gibt ihm zweifelnd recht. Beide geben einander frei. Das
geistige Band, die gemeinsamen musikalischen Interessen,
die untrennbar schienen, werden zur Qual. Nach der
Trennung wird der Mensch in Amadeus rege, das Gemüt
besiegt übermächtig den Verstand; der „Gatte“ wird eifer¬
süchtig, der das Gerede der Welt verachtende „Freidenker“
schielt nach dem Gerede hin. Die geistige Freundschaft
wird aufs schwerste verletzt: Frau Cäcilie wird, von sinn¬
lichem Verlangen nach einem anderen erfaßt, die außer¬
eheliche Geliebte ihres Gatten. Sie ist frei; sie darf und
will einem anderen ihre Liebe schenken und wird von
ihrem Gatten verführt. Ihr Freund hat seine Freund¬
schaft mißbraucht; sie ist moralisch gefallen. So schwer
es ihr auch wird, sie trennt sich von ihrem Freunde, dem
sie nur „Geliebte“ sein kann. — Ob sie anderen mehr als
nur „Geliebte“ wird sein können? Wohl kaum. Ihr
Glück ist durch das Experimentieren vernichtet. — Tief
sittlich ist das Schnitzlersche Drama. Blumenthal und
Konsorten revarieren jede getrübte Ehe dadurch, daß sie
Mann und Weib zu „Geliebten“ werden lassen. Weniger
großstädtisch=übermenschliche Individuen kommen entweder,
wenn sie das ethische Reinlichkeitsbedürfnis haben, über
den ersten Knax des faktischen oder geistigen Ehebruchs
nicht hinweg, oder aber sie machen sich, wenn sie dickhäutig
genug sind, nichts aus ihm. Schnitzlers Gatten entfremden
sich durch den Bruch ihrer geistigen Kameradschaft. Das
Drama ist durchaus konsequent durchgeführt worden; die
logische Konsequenz soll das Leben festnageln. Geben wir
zu, daß der Entschluß der Gatten zum Experimentieren
die Folge der obysiologischen zeitweiligen gegenseitigen
Abneigung der Gatten ist, wie sie in jeder Ehe, die doch
im Grunde ein Kunstprodukt der Natur ist, vorkommt:
im gewöhnlichen Leben herrscht zumal in der Liebe die
Konsequenz nicht; bei weniger konsequent=verstandesstarken
Menschen als Amadeus und Cäcilie würde das Blumen¬
thalsche Prinzip gesiegt haben; zwar wird der Bruch nie
und nimmer repariert, da aber der „Ehebruch“ ihrerseits
nur geistig ist, der Ehebruch seinerseits nur körperlich
und von Cäcilie verziehen ist, so — es halten gesprungene
Töpfe besser als die heilen. Schnitzler läßt die Konsequenz
siegen; der große Philosoph opfert der Konsequenz die Lebens¬
wahrheit; das Leben, wie wir es uns denken, wie wir es
sehen, ist inkonsequent, macht Kompromisse auf durchaus
unlogischer Grundlage zum großen Leidwesen der Idea¬
listen. Cäcilie ist für uns eine krankhaft gestimmte
Person, wenn sie, die ihrem Gatten auch sinnlich zugetan
sist. ihr Glück dem Gefühle des Beleidigtseins darüber
opfert, daß ihr Gatte es einsehen mußte, daß es eine nur
geistige Freundschaft zwischen zwei der Liebe fähigen
Gatten nicht gibt. Hat sie aber dem Gatten seine Extra¬
vaganzen trotz des gegenteiligen Anscheins nicht ver¬
ziehen, ist sie ihm gänzlich entfremdet, ist die geistige
Freundschaft, was tatsächlich der Fall ist, schon vor dem
Versprechen der geistigen Ehe dahin,
so ist diese
geistige Freundschaft der Geschiedenen eine Lüge und nicht
vorhanden, und wir sehen zwei Akte lang nur die
Zuckungen der finnlichen Liebe unter der unberechtigten
Konsequenzsucht der unnatürlichen Frau Cäcilie.
Berüglich der Auffassung der Rolle der Frau Cäcilie
können wir mit der Darstellerin nur einverstanden sein.
Beim Sviele vermißten wir die pointiertere Mimik.
Loben müssen wir, daß die Darstellerin zu Beginn des
Stückes keine allzustarke seelische Erregung zeigte und
diese für den Schluß des Dramas aufbewahrte; tadeln
müssen wir, daß das Versparte zum Schlusse nicht ge¬
geben wurde. Der Darsteller des Amadeus verschoß sein
Pulver zu früh; er war anfangs, wo er leichtsinniger
hätte sein können, obwohl er genialer Musiker war, zu
tragisch, und wurde deshalb fürs ganze Stück zu mo¬
noton. Es ist ein schweres Gedankendrama; als Lese¬
drama schön zu genießen, da der Leser, wenn er er¬
müdet, das Buch zeitweilig aus der Hand legen kann;
der Darstellung muß der Zuschauer aufs gespannteste
ohne Ruhepause folgen und wird leicht abgestumpft, da
keine lebhafte Handlung fesselt. Albertus Rhon war zu
sehr als tertius gaudens aufgefaßt; zumal zum Schlusse
hätte er erschüttert sein müssen, wenn auch nur über die
Konsequenz des Dichters; denn Rhons „Metie.“ ist es ja,
das Leben zu verstehen. Gräfin Moosheim, Marie Rhon
und Fürst Sigismund waren vortrefflich interpretiert.
Der fremde Akzent der Gräfin wurde über dem Spiel
vergessen. Ob der kleine Peterl ein Junge oder ein
Mädchen war? Bei kleinen Kindern läßt sich das manch¬
mal schwer konstatieren. Gräsin Moosheim erfreute uns
als vorzügliche — Mignon; die Philine lag ihr wohl
nicht. Amadeus zeigte sich als virtuoser Pianist. Frau
Cäcilie sang sonderbarerweise mit der Stimme der Gräfin
Friederike. Wohl Mimicry. Obwohl wir es mit einem
Leseabend zu tun hatten, legten wir angesichts dessen,
daß wir gediegene Schauspieler vor uns hatten, den
schärfsten Maßstab an und müssen trotz aller Beanstan¬
dungen das Spiel in jeder Weise loben.
N: . Schänf
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kann nur ein Zwischenspiel sein, nach dem die alte Hand¬
lung wieder ausgenommen wird; doch die alte Handlung
ist nicht das alte Glück; dieses ist nichtwiederkehrend dahin.
Der Narr Amadeus wähnt durch die Freundschaft zwischen
Mann und Weid die wahre Ehe, die zugleich Freundschaft
und finnliche Liebe ist, ersetzen zu können. Seine Gattin
gibt ihm zweifelnd recht. Beide geben einander frei. Das
geistige Band, die gemeinsamen musikalischen Interessen,
die untrennbar schienen, werden zur Qual. Nach der
Trennung wird der Mensch in Amadeus rege, das Gemüt
besiegt übermächtig den Verstand; der „Gatte“ wird eifer¬
süchtig, der das Gerede der Welt verachtende „Freidenker“
schielt nach dem Gerede hin. Die geistige Freundschaft
wird aufs schwerste verletzt: Frau Cäcilie wird, von sinn¬
lichem Verlangen nach einem anderen erfaßt, die außer¬
eheliche Geliebte ihres Gatten. Sie ist frei; sie darf und
will einem anderen ihre Liebe schenken und wird von
ihrem Gatten verführt. Ihr Freund hat seine Freund¬
schaft mißbraucht; sie ist moralisch gefallen. So schwer
es ihr auch wird, sie trennt sich von ihrem Freunde, dem
sie nur „Geliebte“ sein kann. — Ob sie anderen mehr als
nur „Geliebte“ wird sein können? Wohl kaum. Ihr
Glück ist durch das Experimentieren vernichtet. — Tief
sittlich ist das Schnitzlersche Drama. Blumenthal und
Konsorten revarieren jede getrübte Ehe dadurch, daß sie
Mann und Weib zu „Geliebten“ werden lassen. Weniger
großstädtisch=übermenschliche Individuen kommen entweder,
wenn sie das ethische Reinlichkeitsbedürfnis haben, über
den ersten Knax des faktischen oder geistigen Ehebruchs
nicht hinweg, oder aber sie machen sich, wenn sie dickhäutig
genug sind, nichts aus ihm. Schnitzlers Gatten entfremden
sich durch den Bruch ihrer geistigen Kameradschaft. Das
Drama ist durchaus konsequent durchgeführt worden; die
logische Konsequenz soll das Leben festnageln. Geben wir
zu, daß der Entschluß der Gatten zum Experimentieren
die Folge der obysiologischen zeitweiligen gegenseitigen
Abneigung der Gatten ist, wie sie in jeder Ehe, die doch
im Grunde ein Kunstprodukt der Natur ist, vorkommt:
im gewöhnlichen Leben herrscht zumal in der Liebe die
Konsequenz nicht; bei weniger konsequent=verstandesstarken
Menschen als Amadeus und Cäcilie würde das Blumen¬
thalsche Prinzip gesiegt haben; zwar wird der Bruch nie
und nimmer repariert, da aber der „Ehebruch“ ihrerseits
nur geistig ist, der Ehebruch seinerseits nur körperlich
und von Cäcilie verziehen ist, so — es halten gesprungene
Töpfe besser als die heilen. Schnitzler läßt die Konsequenz
siegen; der große Philosoph opfert der Konsequenz die Lebens¬
wahrheit; das Leben, wie wir es uns denken, wie wir es
sehen, ist inkonsequent, macht Kompromisse auf durchaus
unlogischer Grundlage zum großen Leidwesen der Idea¬
listen. Cäcilie ist für uns eine krankhaft gestimmte
Person, wenn sie, die ihrem Gatten auch sinnlich zugetan
sist. ihr Glück dem Gefühle des Beleidigtseins darüber
opfert, daß ihr Gatte es einsehen mußte, daß es eine nur
geistige Freundschaft zwischen zwei der Liebe fähigen
Gatten nicht gibt. Hat sie aber dem Gatten seine Extra¬
vaganzen trotz des gegenteiligen Anscheins nicht ver¬
ziehen, ist sie ihm gänzlich entfremdet, ist die geistige
Freundschaft, was tatsächlich der Fall ist, schon vor dem
Versprechen der geistigen Ehe dahin,
so ist diese
geistige Freundschaft der Geschiedenen eine Lüge und nicht
vorhanden, und wir sehen zwei Akte lang nur die
Zuckungen der finnlichen Liebe unter der unberechtigten
Konsequenzsucht der unnatürlichen Frau Cäcilie.
Berüglich der Auffassung der Rolle der Frau Cäcilie
können wir mit der Darstellerin nur einverstanden sein.
Beim Sviele vermißten wir die pointiertere Mimik.
Loben müssen wir, daß die Darstellerin zu Beginn des
Stückes keine allzustarke seelische Erregung zeigte und
diese für den Schluß des Dramas aufbewahrte; tadeln
müssen wir, daß das Versparte zum Schlusse nicht ge¬
geben wurde. Der Darsteller des Amadeus verschoß sein
Pulver zu früh; er war anfangs, wo er leichtsinniger
hätte sein können, obwohl er genialer Musiker war, zu
tragisch, und wurde deshalb fürs ganze Stück zu mo¬
noton. Es ist ein schweres Gedankendrama; als Lese¬
drama schön zu genießen, da der Leser, wenn er er¬
müdet, das Buch zeitweilig aus der Hand legen kann;
der Darstellung muß der Zuschauer aufs gespannteste
ohne Ruhepause folgen und wird leicht abgestumpft, da
keine lebhafte Handlung fesselt. Albertus Rhon war zu
sehr als tertius gaudens aufgefaßt; zumal zum Schlusse
hätte er erschüttert sein müssen, wenn auch nur über die
Konsequenz des Dichters; denn Rhons „Metie.“ ist es ja,
das Leben zu verstehen. Gräfin Moosheim, Marie Rhon
und Fürst Sigismund waren vortrefflich interpretiert.
Der fremde Akzent der Gräfin wurde über dem Spiel
vergessen. Ob der kleine Peterl ein Junge oder ein
Mädchen war? Bei kleinen Kindern läßt sich das manch¬
mal schwer konstatieren. Gräsin Moosheim erfreute uns
als vorzügliche — Mignon; die Philine lag ihr wohl
nicht. Amadeus zeigte sich als virtuoser Pianist. Frau
Cäcilie sang sonderbarerweise mit der Stimme der Gräfin
Friederike. Wohl Mimicry. Obwohl wir es mit einem
Leseabend zu tun hatten, legten wir angesichts dessen,
daß wir gediegene Schauspieler vor uns hatten, den
schärfsten Maßstab an und müssen trotz aller Beanstan¬
dungen das Spiel in jeder Weise loben.
N: . Schänf