20. Zuischensniel
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G
Das Ensemblegastspiel 1
— An demüngleichmäßigen Besuche der drei Gastspiel¬
abende Keiniger Herren und Damen vom Wiener
Burgtheater hätte man Studien über die Physiog¬
nomie des Grazer Theaterpublikums anstellen können.
Die Aufführung der „Familie“ von Karl Schön¬
herr, dessen wuchtige Dramatik uns von früher be¬
kannt ist, blieb leer: man ließ den biederen Tiroler
links liegen. Bei Arthur Schnitzler, der aus der
französischen Schule kommt und dem stets psychologi¬
sche Indiskretionen zugemutet werden, füllte sich das
Haus, „Das schwache Geschlecht“ von dem
Franzosen Prévost, der durch seine Demi vierges
auch in Deutschland bekannt geworden war und von
dem man Pikanterien aller Art erwartete, brachte
einen bis zum Giebel ausverkauften Saal. Ob die
Spekulation unserer Kunstfreunde richtig war, bleibe
dahingestellt, jedenfalls haben manche am ersten Abend
manches versäumt, viele sind am zweiten nicht auf
ihre Kosten gekommen und nur der dritte fand unge¬
teilten Beifall, obwohl gerade er nichts Pikantes bot.
Schönherrs „Familie“ ist ein von Nebenhand¬
lungen und Motivenberichten derart überladenes Werk,
daß die Verständlichkeit der Fabel darunter Schaden
leidet. Ich habe die Empfindung, daß der Dichter,
den ich übrigens zu den hervorragendsten Dramatikern
der Gegenwart zähle, zu schwerfällig arbeitet, daß er
die Ausübung seines Berufes zu tragisch nimmt, daß
er in übertriebenem Pflichtgefühl Arabesken erfindet:
nicht, um zu verzieren und zu verschönern, sondern um
Lücken zuzudecken, die nur sein empfindliches Auge
sieht. Bei leichterer Konzeption wird er einfacher und
wirksamer sein. Dann wird sich auch jene Selbstbe¬
schränkung finden, in der sich erst der Meister zeigt.
box 25/4
Wäre es mir gestattet, hier einen Rat zu erteilen, so
würde ich umfassende Goethe= und Grillparzer=Studien
Lpfehlen. Bei diesen Vorbildern, zu denen sich leicht
Shakespeare und Anzengruber gesellen, findet Schön¬
herr, was ihm bisher völlig zu mangeln scheint: den
Humor. Der Humor in jenem edelsten Sinne, in
welchem er über allen künstlerischen Gebilden lagert,
ohne sie auf das Gebiet der Satire oder Farce herab¬
zudrücken. Freilich ist auch an diesem neuesten Schön¬
herr die Gewalt der gesunden Theatralik und die scharfe
Plastik seiner Gestalten bewunderungswürdig.
Schnitzlers „Zwischenspiel“ bietet weder thea¬
tralisch wirksame Situationen noch schneidige Charak¬
teristik. Man mag überhaupt im Zweifel sein, ob es
ein Theaterstück im vulgären Wortsinne ist, wie ja
auch das Ende zu den mannigfachsten Erörterungen
Anlaß bietet. Aber die tiefste Seelenkenntnis hat man
in einem literarischen Produkte selten mit so viel Geist
und Anmut gepaart gefunden, wie hier. Niemals sind
mit mehr Diskretion die letzten Geheimnisse der Ehe
offener aufgedeckt worden. Tiefer ist Schnitzler selbst
noch nicht in das Gemütsleben der Geschlechter ein¬
gedrungen und anschaulicher hat er die Abstände bis¬
her nicht gezeichnet. Die Gespräche zwischen Cäcilie
und Amadeus werden lange ein Kulturbild sein. Ich
glaube, daß diese Komödie, wie Schnitzler sein „Zwi¬
schenspiel“ nennt, in ihrem Werte nicht überschätzt
werden kann.
Als ein beredtes Plaidoyer für die legitime Ver¬
bindung zwischen Mann und Frau kann das jüngste
Schauspiel Marcel Prévosts bezeichnet werden. In
diesem außerordentlich wirksamen Drama finden sich
Grazie und Verstand zu einer wahrhaft freundlichen
Harmonie zusammen. Es ist die Grazie der französischen
Weltanschauung, der französischen Bühnenfertigkeit, der
französischen Darstellungskunst und der ge
schenverstand eines nüchtern denkenden M
auch während der Tätigkeit seiner dichteri
tasie die Bedingungen des Alltagslebens
hält. Von einem Zuge keuschester Poesi
weicht die Dichtung doch nicht einen Schri
Gesetzen der Wahrscheinlichkeit ab, die un
liches Dasein bestimmen. Sie nimmt sich
hohe Lied der Bourgeoisie, die nicht zu G
wird, so lange sie solche Blüten treibt. M
zeuge der alten Dramaturgie fertiggestellt,
schwache Geschlecht“ doch so entschlossennc
lieu, daß es als ein realistisches und na
Bühnenwerk gelten kann, nur daß
verkommene, sondern brave, edle und gutt
zur Darstellung bringt. Noch gibt es ja
Louis Gourd, George und Germaine ver
Sphäre um sich, wie sie etwa in dem r
einer angebeteten Mutter herrscht. Daß
Menschen untereinander und mit der Nac
Konflikt geraten, führt zur Spannung, di
mentale, aber durchaus logische Lösung
habe mich seit vielen Jahren in keinem T
haglich gefühlt, wie in der Aufführung des
Geschlechts“.
Außer dem Verfasser mögen hiezu frei
Linie Frau Medelsky, sowie die Her
und Korffheigetragen haben. Ihnen ge
die Kritik zum Panegyrikus. Auch die 2
berle, Kögl und Rub wie die Her
tori, Pittschau und Baumgartn
schuld daran, wenn uns das liebgeworde
spiel auch heuer eine Reihe schöner Fest
Dr. W
d Sn
G
Das Ensemblegastspiel 1
— An demüngleichmäßigen Besuche der drei Gastspiel¬
abende Keiniger Herren und Damen vom Wiener
Burgtheater hätte man Studien über die Physiog¬
nomie des Grazer Theaterpublikums anstellen können.
Die Aufführung der „Familie“ von Karl Schön¬
herr, dessen wuchtige Dramatik uns von früher be¬
kannt ist, blieb leer: man ließ den biederen Tiroler
links liegen. Bei Arthur Schnitzler, der aus der
französischen Schule kommt und dem stets psychologi¬
sche Indiskretionen zugemutet werden, füllte sich das
Haus, „Das schwache Geschlecht“ von dem
Franzosen Prévost, der durch seine Demi vierges
auch in Deutschland bekannt geworden war und von
dem man Pikanterien aller Art erwartete, brachte
einen bis zum Giebel ausverkauften Saal. Ob die
Spekulation unserer Kunstfreunde richtig war, bleibe
dahingestellt, jedenfalls haben manche am ersten Abend
manches versäumt, viele sind am zweiten nicht auf
ihre Kosten gekommen und nur der dritte fand unge¬
teilten Beifall, obwohl gerade er nichts Pikantes bot.
Schönherrs „Familie“ ist ein von Nebenhand¬
lungen und Motivenberichten derart überladenes Werk,
daß die Verständlichkeit der Fabel darunter Schaden
leidet. Ich habe die Empfindung, daß der Dichter,
den ich übrigens zu den hervorragendsten Dramatikern
der Gegenwart zähle, zu schwerfällig arbeitet, daß er
die Ausübung seines Berufes zu tragisch nimmt, daß
er in übertriebenem Pflichtgefühl Arabesken erfindet:
nicht, um zu verzieren und zu verschönern, sondern um
Lücken zuzudecken, die nur sein empfindliches Auge
sieht. Bei leichterer Konzeption wird er einfacher und
wirksamer sein. Dann wird sich auch jene Selbstbe¬
schränkung finden, in der sich erst der Meister zeigt.
box 25/4
Wäre es mir gestattet, hier einen Rat zu erteilen, so
würde ich umfassende Goethe= und Grillparzer=Studien
Lpfehlen. Bei diesen Vorbildern, zu denen sich leicht
Shakespeare und Anzengruber gesellen, findet Schön¬
herr, was ihm bisher völlig zu mangeln scheint: den
Humor. Der Humor in jenem edelsten Sinne, in
welchem er über allen künstlerischen Gebilden lagert,
ohne sie auf das Gebiet der Satire oder Farce herab¬
zudrücken. Freilich ist auch an diesem neuesten Schön¬
herr die Gewalt der gesunden Theatralik und die scharfe
Plastik seiner Gestalten bewunderungswürdig.
Schnitzlers „Zwischenspiel“ bietet weder thea¬
tralisch wirksame Situationen noch schneidige Charak¬
teristik. Man mag überhaupt im Zweifel sein, ob es
ein Theaterstück im vulgären Wortsinne ist, wie ja
auch das Ende zu den mannigfachsten Erörterungen
Anlaß bietet. Aber die tiefste Seelenkenntnis hat man
in einem literarischen Produkte selten mit so viel Geist
und Anmut gepaart gefunden, wie hier. Niemals sind
mit mehr Diskretion die letzten Geheimnisse der Ehe
offener aufgedeckt worden. Tiefer ist Schnitzler selbst
noch nicht in das Gemütsleben der Geschlechter ein¬
gedrungen und anschaulicher hat er die Abstände bis¬
her nicht gezeichnet. Die Gespräche zwischen Cäcilie
und Amadeus werden lange ein Kulturbild sein. Ich
glaube, daß diese Komödie, wie Schnitzler sein „Zwi¬
schenspiel“ nennt, in ihrem Werte nicht überschätzt
werden kann.
Als ein beredtes Plaidoyer für die legitime Ver¬
bindung zwischen Mann und Frau kann das jüngste
Schauspiel Marcel Prévosts bezeichnet werden. In
diesem außerordentlich wirksamen Drama finden sich
Grazie und Verstand zu einer wahrhaft freundlichen
Harmonie zusammen. Es ist die Grazie der französischen
Weltanschauung, der französischen Bühnenfertigkeit, der
französischen Darstellungskunst und der ge
schenverstand eines nüchtern denkenden M
auch während der Tätigkeit seiner dichteri
tasie die Bedingungen des Alltagslebens
hält. Von einem Zuge keuschester Poesi
weicht die Dichtung doch nicht einen Schri
Gesetzen der Wahrscheinlichkeit ab, die un
liches Dasein bestimmen. Sie nimmt sich
hohe Lied der Bourgeoisie, die nicht zu G
wird, so lange sie solche Blüten treibt. M
zeuge der alten Dramaturgie fertiggestellt,
schwache Geschlecht“ doch so entschlossennc
lieu, daß es als ein realistisches und na
Bühnenwerk gelten kann, nur daß
verkommene, sondern brave, edle und gutt
zur Darstellung bringt. Noch gibt es ja
Louis Gourd, George und Germaine ver
Sphäre um sich, wie sie etwa in dem r
einer angebeteten Mutter herrscht. Daß
Menschen untereinander und mit der Nac
Konflikt geraten, führt zur Spannung, di
mentale, aber durchaus logische Lösung
habe mich seit vielen Jahren in keinem T
haglich gefühlt, wie in der Aufführung des
Geschlechts“.
Außer dem Verfasser mögen hiezu frei
Linie Frau Medelsky, sowie die Her
und Korffheigetragen haben. Ihnen ge
die Kritik zum Panegyrikus. Auch die 2
berle, Kögl und Rub wie die Her
tori, Pittschau und Baumgartn
schuld daran, wenn uns das liebgeworde
spiel auch heuer eine Reihe schöner Fest
Dr. W