II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 380

20. Zuischensniel
„Das Ensemblegastspiel
den üngleichmäßigen Besuche der drei Gastspiel¬
Keiniger Herren und Damen vom Wiener
heater hätte man Studien über die Physiog¬
des Grazer Theaterpublikums anstellen können.
ufführung der „Familie“ von Karl Schön¬
dessen wuchtige Dramatik uns von früher be¬
ist, blieb leer: man ließ den biederen Tiroler
iegen. Bei Arthur Schnitzler, der aus der
sischen Schule kommt und dem stets psychologi¬
ndiskretionen zugemutet werden, füllte sich das
„Das schwache Geschlecht“ von dem
osen Prévost, der durch seine Demi vierges
i Deutschland bekannt geworden war und von
an Pikanterien aller Art erwartete, brachte
bis zum Giebel ausverkauften Saal. Ob die
klation unserer Kunstfreunde richtig war, bleibe
gestellt, jedenfalls haben manche am ersten Abend
kes versäumt, viele sind am zweiten nicht auf
kosten gekommen und nur der dritte fand unge¬
Beifall, obwohl gerade er nichts Pikantes bot.
önherrs „Familie“ ist ein von Nebenhand¬
und Motivenberichten derart überladenes Werk,
ie Verständlichkeit der Fabel darunter Schaden
Ich habe die Empfindung, daß der Dichter,
hübrigens zu den hervorragendsten Dramatikern
egenwart zähle, zu schwerfällig arbeitet, daß er
sübung seines Berufes zu tragisch nimmt, daß
übertriebenem Pflichtgefühl Arabesken erfindet:
um zu verzieren und zu verschönern, sondern um
zuzudecken, die nur sein empfindliches Auge
Bei leichterer Konzeption wird er einfacher und
mer sein. Dann wird sich auch jene Selbstbe¬
kung finden, in der sich erst der Meister zeigt.
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Wäre es mir gestattet, hier einen Rat zu erteilen, so
würde ich umfassende Goethe= und Grillparzer=Studien
empfehlen. Bei diesen Vorbildern, zu denen sich leicht
Shakespeare und Anzengruber gesellen, findet Schön¬
herr, was ihm bisher völlig zu mangeln scheint: den
Humor. Der Humor in jenem edelsten Sinne, in
welchem er über allen künstlerischen Gebilden lagert,
ohne sie auf das Gebiet der Satire oder Farce herab¬
zudrücken. Freilich ist auch an diesem neuesten Schön¬
herr die Gewalt der gesunden Theatralik und die scharfe
Plastik seiner Gestalten bewunderungswürdig.
Schnitzlers „Zwischenspiel“ bietet weder thea¬
tralisch wirksame Situationen noch schneidige Charak¬
teristik. Man mag überhaupt im Zweifel sein, ob es
ein Theaterstück im vulgären Wortsinne ist, wie ja
auch das Ende zu den mannigfachsten Erörterungen
Anlaß bietet. Aber die tiefste Seelenkenntnis hat man
in einem literarischen Produkte selten mit so viel Geist
und Anmut gepaart gefunden, wie hier. Niemals sind
mit mehr Diskretion die letzten Geheimnisse der Ehe
offener aufgedeckt worden. Tiefer ist Schnitzler selbst
noch nicht in das Gemütsleben der Geschlechter ein¬
gedrungen und anschaulicher hat er die Abstände bis¬
her nicht gezeichnet. Die Gespräche zwischen Cäcilie
und Amadeus werden lange ein Kulturbild sein. Ich
glaube, daß diese Komödie, wie Schnitzler sein „Zwi¬
schenspiel“ nennt, in ihrem Werte nicht überschätzt
werden kann.
Als ein beredtes Plaidoyer für die legitime Ver¬
bindung zwischen Mann und Frau kann das jüngste
Schauspiel Marcel Prévosts bezeichnet werden. In
diesem außerordentlich wirksamen Drama finden sich
Grazie und Verstand zu einer wahrhaft freundlichen
Harmonie zusammen. Es ist die Grazie der französischen
Weltanschauung, der französischen Bühnenfertigkeit, der
fkanzösischen Darstellungskunst und der gesunde Men¬
schenverstand eines nüchtern denkenden Mannes, der
auch während der Tätigkeit seiner dichterischen Phan¬
tasie die Bedingungen des Alltagslebens im Auge be¬
hält. Von einem Zuge keuschester Poesie getragen,
weicht die Dichtung doch nicht einen Schritt von jenen
Gesetzen der Wahrscheinlichkeit ab, die unser bürger¬
liches Dasein bestimmen. Sie nimmt sich aus wie das
hohe Lied der Bourgeoisie, die nicht zu Grunde gehen
wird, so lange sie solche Blüten treibt. Mit dem Rüst¬
zeuge der alten Dramaturgie fertiggestellt, greift „Das
schwache Geschlecht“ doch so entschlossen nach dem Mi¬
lieu, daß es als ein realistisches und naturalistisches
Bühnenwerk gelten kann, nur daß es nicht
verkommene, sondern brave, edle und gutmütige Leute
zur Darstellung bringt. Noch gibt es ja auch solche.
Louis Gourd, George und Germaine verbreiten eine
Sphäre um sich, wie sie etwa in dem reinen Hause
einer angebeteten Mutter herrscht. Daß gerade diese
Menschen untereinander und mit der Nachbarschaft in
Konflikt geraten, führt zur Spannung, die eine senti¬
mentale, aber durchaus logische Lösung findet. Ich
habe mich seit vielen Jahren in keinem Theäter so be¬
haglich gefühlt, wie in der Aufführung des „Schwachen
Geschlechts“.
Außer dem Verfasser mögen hiezu freilich in erster
Linie Frau Medelsky, sowie die Herren Frank
und Korff beigetragen haben. Ihnen gegenüber wird
die Kritik zum Panegyrikus. Auch die Damen Hae¬
berle, Kögl und Rub wie die Herren Mura¬
tori, Pittschau und Baumgartner sind mit
schuld daran, wenn uns das liebgewordene Östergast¬
spiel auch heuer eine Reihe schöner Festtage schuf.
Dr. Withalm.