box 25/6
20. Zwischenspiel
KUNST AS
Dichtkuns!
Dramen
Der nachdenkliche Beob¬
achter unseres Theaters
wird wenig froh gestimmt
von dem, was seiner Kunstsehnsucht be¬
gegnet. Es ist Mode geworden, die natu¬
ralistische Dramatik zu schelten. Horcht
man die Propheten der neuen Bühne aus,
dann hat an Stelle der Armeleutetragödie
die grosse, heroische jetzt zu treten. Weil
aber diese Hoffnung noch nicht erfüllt
wurde, behilft man sich inzwischen mit
einer Wiederbelebung des klassischen The¬
aters. Neue dramaturgische Mittel wer¬
den gesucht, das szenische Spiel dem Zu¬
schauer brennend tief in Phantasie und
logisches Begreifen einzuführen. Bei
solchen Bemühungen hat gewiss die
Kunst der Bühneninszenierung viel ge¬
wonnen. Ja, so sehr ist sie in den Vor¬¬“
dergrund gezerrt worden, dass Hugo
Dinger ein Jenenser Professor, (Dra¬
maturgie als Wissenschaft /Leipzig, Veit
& Co.)) die geschmacklose Kühnheit
haben konnte, auf 6oo Folioseiten Dra¬
maturgie als eigene Kunst zu fordern,
aus ästhetischen Unwahrheiten und Irr¬
tümern Poesie von der Dramatik, die er
als selbständige theatralische Kunst hin¬
stellt, zu strennen, und dann die Dramatik
der Dichtkunst überzuordnen, das heisst
klipp und klar den Satz zu wagen: es ist
eine Theaterkunst ohne Poesie möglich.
Unabhängig von dem Wissenschaftler
sind tüchtige Bühnen ihre eigenen Wege
gegangen. Doch bei aller Anerkennung
des gut und gross Gewollten müssen
gleich Auswüchse der jungen Theater¬
kunst bekämpft werden. Weil an dem
lebendigen Material ein schmerzlicher
Mangel herrscht, wird hier alles auf die
Pracht des toten angelegt. Die Rampen¬
perspektive soll umgestossen sein, und
die plastische Staffierung wirken. Das
gibt unangenehme Widerspruche, und
Zwiespälte stören auch die Aufführungen
unserer besten, das Neue pflegenden
Bühhen in Bezug auf rein Schauspiele¬
risches. Grad die klassischen Werke mit
—Vrshentenneptmmnereie
Mlenge Dis uns Einzeinsteintelligenter ünd
selbständiger Schauspieler. Diese sind
nicht vorhanden, nun ein paar Stars, und
gegen sie erscheinen die übrigen zu deut¬
licl als abgerichtete, willenlose Akteure.
Leichter hätten es solchen Experimenten
gegenüber die Bühnen, deren Tätigkeit
sich auf das zeitgenössische bürgerliche
Schauspiel beschränkt. Der Stil für ihre
Darstellung ist jetzt nach 15jähriger Tra¬
dition festgewurzell. Wenn nur die
dichterische Arbeit den Schauspielern'
Arthur
rechte Aufgaben stellte!
Schnitzlers Zwischenspiel /Berlin,
S. Fischer) vermochte es nicht. Die
Komödie ist ganz aus novellistischen
Motiven erwachsen. Es handelt sich
darin um das Scheitern des Glückes
an den halben Lebenstönen: Einen
Pakt der Lrebe, der Eitelkeit und
des Geschäftes beschworen Cäcilie Orten¬
burg. die Opernsängerin, und Kapell¬
meister Amadeus Adams. Sie haben ihn
bewahrt aus wirklicher Lust zur Treue.
Sie liessen sich gern halten von dem
Vertrag, weil ihre Kunst dabei gedich,
seine Symphonicen, die nicht jeder Tropf
zu fassen weiss, ihre Karriere, die an der
splendid zahlenden Hofoper mündet. Wie
fahrendes Volk lebt, sie waren oft ge¬
trennt und cinten sich destorheisser-beim¬
Wiedersehen. Wenn Amadeus, der viel¬
von der seligen Gemütsart des Salzburger
in
Namensverwandten herumträgt,
Wiener Lichesasgl seine Cäcilie umkost,
dann spinnen sie sich ein in ihr von vorne
Lehen, in der Treue sich festigend, ins
#em P#r#chen ihres Inneren. Er dankt¬
193
Bund zu zerzupfen. Geheim und unheil¬
bar kommt solche Stimmung. Man
trachtet von einander. Er zu einer
Gräfin, einem Philinengewissen im Leben
und auf der Bühne, sie zu einem Fürsten,
der in der Charakteristik Gerippe blieb.
Nun glauben die beiden, trotzdem als
Kameraden sich gehören zu können, ge¬
eint durch ihre Kunst. Da wird ihm
plötzlich anders zu Mute. Er will keinen
Kameraden, sondern Cäcilie, das Weib
Cäcilie, das Weib liegt ihm am Schluss
des zweiten Aktes im Arm. Aber der
Vorhang geht über dem dritten Akte des
Finale auf.- Und da weist sich aus: Die
tlangem nicht mehr gefeierte Ehenacht
war-eine Episode nur, ein Zwischenspiel.
Heiter hat’s angefangen. Als Doloroso
verklingt es. Was Cäcilie jedem vielleicht
gegeben hätte aus Sinnensehnsucht in
jener Nacht, das hat Amadeus bloss be¬
sessen. Er ist kein starker Mann. Ein
Böser möcht' ihn einen Tröttel aus
Liebesblendung nennen. Sie müssen nach
dieser Nacht auch aus ihrer Kamerad¬
schaft sich scheiden. Ein Solo hat sie
in seiner Symphonie singen sollen. Sie hält
das Notenblatt mit zitternden Händen,
tränenden Auges, als Amadeus ge¬
flüchtet ist, der trauernd gefragt hat, ob
jenes Zwischenspiel mit den halben Tönen
niemals hätte überleiten können zu einer
makellosen Harmonie. So endet das
Stück. Am Schluss des ersten Aktes je¬
doch hat Cäcilie gesungen, was Amadeus
schmiegsam begleitete: „Nicht mehr zu
Dir zu gehn, beschloss und beschwor ich,
und geh doch jeden Abend .... Die drei
Phasen der Komödie sind mit durch¬
gehender Symmetrie gebaut, Jede be¬
ginnt mit dem räsonnierenden Hin und
Her über die Ehe des Paares. Der
Kapellmeister ist zu den Urteilen der
Räsonnierenden die entscheidende In¬
stanz. Nachdem so die Sachlage im Ge¬
—spräch-dargelegt-ist, tritt Cäcilicauf. Sie
bleibt allein mit Amadens. Akt l. Das
un¬
Scheitern des Liebesglückes ist
gewiss. Akt II. Es ist scheinbar be¬
seitigt. Akt III. Es ist gewiss mit einem
leisen Fragerchen. In dieser ausge¬
messenen Zirnelung des Konfliktes ruht
die dramatische Unkraft des Stückes, das
20. Zwischenspiel
KUNST AS
Dichtkuns!
Dramen
Der nachdenkliche Beob¬
achter unseres Theaters
wird wenig froh gestimmt
von dem, was seiner Kunstsehnsucht be¬
gegnet. Es ist Mode geworden, die natu¬
ralistische Dramatik zu schelten. Horcht
man die Propheten der neuen Bühne aus,
dann hat an Stelle der Armeleutetragödie
die grosse, heroische jetzt zu treten. Weil
aber diese Hoffnung noch nicht erfüllt
wurde, behilft man sich inzwischen mit
einer Wiederbelebung des klassischen The¬
aters. Neue dramaturgische Mittel wer¬
den gesucht, das szenische Spiel dem Zu¬
schauer brennend tief in Phantasie und
logisches Begreifen einzuführen. Bei
solchen Bemühungen hat gewiss die
Kunst der Bühneninszenierung viel ge¬
wonnen. Ja, so sehr ist sie in den Vor¬¬“
dergrund gezerrt worden, dass Hugo
Dinger ein Jenenser Professor, (Dra¬
maturgie als Wissenschaft /Leipzig, Veit
& Co.)) die geschmacklose Kühnheit
haben konnte, auf 6oo Folioseiten Dra¬
maturgie als eigene Kunst zu fordern,
aus ästhetischen Unwahrheiten und Irr¬
tümern Poesie von der Dramatik, die er
als selbständige theatralische Kunst hin¬
stellt, zu strennen, und dann die Dramatik
der Dichtkunst überzuordnen, das heisst
klipp und klar den Satz zu wagen: es ist
eine Theaterkunst ohne Poesie möglich.
Unabhängig von dem Wissenschaftler
sind tüchtige Bühnen ihre eigenen Wege
gegangen. Doch bei aller Anerkennung
des gut und gross Gewollten müssen
gleich Auswüchse der jungen Theater¬
kunst bekämpft werden. Weil an dem
lebendigen Material ein schmerzlicher
Mangel herrscht, wird hier alles auf die
Pracht des toten angelegt. Die Rampen¬
perspektive soll umgestossen sein, und
die plastische Staffierung wirken. Das
gibt unangenehme Widerspruche, und
Zwiespälte stören auch die Aufführungen
unserer besten, das Neue pflegenden
Bühhen in Bezug auf rein Schauspiele¬
risches. Grad die klassischen Werke mit
—Vrshentenneptmmnereie
Mlenge Dis uns Einzeinsteintelligenter ünd
selbständiger Schauspieler. Diese sind
nicht vorhanden, nun ein paar Stars, und
gegen sie erscheinen die übrigen zu deut¬
licl als abgerichtete, willenlose Akteure.
Leichter hätten es solchen Experimenten
gegenüber die Bühnen, deren Tätigkeit
sich auf das zeitgenössische bürgerliche
Schauspiel beschränkt. Der Stil für ihre
Darstellung ist jetzt nach 15jähriger Tra¬
dition festgewurzell. Wenn nur die
dichterische Arbeit den Schauspielern'
Arthur
rechte Aufgaben stellte!
Schnitzlers Zwischenspiel /Berlin,
S. Fischer) vermochte es nicht. Die
Komödie ist ganz aus novellistischen
Motiven erwachsen. Es handelt sich
darin um das Scheitern des Glückes
an den halben Lebenstönen: Einen
Pakt der Lrebe, der Eitelkeit und
des Geschäftes beschworen Cäcilie Orten¬
burg. die Opernsängerin, und Kapell¬
meister Amadeus Adams. Sie haben ihn
bewahrt aus wirklicher Lust zur Treue.
Sie liessen sich gern halten von dem
Vertrag, weil ihre Kunst dabei gedich,
seine Symphonicen, die nicht jeder Tropf
zu fassen weiss, ihre Karriere, die an der
splendid zahlenden Hofoper mündet. Wie
fahrendes Volk lebt, sie waren oft ge¬
trennt und cinten sich destorheisser-beim¬
Wiedersehen. Wenn Amadeus, der viel¬
von der seligen Gemütsart des Salzburger
in
Namensverwandten herumträgt,
Wiener Lichesasgl seine Cäcilie umkost,
dann spinnen sie sich ein in ihr von vorne
Lehen, in der Treue sich festigend, ins
#em P#r#chen ihres Inneren. Er dankt¬
193
Bund zu zerzupfen. Geheim und unheil¬
bar kommt solche Stimmung. Man
trachtet von einander. Er zu einer
Gräfin, einem Philinengewissen im Leben
und auf der Bühne, sie zu einem Fürsten,
der in der Charakteristik Gerippe blieb.
Nun glauben die beiden, trotzdem als
Kameraden sich gehören zu können, ge¬
eint durch ihre Kunst. Da wird ihm
plötzlich anders zu Mute. Er will keinen
Kameraden, sondern Cäcilie, das Weib
Cäcilie, das Weib liegt ihm am Schluss
des zweiten Aktes im Arm. Aber der
Vorhang geht über dem dritten Akte des
Finale auf.- Und da weist sich aus: Die
tlangem nicht mehr gefeierte Ehenacht
war-eine Episode nur, ein Zwischenspiel.
Heiter hat’s angefangen. Als Doloroso
verklingt es. Was Cäcilie jedem vielleicht
gegeben hätte aus Sinnensehnsucht in
jener Nacht, das hat Amadeus bloss be¬
sessen. Er ist kein starker Mann. Ein
Böser möcht' ihn einen Tröttel aus
Liebesblendung nennen. Sie müssen nach
dieser Nacht auch aus ihrer Kamerad¬
schaft sich scheiden. Ein Solo hat sie
in seiner Symphonie singen sollen. Sie hält
das Notenblatt mit zitternden Händen,
tränenden Auges, als Amadeus ge¬
flüchtet ist, der trauernd gefragt hat, ob
jenes Zwischenspiel mit den halben Tönen
niemals hätte überleiten können zu einer
makellosen Harmonie. So endet das
Stück. Am Schluss des ersten Aktes je¬
doch hat Cäcilie gesungen, was Amadeus
schmiegsam begleitete: „Nicht mehr zu
Dir zu gehn, beschloss und beschwor ich,
und geh doch jeden Abend .... Die drei
Phasen der Komödie sind mit durch¬
gehender Symmetrie gebaut, Jede be¬
ginnt mit dem räsonnierenden Hin und
Her über die Ehe des Paares. Der
Kapellmeister ist zu den Urteilen der
Räsonnierenden die entscheidende In¬
stanz. Nachdem so die Sachlage im Ge¬
—spräch-dargelegt-ist, tritt Cäcilicauf. Sie
bleibt allein mit Amadens. Akt l. Das
un¬
Scheitern des Liebesglückes ist
gewiss. Akt II. Es ist scheinbar be¬
seitigt. Akt III. Es ist gewiss mit einem
leisen Fragerchen. In dieser ausge¬
messenen Zirnelung des Konfliktes ruht
die dramatische Unkraft des Stückes, das