II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 545

Dichtkuner
Dramen
Der nachdenkliche Beob¬
achter unseres Theaters
wird wenig froh gestimmt
von dem, was seiner Kunstsehnsucht be¬
gegnet. Es ist Mode geworden, die natu¬
ralistische Dramatik zu schelten. Horcht
man die Propheten der neuen Bühne aus,
dann hat an Stelle der Armeleutetragödie
die grosse, heroische jetzt zu treten. Weil
aber diese Hoffnung noch nicht erfüllt
wurde, behilft man sich inzwischen mit
einer Wiederbelebung des klassischen The¬
aters. Neue dramaturgische Mittel wer¬
den gesucht, das szenische Spiel dem Zu¬
schauer brennend tief in Phantasie und
logisches Begreifen einzuführen. Ber
solchen Bemühungen hat gewiss die
Kunst der Bühneninszenierung viel ge¬
wonnen. Ja, so sehr ist sie in den Vor¬“¬
dergrund gezerrt worden, dass Hugo
Dinger, ein Jenenser Professor, (Dra¬
maturgie als Wissenschaft /Leipzig, Veit
& Co./) die geschmacklose Kühnheit
haben konnte, auf 6oo Folioseiten Dra¬
maturgie als eigene Kunst zu fordern,
aus ästhetischen Unwahrheiten und Irr¬
tümern Poesie von der Dramatik, die er
als selbständige theatralische Kunst hin¬
stellt, zu trennen, und dann die Dramatik
der Dichtkunst überzuordnen, das heisst
klipp und klar den Satz zu wagen: es ist
eine Theaterkunst ohne Poesie möglich.
Unabhängig von dem Wissenschaftler
sind tüchtige Bühnen ihre eigenen Wege
gegangen. Doch bei aller Anerkennung
des gut und gross Gewollten müssen
gleich Auswüchse der jungen Theater¬
kunst bekämpft werden. Weil an dem
lebendigen Material ein schmerzlicher
Mangel herrscht, wird hier alles auf die
Pracht des toten angelegt. Die Rampen¬
perspektive soll umgestossen sein, und
die plastische Staffierung wirken. Das
gibt unangenehme Widersprüche, und
Zwiespälte stören auch die Aufführungen
unserer besten, das Neue pflegenden
Bühhen in Bezug auf rein Schauspiele¬
risches. Grad die klassischen Werke mit
M111SUsen Peletenauif erfeikelepf en
Menge bis ius Einzeinsteumeltgenter Ae
selbständiger Schauspieler. Diese sind
nicht vorhanden, nur ein paar Stars, und
gegen sie erscheinen die übrigen zu deut¬
lich als abgerichtete, willenlose Akteure.
Leichter hätten es solchen Experimenten
gegenüber die Bühnen, deren Tätigkeit
sich auf das zeitgenössische bürgerliche
Schauspiel beschränkt. Der Stil für ihre
Darstellung ist jetzt nach 15jähriger Tra¬
dition festgewurzelt. Wenn nur die
dichterische Arbeit den Schauspielern'
rechte Aufgaben stellte! Arthur
Schnitzlers Zwischenspiel /Berlin,
S. Fischer vermochte es nicht. Die
Komödie ist ganz aus novellistischen
Motiven erwachsen. Es handelt sich
darin um das Scheitern des Glückes
an den halben Lebenstönen: Einen
Pakt der Liebe, der Eitelkeit und
des Geschäftes beschworen Cäcilie Orten¬
burg, die Opernsüngerin, und Kapell¬
meister Amadens Adams. Sie haben ihn
bewahrt aus wirklicher Lust zur Treue.
Sie liessen sich gern halten von dem
Vertrag, weil ihre Kunst dabei gedich,
seine Symphonicen, die nicht jeder Tropf
zu fassen weiss, ihre Karriere, die an der
splendid zahlenden Hofoper mündet. Wie
fahrendes Volk lebt, sie waren oft ge¬
trennt und einten sich desto heisser beim
Wiederschen. Wenn Amadeus, der viel
von der seligen Gemütsart des Salzburger
Namensverwandten herumträgt, im
Wiener Liebesasyl seine Cäcilie umkost,
dann spinnen sie sich ein in ihr von vorne¬
Leben, in der Treue sich festigend, ins
dem Verstehen ihres Inneren. Er dankt
ihr, dass sie ihm Halt geworden ist. Denn
seine Freundschaft, in seinem Reden und
Behaben manches, zeigen, dass er vom
Zigenner erst reifte zum ernsten, heil¬
sehenden Künstler. Die Sängerin fand
in Amedeus den vorzüglichsten Lehrer
und Meister ihres Talentes. Dann kam
eines Tages die Stimmung in sie, den
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Bund zu zerzupfen. Geheim und unheil¬
bar kommt solche Stimmung. Man
trachtet von einander. Er zu einer
Gräfin, einem Philinengewissen im Leben
und auf der Bühne, sie zu einem Fürsten,
der in der Charakteristik Gerippe blieb.
Nun glauben die beiden, trotzdem als
Kameraden sich gehören zu können, ge¬
eint durch ihre Kunst. Da wird ihm
plötzlich anders zu Mute. Er will keinen
Kameraden, sondern Cäcilie, das Weib
Cäcilie, das Weib liegt ihm am Schluss
des zweiten Aktes im Arm. Aber der
Vorhang geht über dem dritten Akte des
Finale auf. Und da weist sich aus: Die
tlangem nicht meh gefeierte Ehenacht
warreine Episode nur, ein Zwischenspiel.
Heiter hat’s angefangen. Als Doloroso
verklingt es. Was Cäcilic jedem vielleicht
gegeben hätte aus Sinnchsehnsucht in
jener Nacht, das hat Amadeus bloss be¬
sesse:. Er ist kein starker Mann. Ein
Böser möcht' ihm einen Tröttel aus
Liebesblendung nennen. Sie müssen nach
dieser Nacht auch aus ihrer Kamerad¬
schaft sich scheiden. Ein Solo hat sie
in seiner Symphonie singen sollen. Sic hält
das Notenblatt mit zitternden Händen,
tränenden Auges, als Amadeus ge¬
flüchtet ist, der trauernd gefragt hat, ob
jenes Zwischenspiel mit den halben Tönen
niemals hätte überleiten können zu einer
makellosen Harmonie. So endet das
Stück. Am Schluss des ersten Aktes je¬
doch hat Cäcilie gesungen, was Amadeus
schmiegsam begleitete: Nicht mehr zu
Dir zu gehn, beschloss und beschwor ich,
und geh doch jeden Abend .... Die drei
Phasen der Komödie sind mit durch¬
gehender Symmetrie gebaut. Jede be¬
ginnt mit dem räsonnierenden Hin und
Her über die Ehe des Paares. Der
Kapellmeister ist zu den Urteilen der
Räsonnierenden die entscheidende In¬
stanz. Nachdem so die Sachlage im Ge¬
spräch dargelegt ist, tritt Cäcilie auf. Sie
bleibt allein mit Amadeus. Akt I. Das
Scheitern des Liebesglückes ist un¬
gewiss. Akt II. Es ist scheinbar be¬
seitigt. Akt III. Es ist gewiss mit einem
leisen Fragereichen. In dieser ausge¬
messenen Zirnelung des Konfliktes ruht
die dramatische Unkraft des Stückes, das
drei sehr gedehnte Dialogkapitel einer
formell missratenen Erzählung darstellt.
Lauter und bunter geht es in Hermann
Sudermanns jüngsten Schauspielen
Stein unter Steinen und Das Blumenboot
/Stuttgart, Cottal zu. Besonders das
Blumenboot dürfte die Theater füllen. Es
will moralisch wirken, zeigen, wie die