II, Theaterstücke 20, Zwischenspiel. Komödie in drei Akten (Neue Ehe, Das leichte Leben, Cäcilie Adams, „Nicht mehr zu dir zu gehn …“, Adagio), Seite 551

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20. Zwischensple.
Nachdruck verboten
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Kleine Wiener Theaterplanderei.
(Ein etwas überladener Goldsalon, kostbar, aber doch ein bißchen geschmack Ver¬
suche, die steiflinige Moderne mit dem geschnörkelten Rokoko in eine unmögliche
Harmonie zu setzen. Abschiedssouperstimmung der witzig werdenden Wehmut.)
Personen:
Hortense, eine unverstandene Frau, 24½ Jahre, sieht aus wie 28¼.
Sam, ihr unmöglicher Gatte.
Egon.
Salll (bietet Zigarren in einem flachen Kistchen an): Nehmen Sie, Herr
Doktor, nehmen Sie. Henry Clay. Sie sollen sehr gut sein.
Egoll (nimmt eine): Danke sehr, Herr Kommerzialrat.
Sam: Ein Griff! Nehmen Sie gleich mehr. Geben Sie mir Ihr
Zigarrenetui her, damit ich es Ihnen anfülle.
Egoll (liebenswürdige Gebärde der Ablehnung): Herr Kommerzialrat
sind zu gütig.
Sam: Ah, Sie wollen sie erst versuchen, ob sie wirklich gut sind.
Auch recht. Was ich hab', ist gut. Da können Sie sich verlassen.
(Hortense: Vorwurfsvoller Blick).
Sam: Meine Frau meint, daß ich das nicht hätte sagen sollen.
Meiner Frau kann man es sehr schwer recht machen. Zuerst hab' ich
mir alle mögliche Mühe gegeben, jetzt gebe ich das Geschäft auf. Vor
Ihnen brauch' ich mich doch nicht zu genieren, da kann ich mich doch
geben, so wie ich bin. Sie sind doch ein Freund Sie gehören doch
sozusagen zum Haus ...
Hortense: Sie nehmen doch ein Täßchen schwarzen Kaffee?
Sam: Zwei Stück Zucker werden zu wenig sein. Nehmen Sie
drei oder vier. Wollen Sie vielleicht ein Kugler=Bonbon oder ein
Stück Schokolade von Marquis aus Paris. Langdeschatt mit Gold¬
tupfen. Wo steht die Schachtel wieder?
Hortense: Aber Sam!
Sam: Ich hab' ja nichts gesagt. Hätt' ich das auch nicht sagen
sollen? Passen Sie auf, meine Frau wird jetzt gleich anfangen, von
der Literatur zu reden. Mir ist alles recht. Also reden wir von der
Literatur. Das neue Stück von Arthu=Schnitzler „Zwischen¬
spiel“ im Burgtheater war wirklich sehr interessant, Paroll donnöhr.
Wenn ich so in meiner Parterreloge sitze, Nr. 35 rechts, können die
meinetwegen da droben spielen, was sie wollen, wenn es nur nicht
„Wilhelm Tell“ oder, Gott behüte, gar „Don Carlos“ ist. Ich unter¬
halte mich immer. Weil ich eine anspruchslose Natur bin. Was will
man denn vom Theater? Bekannte sehen und ein bisserl herumnicken,
da grüßen, dort grüßen. Und wenn sie spielen, ist es ja meistens
auch ganz untechaltend.
Hortense: Laß doch Egon — pardon, den Herrn Doktor auch
zum Wort, lieber Sam. Deine Ansichten kenn' ich ja zur Genüge.
Sam: Also bleiben wir bei Egon. Sie erlauben, daß ich
„Egon“ age?
(Hortense: Ein noch vorwurfsvollerer Blick als die beiden früheren zusammen.)
Sam (sich entschuldigend: Ich kann doch nicht Herr Ministerial¬
vizekonzipist zu ihm sagen. Das ist viel zu lang.
Egon: Gewiß, Herr Kommerzialrat, es ist zu lang.
——
Sam: Also das „Zwischenspiel“ von Schnitzler ist sehr interessant.
Und es ist alles so natürlich. So wie sich die Sachen in der Welt
abspielen, genau so. Nicht anders. Da ist ein Ehepaar. Er ist ein
verrückter, überspannter Musiker, den macht der Kainz großartig,
ganz natürlich, und die Witt ist eine exaltierte Sängerin, seine Frau¬
Ihm gefällt die Kallina, und ihr gefällt wieder der Korff. Was
ist da selbstverständlicher, als daß die zwei Leute zueinander sagen:
Jeder macht, was er will Das kommt alle Tage vor. Aber eine Be¬
dingung ist dabei: Wahrheit! „Er“ muß alles wissen, was „sie“ macht,
und „sie“ muß wieder alles wissen, was „er“ macht. Und sehen Sie, mein
lieber Egon, das ist das Interessante. Ohne das wäre es gar zu
natürlich, und das soll auch nicht sein.
Hortense: So laß doch einmal den Herrn Doktor ...
Sam: Ich laß ihn doch ohnehin.
Egon: Schnitzler! Ich schätze, ich verehr' ihn. Er ist ein ganz
außerordentlich feines Talent. Ein seltener Künstler mit eigener Note
und leichter Hand. Er ist so liebenswürdig wienerisch. Aber er
will graziös über seinen eigenen Schatten springen, sich selbst auf die
Schultern steigen, sein kleines Königreich Anatolien am Lerchenfelder¬
gürtel erweitern, es bis an die Grenze von Norwegen ausdehnen.
Sam: Wie meinen Sie das? Das geb: doch nicht.
Egon: Freilich geht es nicht. Aber es zeugt doch von edlem
Streben, von künstlerischem Ernst.
Sam: Jeder Mensch soll bei dem bleiben, was er kann. Das
soll er fortmachen. Diese übertriebenen und überspannten Sachen sind
nicht nach meinem bürgerlichen Geschmack. Der alte Napoleon ist nach
Rußland gegangen und der Jarno hat das Lustspieltheater genommen.
Haben sie's notwendig gehabt die beiden, frag' ich?
Horteuse: Für mich lag im „Zwischenspiel“ das besonders Feine
darin, daß „er“ so viel Verständnis für ihre Wünsche hat. So viel
vornehme, entsagende Größe und dann die überraschende Schlu߬
wendung! Sie müssen auseinandergehen, weil Cäcilie den Ehebruch
gebrochen hat. Amadeus hält sie für treulos, aber sie ist es nicht. Er
will sich die Unverlorene zurückerobern und betrügt sich dabei nur
selbst. Das ist so wahr. So tief. Das haben nur die ganz wenigen
verstanden.
Sam: Es freut mich, daß wenigstens du es verstanden hast.
Ich hab' mir's übrigens gleich gedacht, daß du es verstehen würdest.
Egon: Unsere gnädige Frau ist so merkwürdig organisiert für die
letzten Subtilitäten. Aber glauben Sie denn nicht auch, daß dem ganzen
eigentlich ein Lustspielmotiv zugrunde liegt, daß die Tragik nur auf¬
gepfropft und eingeimpft ist?
Sam: Ich hab' es interessant gefunden, und der Kainz war
großartig. Von einer großartigen Großartigkeit. Ich hab' doch noch
das ganz alte Burgtheater gesehen, Gott sei Dank, die Negro und den
Arnsburg. Aber so etwas hat's nie gegeben. Und wenn der Kainz
einmal nicht mehr spielen wird, werden alle Leute sagen: ein Kainz
kommt nicht wieder!
Hortense: Die Witt hat mich ein wenig enttäuscht. Sie war mir
nicht seelisch genug. Sie war zu bürgerlich, zu gesund.
Sam: Das ist doch kein Fehler.
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