de
19. Der Lebens
box 24/1
Für die Gala=Vorstellung, die gestern Abend
gleichsam als musikalische Introduktion zur Feier der
Silberhochzeit unseres Kaiserpaares im Kgl. Opern¬
hause stattfand, hatte man dankenswerther Weise
Glucks „Orphens und Enrydice“ neueinstudiert,
dieses Muster einer musikalischen Antike, dem
leider bisher im Spielplan unserer Kgl. Oper
allzuwenig Raum gegönnt worden ist. Nur
um die Osterzeit, erscheint die Glucksche Oper all¬
jährlich einige Male auf der Bühne, um dann für den
Rest des Jahres sofort wieder in der Versenkung zu
verschwinden. Und das, trotzdem unsere Kgl. Oper
in den Damen Goetze und Herzog zwei Sängerinnen
besitzt, denen die Beschäftigung mit Wagner das Ver¬
ständnis für die klassisch=streuge Einfachheit der Gluck¬
schen Musik in nichts getrübt hat.
Frau Goetze, die man hier schon so oft als Orpheus
gehört hat, trug auch gestern wieder den Chiton des
mythischen Sängers, dessen Klage um die verlorene
Gattin in dem charakteristisch belebten und doch durchaus
stilmäßigen Vortrage der Künstlerin wieder alle Herzen
rührte. Leider kam gestern nur die zweite Hälfte des
Werks zur Aufführung. Das Totenopfer wie die
Szeue des Iuferno und damit auch die prachtvollen
Chöre der Larven und Furien, die den musikalischen
Höhepunkt der Oper bilden, fehlten leider. An Stelle
der bisherigen Euridice der Frau Herzog, sang gestern
Abend Frl. Destinn die Rolle, und auch ihr gelang
es, dem gehaltenen Pathes der Gluckschen Musik
überall den entsprechenden Ausdruck zu finden, wenn
ihr Gesang auch von kleineren Vergehen gegen den
Stil des Werkes nicht ganz frei war. Das Letztere
gilt auch von Frl. Dietrich, die gestern zum ersten
male den Eros, resp. die wenigen Passus sang, die
dem Eros in den beiden letzten Szenen gegönnt sind.
Ganz wundervoll klang gestern das von Dr. Muck
geführte Orchester und auch der Chor, der im Elysium¬
Bild hinter der Szene postiert war, wirkte mit seinem
gedämpften Ton sehr stimmungsvoll. Die Neu¬
Inszenierung ferner, die man mit der neuen Ein¬
studierung der Gluckschen Oper verbunden hat,
Gute
ist besonders dem Elysium=Bild zu
gekommen. Das ist jetzt ein Bild von wahr¬
haft idealer Schönheit und hinreißendem Stim¬
mungszauber: Auf blumiger Waldhöhe am See¬
gestade wandeln in ihren langwallenden Gewändern
die Scharen der seligen Geister; ihr Schreiten, ihr
Reigentanz, jede ihrer Bewegungen atmet edelste
Anmut und eine gehaltene, echt hellenische Ruhe,
und über alledem liegt ein sanftes verklärendes
Licht gebreitet, das die „Gefilde der Seligen“
i wie mit einem ätherischen, überirdischen Glanze um¬
woben erscheinen läßt. Eine Wandeldekoration, die in
wechselnden Bädern aus den elysäischen Gefilden zu
den düsteren Landschaften der Unterwelt zurückführt,
leitet zum nächsten Bilde über, das dann wieder
mittels Umwandlung bei offener Szene in das sonnig¬
schöne Schlußbild übergeht.
In der großen Hofloge des ersten Ranges wohnte
das Kaiserpaar, das bei seinem Erscheinen von dem
Theaterchor mit einem Festgesang begrüßt wurde, der
Vorstellung mit allen seinen fürstlichen Gästen bis zum
Schlusse bei.
Im Lessing=Theater ist gestern Arthur
Schnitzlers „Ruf des Lebens“ ertönt und hat ein
gar mißtonig Echo erweckt. Zuerst schallte es zwar ganz #
freundlich aus dem Wald heraus, zum Schluß aber
zischte und fauchte es in allen Tonarten in den bei¬
filligen Jubel unentwegter Freunde hinein.
I In diesem merkwürdigen Stück ist unser alter Freund
Schnitzler nicht mehr wiederzuerkennen. Er, der Leise
und Feine, der uns sonst nur von den allersubtilsten
Nuancen der Seele leichte, wie hingehauchte Bilder
brechte, er schreitet auf einmal dröhnend in den Ritter¬
stiefeln des Schauerdramas einher und knallt auf ganz
veritabeln Kavalleriepistolen unseren verfeinerten Ohren
etwas vor. Man denke sich: im ersten Akt vergiftet
eine liebevolle Tochter ihren alten kranken Vater
unter sachkundiger Anleitung des gewissenhaften Haus¬
arztes. Im zweiten Akt wird eine Frau Oberst
erschossen, was eigentlich noch viel entsetzlicher
von
dritten Akt erfahren wir
ist. Im
einem halben Dutzend Selbstmorden, die im Zwischenakt,
während wir ahnungslos am Buffet einen Cognac
tranken, vorgefallen sind. Außerdem stirbt in diesem
Akt eine schwindsüchtige junge Dame. Und an Schlaf¬
tränken, dunklen Ecken, heimlichen Lauschern und kühnen
Rittern ist ebenfalls kein Mangel. Ein Stück, das
von Zacharias Werner geschrieben sein könnte.
Um in einige Details einzugehen: Marie, eine
sechsundzwanzigjähreige Schöne, wird von ihrem
kranken Vater in unerhörter Weise tyrannisirt. Er
quält sie bis aufs Blut, läßt sie keinen Schritt
ins Freie, und während unten auf der Straße die
an
Kavallerieoffiziere vorbeisprengen, muß
dem Beit des schimpfenden Alten Tropfen
19. Der Lebens
box 24/1
Für die Gala=Vorstellung, die gestern Abend
gleichsam als musikalische Introduktion zur Feier der
Silberhochzeit unseres Kaiserpaares im Kgl. Opern¬
hause stattfand, hatte man dankenswerther Weise
Glucks „Orphens und Enrydice“ neueinstudiert,
dieses Muster einer musikalischen Antike, dem
leider bisher im Spielplan unserer Kgl. Oper
allzuwenig Raum gegönnt worden ist. Nur
um die Osterzeit, erscheint die Glucksche Oper all¬
jährlich einige Male auf der Bühne, um dann für den
Rest des Jahres sofort wieder in der Versenkung zu
verschwinden. Und das, trotzdem unsere Kgl. Oper
in den Damen Goetze und Herzog zwei Sängerinnen
besitzt, denen die Beschäftigung mit Wagner das Ver¬
ständnis für die klassisch=streuge Einfachheit der Gluck¬
schen Musik in nichts getrübt hat.
Frau Goetze, die man hier schon so oft als Orpheus
gehört hat, trug auch gestern wieder den Chiton des
mythischen Sängers, dessen Klage um die verlorene
Gattin in dem charakteristisch belebten und doch durchaus
stilmäßigen Vortrage der Künstlerin wieder alle Herzen
rührte. Leider kam gestern nur die zweite Hälfte des
Werks zur Aufführung. Das Totenopfer wie die
Szeue des Iuferno und damit auch die prachtvollen
Chöre der Larven und Furien, die den musikalischen
Höhepunkt der Oper bilden, fehlten leider. An Stelle
der bisherigen Euridice der Frau Herzog, sang gestern
Abend Frl. Destinn die Rolle, und auch ihr gelang
es, dem gehaltenen Pathes der Gluckschen Musik
überall den entsprechenden Ausdruck zu finden, wenn
ihr Gesang auch von kleineren Vergehen gegen den
Stil des Werkes nicht ganz frei war. Das Letztere
gilt auch von Frl. Dietrich, die gestern zum ersten
male den Eros, resp. die wenigen Passus sang, die
dem Eros in den beiden letzten Szenen gegönnt sind.
Ganz wundervoll klang gestern das von Dr. Muck
geführte Orchester und auch der Chor, der im Elysium¬
Bild hinter der Szene postiert war, wirkte mit seinem
gedämpften Ton sehr stimmungsvoll. Die Neu¬
Inszenierung ferner, die man mit der neuen Ein¬
studierung der Gluckschen Oper verbunden hat,
Gute
ist besonders dem Elysium=Bild zu
gekommen. Das ist jetzt ein Bild von wahr¬
haft idealer Schönheit und hinreißendem Stim¬
mungszauber: Auf blumiger Waldhöhe am See¬
gestade wandeln in ihren langwallenden Gewändern
die Scharen der seligen Geister; ihr Schreiten, ihr
Reigentanz, jede ihrer Bewegungen atmet edelste
Anmut und eine gehaltene, echt hellenische Ruhe,
und über alledem liegt ein sanftes verklärendes
Licht gebreitet, das die „Gefilde der Seligen“
i wie mit einem ätherischen, überirdischen Glanze um¬
woben erscheinen läßt. Eine Wandeldekoration, die in
wechselnden Bädern aus den elysäischen Gefilden zu
den düsteren Landschaften der Unterwelt zurückführt,
leitet zum nächsten Bilde über, das dann wieder
mittels Umwandlung bei offener Szene in das sonnig¬
schöne Schlußbild übergeht.
In der großen Hofloge des ersten Ranges wohnte
das Kaiserpaar, das bei seinem Erscheinen von dem
Theaterchor mit einem Festgesang begrüßt wurde, der
Vorstellung mit allen seinen fürstlichen Gästen bis zum
Schlusse bei.
Im Lessing=Theater ist gestern Arthur
Schnitzlers „Ruf des Lebens“ ertönt und hat ein
gar mißtonig Echo erweckt. Zuerst schallte es zwar ganz #
freundlich aus dem Wald heraus, zum Schluß aber
zischte und fauchte es in allen Tonarten in den bei¬
filligen Jubel unentwegter Freunde hinein.
I In diesem merkwürdigen Stück ist unser alter Freund
Schnitzler nicht mehr wiederzuerkennen. Er, der Leise
und Feine, der uns sonst nur von den allersubtilsten
Nuancen der Seele leichte, wie hingehauchte Bilder
brechte, er schreitet auf einmal dröhnend in den Ritter¬
stiefeln des Schauerdramas einher und knallt auf ganz
veritabeln Kavalleriepistolen unseren verfeinerten Ohren
etwas vor. Man denke sich: im ersten Akt vergiftet
eine liebevolle Tochter ihren alten kranken Vater
unter sachkundiger Anleitung des gewissenhaften Haus¬
arztes. Im zweiten Akt wird eine Frau Oberst
erschossen, was eigentlich noch viel entsetzlicher
von
dritten Akt erfahren wir
ist. Im
einem halben Dutzend Selbstmorden, die im Zwischenakt,
während wir ahnungslos am Buffet einen Cognac
tranken, vorgefallen sind. Außerdem stirbt in diesem
Akt eine schwindsüchtige junge Dame. Und an Schlaf¬
tränken, dunklen Ecken, heimlichen Lauschern und kühnen
Rittern ist ebenfalls kein Mangel. Ein Stück, das
von Zacharias Werner geschrieben sein könnte.
Um in einige Details einzugehen: Marie, eine
sechsundzwanzigjähreige Schöne, wird von ihrem
kranken Vater in unerhörter Weise tyrannisirt. Er
quält sie bis aufs Blut, läßt sie keinen Schritt
ins Freie, und während unten auf der Straße die
an
Kavallerieoffiziere vorbeisprengen, muß
dem Beit des schimpfenden Alten Tropfen