II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 8

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19. Der e
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zählen und Zeitungen vorlesen. Von draußen
hört sie den Ruf des Lebens. Ein etwas
langstieliger Forstadjunkt wirbt um ihre Hand; aber
der ist nicht ganz der richtige, erstens, weil er eben
langstielig ist und dann, weil eine Försterin
im Gebirge doch nicht ganz das Leben ist,
eine Sechsundzwanzigjährige
nach dem sich
sehnt. Lockender ist schon das Abenteuer mit einem
Dragoneroffizier, mit dem man einmal die Nacht durch¬
tanzt hat. Aber dieser Dragoneroffizier zieht gerade in den
Krieg — wir sind in Oesterreich, ungefähr in der Zeit
von Solferino oder auch von Königgrätz — und alle
Welt weiß, daß dieses Dragonerregiment beschlossen
hat, bis auf den letzten Mann zu sterben, um eine
alte Schmach wieder gut zu machen. Nächsten Morgen
Der
rücken sie aus und kommen nicht wieder.
je und hält die
Alte poltert schlimmer als
Da
Tochter mit tyrannischer Hand fest.
die
schüttet sie die hundert Dosen Chloral,
ihr eben der Arzt mit bedeutungsvollem Blicke gab,
dem Kranken in das Glas, er trinkt, schreit auf und
bricht zusammen. Und dem noch Lebenden reißt sie
den Schlüssel aus der Hand und stürmt hinaus, dem
Ruf des Lebens folgend.
Dem Herrn Dragoneroffizier aber kommt sie zu sehr
ungelegener Stunde. Er hat ein Verhältnis mit der
Frau seines Obersten und die lebensdurstige Marie muß
aus ihrem Versteck einem sehr patyetischen Stelldichein
zusehen, muß zusehen, wie der betrogene Gatte durch das
Fenster einsteigt und die Ungetreue niederknallt. Erst nach
Erledigung dieser Episode kann die Lebensdurstige ihrem
Offizier zu kurzem Glück in die Arme sinken. „Lebens¬
durstig“ ist übrigens ein sehr poctisches Wort für dieses
brutale Begehren und Geschehen.
Im letzten Akte resignitt man sich. Der Papa ist
tot, die Frau Oberst ist tot, der Herr Oberst ist iot,
der Dragoneroffizier hat sich erschossen, alle Dragoner
sind im Felde gefallen und tot, manfetot. Kein
Wunder, daß die lebensdurstige Marie aussieht wie
eine geknickte Blume. Für Damen ihrer Geistes¬
richtung ist eine Welt ohne Dragoneroffiziere
so lauscht sie
aber nichts mehr wert, und
ergriffen den wohlgesetzten Worten des ehrenwerten
Chlotal=Hausarztes, der ihr ein philosophisches Ge¬
nießen nicht des wilden tragischen Lebens, aber der in
ruhigem Glanz dahinfließenden Alltage predigt.
Daß in diesem Stück manches von der geschickten
Hand eines wirklichen Dramatikers arrangiert ist, soll
nicht geleugnet werden. So ist der erste Akt ein
packendes kleines Drama für sich, reich an
Fortschritt, Bewegung und kräftigen Kontrasten.
Nachher aber überwuchert eine schwülstige Banalität.
Die Geschichte mit dem totgeweihten Regiment
ist etwas einfältig und wird ohne Größe entwickelt,
und durchaus abgegriffene Mittelware ist die Ehe¬
bruchsepisode und der schlappe, kraftlose Schluß.
Die gezierte, affektierte Sprache, eine Kasseehaus¬
Literatensprache, die mit dem Leben nichts zu tun
hat, verdient eine besonders scharfe Rüge.
Die Darstellung war mittelmäßig. Irene Triesch
freilich kann niemals mittelmäßig sein, sie war auch
diesmal immer interessant, am interessantesten aller¬
dings, wenn sie schwieg. Aber Herr Marr als kranker
Vater, Emannel Reicher als giftmischender Arzt,
Bassermann als Oberst und die andern alle, sie
spielten ein Spiel, das den Traditionen dieses
der
Ensembles nicht gerecht wurde. Rittner,
spielte, hatte
den langstieligen Forstadjunkten
zu
mit seiner Partie unzufrieden
Grund,
sein. Das gab ihm aber nicht das Recht, seine
Rolle einfach zu markieren. Der Sache, zu der man
gehört, hat man treu zu bleiben bis zum letzen Tag.
V. A.
Zur Feier ihres 50jährigen Bestehens Nran¬

staltete die „Akademische Liedertafel" (Dir.
Adolf Schulze) am Donnerstag abend im Saale der
Singakademie ein Fest=Konzert, das sich eines zahlreichen
Besuches erfreute und in seinem Verlauf sehr an¬
regend gestaltete. Dem schwungvoll vorgetragenen
Vereinsspruche (komp. von dem A. H. d. A. L. T.
Prof. Dr. Fr. Volbach) ließ die Sängerschar zunächst
Max Stanges Jubiläumsgesang „Jauchzet ihr Himmel,
janchzel“ und weiterhin Fr. Volbachs stimmungsvolle
Cher-Ballade „Der Troubadour“ für Chor, Bariton¬
solo und Orchester foigen, deren Wiedergabe, was
klangliche Sauberkeit und rhythmische Präzision an¬
belangt, durchweg als wohlgelungen gerühmt werden
kann. Auch in bezug auf Phrasierung und Sprach¬
behandlung ist dem Chor das Beste nachzusagen. Als
Mitwirkende waren an der Aufführung erfolgreich be¬