II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 37

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19. Der Ruf des Lebens
1S

Base, die ihres Lebens köstliche Neige mit gierigen
Zügen trinkt, bringt ihr die Kunde, der heimlich ge¬
1. pranich eun.
liebte Mann, ein hübscher Junge in blauer Kürassier¬
Berlin, 25. Februar.
uniform, wird morgen in den Tod reiten mit seinem
Schnitzler nennt sein neues Werk „Der Ruf des
Regiment. Nur diese Nacht ist er noch in der Stadt,
Eedens“. In diesem so erschrecklich robusten und
nur diese Nacht lebt er noch. Das Leben ruft. Da
muskulösen Stück, in dem ein Mädchen vergistet, ein
mischt sie dem Vater den Schlaftrunk stark, überstark,
Oberst erschießt, ein junges Regiment in den Tod
daß es sein Todestrunk wird, und der Hand der Leiche
reitet, eine Schwindsüchtige verröchelt, ist das Feinste
entreißt sie den Schlüssel, öffnet ihr Gefängnis und
und Beste ein Unterton der Sehnsucht, der Wehmut,
stürmt in die Freiheit, ins Leben ... In der Kaserne,
der Resignation, der deutlich vernehmbar für jedes
in des Geliebten Zimmer hinter einem Vorhang ver¬
literarische Ohr aus dem erfolgreichsten Schnitzlerschen
borgen, wird sie unfreiwillige Zeugin eines Abschieds.
Stück herüberklingt, das ihm den Namen gemacht hat:
Die Frau des Obersten beschwört den Geliebten, dem
aus der „Liebelei". Dort in dem weichlich schönen,
sie angehört hat, sich zu retten, mit ihr zu fliehen.
verträumten Wiener Stück fühlt's der alte Musikus
Der Oberst, der die beiden längst beargwöhnt hat,
Weiring, daß sein Töchterchen, die Christine, ihren Liebes¬
dringt plötzlich durchs Fenster ein, und nach kurzer,
frühling erlebt, dem kein Ehe=Sommer folgen wird.
kalter Aussprache erschießt er die Ungetreue. Tann dreht
Und da ihn die Frau Nachbarin aufhetzen will gegen
er dem Verführer verächtlich den Rücken. Verzweifelnd
das Mädel, denkt er seiner früh gealterten Schwester,
will sich der Leutnant selbst den Tod geben, da bricht
die er gar so gut behütet hat, und er sagt: „Ich
die Lauscherin aus dem Versteck hervor, wirft sich an
seh' sie ja noch vor mir, wie sie mir oft gegenüber¬
seine Brust und zeigt ihm den Weg ins Leben. Den Weg
gesessen ist am Abend, bei der Lampe, in dem Zimmer
an einer Leiche vorbei — ins Leben einer einzigen Nacht ...
da. und hat mich so angeschaut mit ihrem stillen
Der Schluß ist Reflexion. Viele Wochen später finden
Lächeln, mit dem gewissen gottergebenen, — als wollt'
wir das Mädchen wieder in einem frühlingsduftenden
— ich hätt'
sie mir noch für was danken; — und ich —
Garten mit dem Raisonneur des Stückes, der Arzt ist. Der
mich am liebsten vor ihr auf die Knie hingeworfen,
Geliebte hat sich damals, als der Morgen kam, erschossen.
sie um Verzeihung zu bitten, daß ich die so gut be¬
Das schwindsüchtige Bäschen kommt sterbend aus seinem
hütet hab' vor allen Gefahren
— und vor allem
letzten Weltrausch heim. Ein ehrlicher Freier hat Abschied
Glück.“ Hier liegt der Schlüssel zum „Ruf des Lebens“
genommen für immer. So steht sie allein nach ihren
Und wie Schnitzler von dieser Idee nicht losgekommen
Erinnerungen in dem blühenden Garten und hört den
ist, bis er sie neu und anders gewendet, so ist er
Trost des Arztes und des Dichters: Mord und Ehebruch, Tod
auch von der Handlung der Liebelei nicht losgekommen.
und Untreue, Blühen und Welken — alles das sind Worte,
Wie an einer Kette liegt Schnitzler am „Liebelei“¬
Worte, Worte. Ein Schauer, und sie fliegen uns vorbei.
Gedanken; aber er rüttelt und reißt an der Kette und
Der Starke überlebt sie.... So scheint mir der Sinn
will aus dem weichen Frieden des Stimmungsstückes
des Schnitzlerschen Stückes. Eine Romanze der Resignation,
mit seiner Sentimentalität und Resignation hinauf bis
ruppig unterbrochen von Pistolenschüssen, Sterbegeröchel
zur Tragödie und den packenden Geschehnissen. Darum
und Theaterei. Aber doch immer wieder verklingend, wie
kommt Gift, Revolver und Schwindsuchtstod auf die
das Lied einer wehmutkranken Frauenstimme durch den
Bühne. Darum müssen im Mittelakt gleich zwei Lärm eines Konzertgartens mit Militärkapelle und
Lauscher das furchtbare Geheimnis erfahren; darumSchlachtenmusik, ein alter Refrain: On pense, on pense
wird Schnitzler so unschnitzlerisch; und der Erfolg, den
encore à celle qu'on adore.
der erste Akt versprochen, bleibt aus . .. Und trotzdem,
Dr. Rudolf Presber.
hinter all diesen unwahren Figuren, die — wie selten
—.—
bei Schnitzler — auch unwahr reden, Papier sprechen
und in Phrasen sich verstricken, —
stehen schöne, stille,
müde Gedanken. Was soll's mit all den großen Worten
das ist so ungefähr der Sinn dieser drei Akte —,
mit all den Schrecknissen von Mord, Ehebruch, Todes¬
ritt, Vergeltung, Reue? Aendern sit etwas in der Welt?
Kommen keine Blumen mehr aus der Erde, weil sie
über das Land hingehaucht wurden von ängstlichen
Menschenherzen? Spielen keine Kinder mehr? Haschen
sich Liebende nicht mehr? Geht alles nicht weiter, wie
vordem, ob nun so ein junges Blut seine Seele aus¬
hustet und so ein frischer Bengel sich erschießt oder
nicht? Und verlieren die Lebenden das Recht ans
Leben, weil irgendwo ein Toter sich unter dem Rasen
streckt, der vielleicht erst Platz machen mußte, damit
die Stärkeren Licht und Luft bekamen? So raunt's hier
hinter den wunderlichen Akten und lächelt sogar ein
wenig. Und wo es raunt und lächelt und die Achseln
zuckt, da ist es gut, interessant und hat seine be¬
sondere jungwiener Note.
Ein alter Rittmeister, von seelischer Schuld der Feig¬
heit bedrückt, stirbt unter Schmerzen langsam hin. Sein
Hirn verkalkt. Er wird zum raffinierten Quäler der
einzigen Tochter. Er spürt ihren Lebenshunger, ihren
Liebesdurst, und mit satanischer Bosheit hält er sie
an seinem Krankenstuhl fest. Sie soll nicht genießen,
soll aushalten bei ihm, soll sich winden unter seiner
tückischen Rede, unter der Folter seiner Grillen. T
###mat der Ruf des Lebens zu ihr. Ei schwindsüchtige1!