II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 43

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ir
satz


des Leben
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19. Der Rüf Wuduuuuans
tödliche Dosis eines von Dr. Schindler zurückge¬
sentanten des Klassenbewußtseins, der ihre Klasse
lassenen Schlafpulvers und stürzt über des Alten
beherrschenden Ideen und Vorurteile. Schnitzler
Leiche hinweg in die Arme des Geliebten.
verfährt hier nach dem gleichen Rezept wie Strind¬
Der zweite Akt spielt im Wohnzimmer des
es Lebens“,
berg in „Fräulein Julchen.“ Keine Menschen mehr
Leutnants Max.: Er ist damit schäftigt, Liebes¬
aus Fleisch und Blut, Typen, Konstruktionen des
Schnitzler.
briefe, die Dokumente seiner unerlaubten Beziehun¬
Dichters, in denen er das Leitmotiv ganzer sozialer
chern und Ver¬
gen zur Gattin seines Obersten, zu vernichten. Da
Schichten erklingen läßt.
ersteckte Tragik
erscheint dieser selbst und sucht Max durch ver¬
Der erste Akt spielt in Wien in einer klein¬
nen noch nicht
fängliche argwöhnische Fragen ein Geständnis sei¬
bügerlichen Krankenstube. Als Pflegerin eines ver¬
her Gestaltung
ner Schuld abzulocken. Max leugnet und lehnt ein
bissenen, tückischen Gichtkranken, des alten Moser,
daß ein solcher
Anerbieten des Obersten, ihn vom Todesritt zu dis¬
veratmet dessen Kind Marie in dieser Marter¬
us der „Technit
pensieren, unter Hinweis auf seine Soldatenehre
kammer ihre blühende Jugend. Während der Alte mit
Eimentieren, sich
ab. Anders denkt sein Kamerad Albrecht, der den
brutaler Gemeinheit das a###sch duldende Ge¬
uerpfade gehen
Todesritt als eine ehrgeizige Schrulle des Kom¬
schöpf von seinem Krankenstuhle aus quält und be¬
Diesem tastenden
mandeurs und die Hingabe des Lebens, des einzig
I geifert, Rlingt von der Straße her das ferne Brau¬
Schätzen vor¬
Wünschenswerten, für eine Idee als Narrheit be¬
sen vorüberziehender Schwadronen, die in den
lschänderisch er¬
zeichnet. Und dann wird Marie, die sich unbemerkt
Krieg ziehen. Unter ihnen ist auch das Regiment
chen, von der
in ein Nebengemach geschlichen hat und dort ver¬
der blauen Kürassicre, von denen keiner heimkehren
kadu“ bis zum
borgen hält, die Zeugin folgender Szene. Der Offi¬
wird. Das Regiment hat in einem früheren Kriege
nphantomartig
zier empfängt den Besuch der Gattin des Obersten,
einmal die Jahnenflucht ergriffen und dadurch den
bolistischen Spuk
die ihn in glühenden Liebesworten beschwört, sich
Verlust der Schlacht herbeigeführt. Der Oberst hat,
s an die Ober¬
nicht dem Todeszuge anzuschließen, sondern sich lie¬
angeblich um die alte Schuld zu sühnen, vom Kaiser
n des Menschen
ber — krank zu stellen. Aber auch jetzt bleibt Max
die Gunst erbeten, das Regiment in den Tod zu
Lebens“ ist es
taub für den Ruf des Lebens und schüttelt die schöne
führen. Auf einem Ball hat Marie einen dieser
göttlichen Ord¬
Versücherin ab wie eine lästig gewordene Dirne.
Offiziere, Max, getroffen, den sie glühend licbt, ohne
ein Aufbäumen
Da klirrt das Fenster, der Oberst springt ins Zim¬
daß sie ihn je wiedergesehen. Aber seitdem dünkt
Imperativ, als
mer und schießt nach kurzem Wortwechsel die Un¬
ihr das einsame Verblühen am Krankenbette des
Kommandos und
getreue kalt lächelnd nieder. Für den Verführer
wüsten Alten wie ein grausamer Hohn auf alles,
stinkten das Ich
1 hat der raffinierte Rächer seiner Ehre keine Kugel.
was in ihr nach Leben und Glück schreit. Ein
8 Bibelwort, die
Nach dem Abgang des Obersten will Max das Un¬
Arzt, Dr. Schindler, der als resignierter Philosoph
Ideen, fürs Va¬
vermeidliche selbst erledigen, da erscheint — Marie.
und Menschenfreund die Vorgänge des Dramas
sie erscheinen in
Jetzt folgt er dem Rufe des Lebens, wenn auch nur
glossiert, besucht den Kranken und trifft dort mit
ermauern der in
für eine kurze Nacht.
dem Forstadjunkten Rainer zusammen, dem Ver¬
wie die Sug¬
Der Schlußalt spielt auf dem Lande in Nie¬
lobten Mariens, der eine Oberförsterstelle in Steier¬
ebensspieler zur
derösterreich im Garten des mittlerweile zum
mark antreten und Marie als seine Frau mitnehmen
chung der Masse.
Oberförster avancierten Adjuntten. An den Gar¬
möchte. Schindler rät Marie zur Annahme des
hinter denen sich
tenzaun stoßen frische blumige Wiesen, hinter denen
Antrages und zur Flucht, da der Alte, obwohl ret¬
, die nur Worte
die Waldberge aufsteigen. Auch die Mutter Katha¬
tungslos krank, noch lange leben könne, und das
Beides geschicht
rinas befindet sich hier in Begleitung Mariens.
Opfer Mariens eines Bibelwortes wegen einem
ist es das Weib
Sie beklagt ihr unglückliches Kind, das seit einiger
Seibstmord gleichkomme. Sie aber lehnt den An¬
). das den Mut
Zeit verschollen ist. Auch Dr. Schindler ist da und
trag ab, und dabei bricht nun alles, was dieses
efängnis, sie er¬
trifft hier mit Marie zufammen. Aus ihren Ge¬
verschlossene, schweigsame Weib an wilder Leiden¬
Ueber die Leiche
sprächen geht hervor, daß nach jener verhängnis¬
schaft, an Lebensdrang in sich birgt (man kann sich
hinweg reißt sie
vollen Liebesnacht der Leutnant sie wie eine Dirne
vorstellen, wie Irene Triesch diese Szene
ins Freie. Der
von sich gestoßen und sich dann an der Leiche der
spielte), vulkanartig hervor. Mord, Untreue, Buh¬
liebt, erweist sich
1 Ehebrecherin erschossen hat. Dr. Schindler hat den
lerei hat sie begangen, wenn auch nur in Gedanken,
nkt. Er hat den
Mord, den Marie am Vater begangen, zugedeckt,
um ihrem Kerker zu entfliehen. Nur der Mut zur
attin er ein Ver¬
damit nicht andere, die sie nicht verstehen, über sie
Tat hat gefehlt. Wie sie den Herrn Adjunkten
an, aber ihm fehlt
zu Gericht sitzen. Marie leidet zwar unter dem
fragt, ob er noch den Mut besitzt, sie nach diesem
dieses Mannes zu
Verhängnis, das ihr Leben zerstört hat, aber sie
Bekenntnis zu heiraten, tritt dieser schleunigst den
gt um einer Idee,
kann nicht berenen, was geschehen mußte. Glücklos,
Rückzug an. Und nun wird auch die Tat geboren.
Drill ist stärker in
ohne Ziel schreitet sie durchs blühende Leben! Da
Durch eine Verwandte, Katharina, die infolge der
erscheint auch Katharina, atemlos, gehetzt von wil¬
Untreue des Adjunkten, der sie um Mariens willen
Künstlichste vom
den Fieberträumen gleich einer sterbenden Bacchan¬
aufgegeben hat, ein wildes Genußleben führt, er¬
edankengange Aus¬
tin, noch im Tode ein Evoe auf den Lippen. Auf
fährt Marie, daß der Offizier, den sie liebt, noch in
eu — es spielt an¬
den Wiesen spielen sorglose Kinder zwischen Bin¬
Wien ist und erst morgen sich dem Kriegszuge an¬
derts in Oester¬
men, während in dem kleinen Gärtchen der letzte
schließen soll. Der Ruf des Lebens ist mächtiger
spieler darin sind
Akt einer Tragödie sich vollzieht. Es flattert da¬
in ihr als die sittliche Forderung. Sie reicht dem
vidnen im natura¬
fern Typen, Reprä= Vater, der den Schlüssel zur Stubentür hat, die von, dieses leichte, zierliche, bewegliche Seelchen.
Schindler tröstet Marie, indem er ihr das Leben als
ein Spiel schildert, bei welchem selbst die furcht¬
barsten, uns unüberwindlich scheinenden Kata¬
strophen nur die kleinen Wellen sind, die die Ober¬
fläche vorübergehend kräuseln. „Morgen,“ so un¬
gefähr sagt er, „werden Sie vielleicht wieder
lächeln und sich freuen. Sicher ist nichts als der
Tod.“
Ich habe mir gestattet, den Gedankeninhalt des
Schnitzlerschen Stückes, so wie ich ihn verstehe, genau
bis in seine letzten Wurzeln zu verfolgen, weil in
ihm jene Weltanschauung sich ausspricht, die gerade
in unseren besten Köpfen schwere Verwirrungen
angerichtet hat. Es ist, als ob Nietzsches geistvolles,
aber krankhaft verzerrtes Antlitz zwischen den Zeilen
des Schnitzlerschen Dialogs hervorblicke. Wie
Nietzsche hat Schnitzler das Leben befragt und ähn¬
liche Antworten erhalten. Jene Gesetze, meint er,
die wir als ewige Ordnungen verehrten, sind Men¬
schensatzungen, vergänglich und nicht selten im
Widerspruche mit den elementaren Forderungen des
Lebens. Wehe unserer Zeit, wenn sie sich auf die¬
se Bahnen hinlocken ließe. Ohne Zweifel wird
mit jenen Gesetzen zuweilen Mißbrauch getrieben,
müssen sie, wie beim Obersten der blauen Kü¬
rassiere, den Deckmantel niedriger und verwerf¬
licher Gesinnungen abgeben, dach verloren wäre ein
Volk, das sich dadurch an der Notwendigkeit, der
erzieherischen Kraft und dem göttlichen Ursprunge
des Sittengesetzes irre machen ließe. Ein gesundes
Empfinden wird mit Schnitzler den Ruf des Lebens
bejahen, dagegen die Handlungsweise Mariens !
als eine ebenso gegen das göttliche Gebot wie gegen
die weibliche Natur verstoßende Selbsthilfe in das
Gebiet des Unmöglichen verweisen.
Der ausgezeichneten Darstellung unter Emil
Lessings den Charakter der Biedermeierzeit
fein markierenden Regie habe ich bereits im Vor¬
bericht gedacht. Am sichersten traf den Stil des
Typisch=Symbolischen Albert Bassermann
als Oberst. Das leise Durchschimmernlassen der
Idee bei völliger Naturwahrheit der Rede gelang
H. v. B.
meisterhaft,