II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 56

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Frau das Spielzeug zu zerschlagen. Es fügt sich aber, daß
mit Namen operiert, wo Monogramme, Jahreszahlen, Druck¬
beide, die Ehebrecherin und ihr Buhle, noch vorher aus dem
ort, Dapier, Wasserzeichen die einzigen Anhaltspunkte bieten,
Diesseits scheiden.
beginnt für manche die Aufgabe erst recht interessant zu werden.
Ein junger Offizier des Regiments durchschaut den Oberst.
Aber auch in den anderen Jahrhunderten sind in der letzten
Er weiß, daß dieser Mann, der seine Handlungen auf Epi¬
Zeit eine Fülle neuer Resultate gewonnen worden, die das
früher für richtig gehaltene Bild nicht unwesentlich verschieben.
gramme stellt, sehr darauf aus ist, auf solche Weise und
auf Kosten der Seinen das zu erringen, was die Menschen
So war die Abfassung eines neuen, all diese Forschungen
unsterblichen Ruhm benennen. Trotzdem kann er sich nicht entziehen.
berücksichtigenden Handbuches der vervielfältigenden Künste zu¬
Er ist nachher der einzige von allen, der unverwundet von
gleich unbedingt notwendig und außerordentlich erschwert
dem Schlachtfeld heimkommt. Soll er allein die Kameraden
worden. Bei dem vortrefflichen Lippmannschen „Kupferstich“
überleben? In irgend einer Scheune schießt er sich eine Kugel
ist zwar in den neueren Auflagen allen Forschungsergebnissen
vor den Kopf.
Rechnung getragen worden, aber Format und Umfang dieses
Die blauen Kürassiere haben Mann für Mann mit dem
Teitfadens zwangen oft zu einer fast übertriebenen Unappheit;
Tode gezahlt. Es erweist sich aber, daß ihr Opfer nutzlos
ein brauchbarer Führer durch die Geschichte des Holzschnitts
war. Die Schlacht ging trotzdem verloren, gerade so gut wie
fehlte bislang gänzlich. Der Cassirersche Verlag hat einen un¬
sie vor dreißig Jahren, ihrer Flucht ungeachtet, hätte gewonnen
gemein glücklichen Griff getan, als er die Aufgabe Paul
werden können. Ein nachdenklicher Beurteiler aber sagt, es
Kristeller*) übertrug. Kristeller besitzt mindestens auf den
kommt darauf nicht an. Nicht der Erfolg entscheidet, sondern
Gebieten des älteren deutschen und italienischen Rupferstichs
das Beispiel. Hat er nicht recht?
und Holzschnitts einen weit über Deutschland hinausgehenden
Es ist das Grundthema von Schnitzlers gesamtem dichteri¬
Ruf und hat als Ordner italienischer Kabinette und eifriger
schen Schaffen, das hier anklingt: Spiel wird Wirklichkeit, und
Besucher aller bedeutenden europäischen Sammlungen auch sonst
Wirklichkeit zu Spiel. Eine neue Ausdrucksweise ist dafür ge¬
eine ungemeine Materialkenntnis gewonnen. Sein Gefühl für
funden. Man sieht den Oberst, den verwegenen, phantastischen
das Künstlerische bewahrt ihn davor, unbedeutende Männer
Spieler, der all die Seinen und sich selbst dazu aufs Brett setzt,
mit derselben Ausführlichkeit zu behandeln wie die großen
dem sich das Spiel unter den eigenen Händen verkehrt, — zu
Meister, und er besitzt die Gabe, streng wissenschaftliche Er¬
Wirklichkeit werdend, nachdem es für ihn den Sinn verloren.
gebnisse in einer angenehm flüssigen Sprache darzustellen.
Die Wirklichkeit aber entkörpert sich wieder und wird zu Spiegel¬
Ueberall begegnen wir in dem stattlichen Bande zugleich dem
bildern, der Tod der Tausende wird zu einer Fabel und zu
tiefsten Eindringen in die Spezialwissenschaft und dem Streben
einem Beispiel. Doll persönlicher Eigenart spricht der moderne
nach lichtvoller, gemeinverständlicher Zusammenfassung.
Romantiker aus diesem Werk.
Am schwierigsten war diese Aufgabe bei den allerersten
Es werden Fragen hier verhandelt, die uns recht innerlich
Anfängen des Holzschnitts, wo der Boden oft unter den Füßen
nahe gehen, etwas von unseren seelischen Kämpfen um und
zu schwinden scheint und auch der Forscher sich nur mühsam
wider die Welt des Alltags wird hier ausgefochten. Und
zwischen Hrpothesen durchtastet, und wo, in der Zuteilung der
wenn die künstlerische Form zerbarst, — es bleibt das Beispiel.
Erfindungen an die verschiedenen Dölker, zudem auch der
Thauvinismus neuerdings eine Rolle zu spielen beginnt. Fast
Ernst Heilborn.
nirgends stellen sich greifbare Künstlerpersönlichkeiten ein, und
selbst wa sie erscheinen, sind ihre Werke durch den groben
handwerksmäßigen Betrieb der Holzschneider fast immer entstellt.
Aber schon beim Kupferstich des XV. Jahrhunderts in Deutsch¬
land und in den Niederlanden ändert sich das Bild. In dem
Meister der Spielkarten, dem Meister E. S. und besonders Schon¬
gauer und dem neuerdings so viel genannten und umstrittenen
Zwei Bücher über graphische Kunst.
Meister des Hausbuchs treten uns Individualitäten entgegen,
vor deren Werken sich das archäologische Interesse zur Sphäre
ie Dervollkommnung unserer mechanischen Verfahren
des Kunstgenusses erhebt. Aber gerade hier ist es dem Ver¬
hat den vervielfältigenden Künsten entschiedenen Ab¬
fasser hoch anzurechnen, daß er die Relativität des Wertes der
bruch getan. Der Kupferstich ist so sehr der Photo¬
Stecher nicht aus den Augen verloren hat, sondern langweilige

graphie und Photogravüre gewichen, daß sich selbst
Dutzendleute wie den Erasmusmeister mit wenigen Worten
die lange künstlich gehaltene Société de Gravure in
abtut. Israel von Meckenem scheint mir ein wenig schlecht
Paris vor einigen Jahren auflösen mußte. Aber auch die
wegzukommen; er glänzt doch nicht nur durch seinen emsigen
Freude am Sammeln alter Originalradierungen ist dadurch
Fleiß, sondern wirkt mit seinen Darstellungen aus dem Alltags¬
beeinträchtigt worden, daß man täuschend ähnliche Repro¬
leben wirklich anziehend und unterhaltend. Dann folgt eine
duktionen unendlich viel billiger haben kann, als selbst schlechte
Würdigung des französischen Holzschnitts, der durch das ge¬
Originaldrucke — ganz abgesehen davon, daß dadurch auch
schmackvolle Zusammengehen der reizenden, fein ausgeführten
den Fälschungen Tür und Tor geöffnet ist. Der eigentliche
Zierstücke mit dem Satz und durch die Sauberkeit und Schärfe
Amateur d’Estampes kommt so nach und nach auf den Aus¬
des Drucks noch heute als vorbildlich für den eigentlichen Buch¬
sterbeetat. Daran hindert weder die Tatsache, daß einige
schmuck gelten kann. Ganz kurz werden England und Spanien
moderne Aleister, wie Whistler, Stauffer=Bern, Klinger, ganz
behandelt, mit umso größerer Liebe dagegen die kurze Blüte
außerordentlich hoch im Kurse stehen, noch, daß es eine große
des Holzschnitts in Italien am Ende des XV. Jahrhunderts,
Anzahl von Spezialisten gibt, die ihre Chodowiecki oder Johann
auf die bald der tiefste Verfall folgt, und der dortige Kupfer¬
Adam Klein auf Dollständigkeit aller Zustände sammeln. Diese
stich, der technisch hinter dem deutschen zurückbleibt, aber sehr
Spezialisten sind oft nur eine Abart jener Briefmarkensammler,
persönliche Leistungen aufzuweisen hat. In Florenz üben Botti¬
die ihre „alten Sachsen“ lückenlos haben wollen.
celli und Pollajuolo einen großen Einfluß aus, in Denedig
Nimmt so die von künstlerischen Gesichtspunkten aus¬
kommt es nach einer zierlichen Dorblüte zum Nonumentalstil
gehende Liebhaberschaft am Kupferstich ab, so ist umgekehrt die
Mantegnas.
Kennerschaft in den letzten Dezennien ganz außerordentlich ge¬
Am Anfang des XVI. Jahrhunderts hat die Technik be¬
wachsen. Es gibt heute schon eine ganze Anzahl Kunst¬
reits ihren Höhepunkt erreicht. In Deutschland steht Dürer,
historiker, die sich den Kupferstich und selbst spezielle Gebiete
der ganz aus sich heraus schaffende Künstler, an der Spitze, in
des Kupferstiches zum Spezialstudium erkoren haben. Zumal
Italien der als Interpret fremder Weisen, besonders Raffaels,
die Forschungen auf dem Gebiete der ältesten Holzschnitte und
glänzende Marcanton, der im Technischen viel von Dürer gelernt
Kupferstiche, also einem künstlerisch wenig fruchtbaren Ge¬
biete, haben eine Ausdehnung genommen, die man noch vor
kurzem für kaum möglich gehalten hätte. Wo man nicht nur
*) Daul Kristeller, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten.
Berlin, Bruno Cassirer, 1905.
nicht mehr mit berühmten Meistern, sondern nicht einmal mehr