II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 74

box 24/1
19. Der Ruf des Lebens

Sophokles in einer Verbeutschung und Bearbeitung von auf, daß er den berühmten Ausspruch der leidbeschwerten
nd Theaterrundschau, Vollmöller zur Darstellung brachte, Man stelle sich nur Oedipus=Tochter, „nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich:
Berlin, im April. einmal vor; eines der erhabensten dramatischen Meister= da“, folgendermaßen übersetzte, „nicht mi. zuhassen, mitzu¬
Februar und März brachten mit werke aller Zeiten, eingezwängt in die kleinste Bühne Berlins, lieben lernte ich“, was entschieden viel matter und
des Moskauer künstlerischen die nicht viel größer als ein Damenbudoir ist! Und in spreizter klingt. Im übrigen haben wir es erfreulicherweise
Ereignis, bei dem sich ein diesem räumlich auf das äußerste beschränkten Theater be= mit keiner Umdichtung à la Hofmannsthal zu tun, sondern
Die hervorragenden Leistungen wegten sich die übermenschlichen Gestalten der griechischen Vollmöller hat sich ziemlich genau an den Urtert gehalten
Schauspielertruppe können die Tragödie, nicht einmal durch die Orchestra vom Publikum und seine Modernisierung bestand in der Hauptfache nur in
en und was während der letzten geschieden, so daß aklein durch die Enge des Raumes der Zusammenstreichung des Chores auf ein paar Strophen
iten in den Berliner Thealern schon ihre weit ausholenden Gebärden und das tönende und Wechsekreden. Aber gerade damit hat Vollmöller eine
alles wieder in den Orkus der Pathos der gedankenschweren Rede fast parodistisch wirkten. unentschuldbare Barbarei begangen, denn mit der antiken
n. Vor allem Artur Schnitzlers Was die Regie tun konnte, um die Ewigkeitsperspektiven Tragödie ist der Chor ebenso untrennbar verbunden, wie das
[Der Ruf des Lebens“ das im des antiken Theaters den Zuschauern vorzutäuschen, hat sie Orchester mit der Oper. Durch den Chor spricht der griechische
aufführung erlebte und den voll= zwar getan, aber sie mußte sich dabei natürlich auf moderne Dichter unmittelbar zu uns, erkäutert er die Vorgänge auf
seines Schöpfers unbarmherzig Stimmungsmacherei beschränken. Also ließ sie den Bühnen= der Bühne, knüpft an die Vorgeschichte an und lüftet den
der ganze Freundeskküngel von vorhang weg und markiorte die Zwischenpausen durch ein Schleier von dem Kommenden, hält in breit hinströmender
Niederlage Schnitzlers zu ver¬
kurzes Verfinstern des Saales und das Herablassen einer
Lyrik den handelnden Personen einen Seelenspiegel vor und
dieser Hinsicht wieder einmal ganz schwarzen Gardine, ferner ließ sie auf den Altären Opfer¬
ergeht sich in Betrachtungen über die höchsten Fragen der
über die Solidarität und das feuer lodern, gebrauchte zerstreutes Fackellicht sowie ben¬
Menschheit. Allerdings bildet auch der Chor das Haupt¬
der Wiener und Ber= galische Beleuchtungseffekte und zum Ueberflusse ertönte
hindernis für die Widergabe der griechischen Tragödie auf
kater= und Preßalique an= hinter den Kulissen Mendelsohns mehr hebräisch als griechisch unseren Theatern, aber lassen wir ihn weg, so fällt mit ihm
spielsweise das hiesige Schiller=empfundene und ersundene „Antigone“=Musik. Im Parkette das blühende Fleisch von dem antiken Drama und es bleibt
Abend, wo das Stück in Wien aber saß ein Publikum, dessen größtem Teile das alte
nur das nackte Gerippe einer uns unverständlichen Handlung
das fünfaktige Schauspiel „Der Hellas mit seinen Götiern und Helden nichts weiter be= übrig. Direktor Varnowski hätte das Gedicht Grillparzers
s der Feder des Redakteurs der deutet als eine verblaßte, ärgerliche Erinnerung an die beherzigen sollen, weiches dieser größte deutsch=österreichische
12
Stephan Großmann, gleich= Quälerei mit der Sprache Homers im Gymnasium. Wer Poet niederschrieb, als Ludwig Tieck 1843 versuchte, die
Berlin auf. Der Autor ist als spielte da eigentlich besser Komödie, die in griechische Ge¬
„Medea“ des Euripides auf einer Berliner Bühne aufzu¬
Berlin ein hemo novus, und wenn
wänder gehüllten Schauspieler, die uns Sophokles zum
führen. Dieses Spottgedicht betitelt sich „Euripides an die
er es sonst einem unbekannten
Herzen bringen wollten, oder die geputzten Damen und
Berliner“, und schließt mit folgenden Zeiler.:
stlingswerk auch nur bei einem
Herren im Zuschauerraume, welche Festspielstimmung
Wer Leben schafft, das seiner Zeit gehörte,
wird man die Verwunderung dar¬
heuchelten? Angesichts solcher Betrachtungen lohnt es sich
Wär's auch im Raum und durch die Zeit begrenzter,
Können, daß es Herrn Großmann
kaum, sich mit der Verdeutschung und Bearbeitung zu be¬
Tat mehr, als wer zum Sabbat aufbeschwört
s hervorragendes Stück in Berlin
Die Schatten von Gespenstorn für Gespenster.
schäftigen, welche der schwäbische Litergt Vollmöller von
ssen.
der „Antigone“ angesertigt hat. Da eine Buchausgabe noch
Das antike Drama wird sich auf der modernen Bühne#
dem man im voraus wußte, daß
sehlt, läßt sich ohnehin nicht gut beurteilen, ob seine Ueber¬
nicht mehr neu beleben lassen, sondern uns nur in der
te Direktor Barnowsli, indem er setzung an die seiner Vorgänger Donner, Wilbrandt, Thu¬
Lektüre durch seinen poetischen Gehalt teuer bleiben!
eater die „A#tigone“ von dichum und anderer hinreicht oder sie übertrifft, doch fiel es
Es wäre wirklich nicht uninteressant, einmal nach¬