II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 78

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19. Der Ruf des gebens

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nat — steht dahin; jedenfalls ist die zweite Shake=handelt und vergißt er zuweilen, um des Aller= ist. Sie sollen nämlich durchaus nicht die Aufgabe
spearesche Novität der Kaufmann von Venedig, zu
modernsten willen die Dramatik. Es ist nicht nötig haben, die Haustüren für verspätete Nachtgäste zu,
einer ähnlichen Goldgrube für den Fleißigen und und auch für das Theater nicht gesund, jede Wede¬
öffnen, sondern gleich den spanischen Serenos in
Tüchtigen geworden. Nicht ganz so gut schnitt er kindsche Farce unbesehen aufzuführen, und selbst der Finsternis Heimkehrende auf ihren Wunsch bis
mit seinen modernen Stücken ab. Vielleicht ver=Oskar Wilde hat manche Jämmerlichkeit aufs Pa¬
an die Haustür zu begleiten um sie vor unlieb¬
derben, wie zu viele Köche den Brei, so zu viele
pier geworfen, die dadurch nicht reizvoller und
samen Begegnungen mit Strolchen zu schützen.
Dramaturgen die Sicherheit des wählenden Blickes.
Ifrischer wirkt, daß sie völlig verstaubt ist. Der junge Man hat nämlich festeestellt daß in der Türkei
Hofmannsthals Oedipus vermochte sich, trotz seiner
Direktor des Kleinen Theaters rennt allzu unruhe¬
und in Spanien, wo solche Nachtwächter ihr Amt
unleugbaren Vorzüge, nicht durchzusetzen. Die
voll im Kreise umher, man hat den Eindruck, daß
ausüben trotz der in diesen Ländern bestehenden
Masse hält eben instinktiv an den aristokratischen
nicht er die Stücke, sondern daß die Stücke ihn
großen Kriminalität die nächtlichen Verbrechen
Forderungen fest: der Dramatiker soll eine starke
wählen.
viel seltener sind, als irgend anderweitig. Die
Handlung mit fester Hand gipfeln, ein Schicksal
Von den anderen Berliner Bühnen ist keine
Sache wird demnächst im Pariser Stadtrate be¬
gestalten und uns seinen Werdegang lückenlos ver¬
irgendwie in Betracht gekommen. Das König¬
sprochen werden. Man hofft, Hausbesitzergruppen
anschaulichen. So hell der Oedipus Hofmannsthals
liche Schauspielhaus gibt weiter prächtige
dafür zu gewinnen, Nachtwächterabteilungen an¬
in vieler Beziehung glänzt, ja blendet, so sehr stoßen
Klassiker mit dem prächtigen Matkowsky; den Leu¬
zuwerben, um der Unsicherheit in gewissen Straßen,
die verworrenen, unorganischen Partien des
ten, die durchaus mal etwas anderes haben wollen,
die ihnen selbst den größten Schaden bereitet, da
Stückes ab. Immerhin marschierte der Wiener mit
also den Nichabonnenten, dient es mit Blumenthal¬
sie ihre Wohnungen kaum vermieten können, ener¬
seinem Erfolge an der Spitze. Sudermann und
schen Verslustspielen und Philippis Großem Licht.
Hauptmann brachten es mit Stein unter Steinen“
gisch abzuhelfen.
Ein königliche Bühne darf sich schließlich derlei er¬
und mit Pippas Tanz wohl zu fünfzig, ja sechzig
* Wegen der „schönen Leich“. Die siebzigjährige
lauben. Von irgendwelchem frischen Zuge, den der
Aufführungen, während er sich mit etlichen dreißig
Pfründnerin Therese Swatosch steht vor dem Rich¬
neue Direktor Barnay hineingebracht haben könnte,
begnügen mußte; doch Reinhardt, der seine Häuser
ter des 8. Bezirkes in Wien als Angeklagte. —
bemerkt man nichts. Marc Anton ist auch nicht
nicht wattiert, hat trotzdem auch im Oedipusfalle
Richter: Sie sollen gebettelt haben. Sogar pro¬
umsonst siebzig Jahre alt geworden. — Bliebe als
sicherlich besser abgeschnitten als Brahm. Der Nie¬
fessionsmäßig. — Angeklagte: Ja, Herr Richter!
letztes von den ernst zu nehmenden Theatern das
dergang des Lessing=Theaters dauerte an.
Ich bin alt und kann nichts mehr verdienen. —
Berliner des Herrn Ferdinand Bonn. Es ist nicht
Sein Leiter gab sich mit allerhand Ibsenwerken
Richter: Haben Sie keine Pfründe? — Angeklagte:
ernst zu nehmen. Seine verschollenen Glanztage,
Acht Gulden im Monat, aber das ist zu wenig. —
redliche Mühe — indeß selbst eine vortreffliche Auf= die des Russengastspiels, haben mit Bonn nur inso¬
Richter: Freilich ist's wenig, aber wenn Sie nicht
führung von Rosmersholm zieht die Menge nicht
fern zu tun, als ihm damals jeder Abend tausend
mehr ins Parkett. Man hat seine Neugier und
auskommen, dann gehen Sie doch lieber in die Ver¬
Mark Pacht eintrug. Eine ähnlich üppige Ein¬
sorgung. — Angeklagte: Ah, in die Versorgung geh'#
Sensationslust befriedigt; jetzt lobt man sich wieder
nahme hat er mit Andalesia Kiwito, dem Geigen¬
i' net'. — Richter: Dort geht's Ihnen doch besser,
das Metropol=Theater, „Bis früh um fünfe“ und
macher von Cremona, dem Edlen Blut und seinen
als wenn Sie sich zusammenbetteln müssen, was
Oskar Blumenthal. Ein neuer Mann tauchte bei
sonstigen eigenen Novitäten nicht erzielt.
Sie brauchen. — Angeklagte: Wissen's, Herr Rich¬
Brahm nicht auf. Er gab außer Haupt= und Suder¬
Am Ausgangstor des Spieliahres müht sich die jer, i kann net in die Versorgung geh'n wegen der
mann nur noch Schnißzler, und das mit solcher Aus¬
Komödiantenschar der Herren Bernauer & Cie.,
Leich', wann i amal stirb. — Richter: Vom Ver¬
giebigkeit, daß ihm die Schauspieler revoltierten
die im Mai und Juni allerlei gleichgültige Possen
Die Feindseligkeit, womit beispielsweise der zweifels
sorgungshause werden Sie doch auch begraben. —
und Komödien gleichgültig darstellt. Man fragt
Angeklagte: Dös schon, Herr kaiserlicher Rat, aber
los tüchtige Rittner die allerdings schreckliche Arzts
stumm: Warum? Sollte es wirklich verstiegene
rolle in Schnitzlers Ruf des Lebens“ verhunzte
net a so wie i will I zahl' nämlich scho' 33 Jahr'
Romantiker geben die sich einbilden, Berlin sei so
war ein öffentlicher Skandal — ein Skandal der
bei an Leichenverein ein, damit daß i a schöne Leich
theaterwütig, daß selbst im Vorsommer um Gottes¬
nicht zuletzt dem Direktor zur Last fiel Gelingt
hab'. — Richter: Sie leben also nur, um schön be¬
willen kein Bühnenhaus auch nur tagelang ge¬
es Brahm nicht, seine märchenhafte Wurstigkeit ab¬
graben zu werden? Davon haben Sie doch eigent¬
schlossen bleiben dürfe? Und daß man unseren som¬
zuschütteln und macht ihm die Arbeit auch weiter¬
lich nichts! — Angeklagte: Na, i werd' do' net das
merlichen Theaterhunger partout mit Stücken
hin so wenig Vergnügen, daß er aus purer Träg¬
Geld, das i 33 Jahr' einzahlt hab', dem Verein
stillen müsse, die im Winter kein Mensch angenom¬
heit im Direktionssessel verharrt, dann ist seine
schenken. Herauszahl'n will er's a net, und wenn
men oder gar gespielt hätte?
Bühne verloren. Reinhardt, der sich jetzt ernstlich
iin der Versorgung stirb, is ka Musik und gar nix.
Richard Nordhausen.
ein Intimes Theater bauen will — hoffen wir nur,
Hab' i mir 33 Jahr die Kreuzer vom Mund ab¬
daß er ihm nicht alle seine Liebe zuwendenwird und
g'spart, um dann armselig begraben zu werden? —
dann das so fröhlich aufblühende Deutsche Theater
Richter: Also, um die schöne Leich“ zu haben,
Buntes Zeuikketort
notgedrungen vernachlässigen muß, wie er überm
wollen Sie Ihre alten Tage nicht in Ruhe im Ver¬
P. K. Nachtwächter für Paris. Die zunehmende
sorgungshause beschließen und gehen lieber von
Deutschen Theater das arme Neue vernachlässiate
Unsicherheit in den Pariser Straßen während der
— Reinhardt und Barnowsky vom Kleinen
Haus zu Haus betteln, bis Sie eingesperrt werden.
Nachtstunden hat schon zu verschiedenen Anträgen
Theater werden Brahm erdrücken, wenn er sich
Das seh' ich nicht ein. — Der Richter verurteilte,
bezüglich der Ueberwachung der Weltstadt Anlaß
im Sommer nicht neue Kraft und neue Kräfte holt.
nach dem Bericht des „Illustr. Wiener Extrabl.“,
Barnowsky experimentiert noch ein bißchen viel gegeben. Jetzt geht man ernstlich mit dem Plane
die Angeklagte zu 24 Stunden Arrest, weil er un¬
und zu unbedenklich zu seinem Bestreben, immerj um, besondere Nachtwächter einzuführen, wobei das
widerstehlichen Zwang nicht annehmen konnte.
rnur die allermodernste Dramatik zu bieten, miß= Wort in seiner eigentlichen Bedeutung zu nehmen!