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19. Der Ruf des Lebens
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Theater und Musik.
erweckle der Leu nant, den Herr= Stieler, soweit die Rolle es zuließ,
glaubhaft svielte. Mit wenigen sicheren Strichen zeichnete Basser¬
Ggessingtheater.
mann den Obersten, und Herr Reicher gab den Arzt, als sei er von
Arthur Schnitzlers Kunft wurzelt in der Reflexion, höbere
dessen recht zweifelhafter Weisheit überzeugt. Der anderen Aufgaben
Eingebungen find thr###ens#=fremd, wie ihrem Urheber eine auf das
nahmen sich die Damen Lehmann und Schiff, die Herren Marr,
Uebersinnliche gerichtete Weltanschauung. Das Einzige, was gewiß
Rittner u. a. mehr oder minder glücklich an. In der kleinen Rolle
ist, so ungefähr sagt der Raisonneur seines neuesten Schauspiels
des schwindsüchtigen Mädchens stellte sich Grete Hofmann, die Gattin
„Der Ruf des Lebens“ das am Sonnabend zum ersten Male hier
des Hofopernsängers Kraus, zum ersten Male als Darstellerin vor.
aufgeführt wurde, ist, daß die Sonne den Lebenden scheint, den Toten
Es war aber keine dankbare Aufgabe; man wird daher gut tun, ein
aber nicht mehr. Auf Grund dieses materialistischen Glaubens¬
Urteil über ihr Können auf später aufzusparen.
satzes, der freilich erst am Schluß ausgesprochen wird, predigt
und beschönigt das Stück, wenn man alle Umschreibungen
außer acht läßt und es nüchtern betrachtet, rücksichtslosen Egoismus
als einzigen Zweck des Lebensgenusses, auch wenn der Weg dazu
über Leichen gebt. Das zum Beweise ausgeklügelte Beispiel ist denn
auch möglichst kraß gewählt worden, und wirkt — auch wenn nicht ge¬
leugnet wird, daß manche Einzelheit der psochologischen Motivierung der
Vorgänge geistvoll und fesselnd durchgeführt ist,
zuletzt so ver¬
stimmend und abstoßend, daß der Beifall, der den Verfasser vor den
Vorhang rief, auf recht energischen Widerspruch stieß.
Dramatisch
am besten gelungen ist der erste, vorbereitende Akt. Er führt
in die Krankenstube eines unausstehlichen, eigenwilligen und selbst¬
süchtigen Alten, der von seiner Tochter gepflegt wird. Trostlos wird
ihre Lage geschildert; sie, die jung ist, sich nach dem Leben sehnt, darf
ihren Fuß nicht vor die Tür setzen. Eingekerkert mit einem Sterbenden,
dessen Siechtum nach dem Ausspruch des Arztes noch jahrelang
dauern kann, muß sie ihre Jugend vertrauern. Aber der Ruf
des Lebens ist
an
ergangen.
Einmal hat sie den
Alten überlistet und ist auf einem Ball gewesen, wo
sie
einen jungen Offiz'r kennen und lieben lernte. Nie sah
sie ihn, obwohl sie : Stelldichein verabredeten, seitdem wieder, und
sie erfährt nun, daß das Regiment, dem er angehört, am folgenden
Tage in den Krieg, ja, in den sicheren Tod gehe, weil es gelte, die
Schmach einer Niederlage, an der es früher Schuld getragen haben
soll, durch einen heldenmütigen Opfertod zu tilgen. Das Mädchen
erfährt das durch den Arzt, der ihren Vater behandelt; dieser gibt ihr
mit einer nicht mißzuverstehenden Andeutung ein Fläschchen in die
Hand, das für den Alten .den Schlaf von hundert Nächten“ enthalte.
Um einer Liebesnacht willen reicht das Mädchen dem Alten den
Todestrank. Das Maß der Schuld ist aber damit noch nicht voll.
Der zweite Akt führt in das Zimmer des jungen Offiziers, der im
Begriff steht, vor Antritt des Todesritts seinen Beziehungen zum Leben
ein Ende zu machen, indem er alle verräterischen Briefe und Papiere
verbrennt. Flüchtig nur gedenkt er des Mädchens, das einst sein
zu werden versprach und nicht Wort hielt, und feierlich erklärt
er dem ihn besuchenden Obersten, daß nichts mehr ihn an
das Leben binde. Während er dann einen Augenblick das Zimmer
verläßt, schleicht das Mädchen sich ein. Der Leutnant kehrt
zurück, aber nicht allein. Sie verbirgt sich hinter Vorhängen
und wird nun Zeuge der nachfolgenden, ebenso überrasch mnden wie
widerwärtigen Szene. In Begleitung des Leutnants befindet sich die
junge Fra# des von ihm betrogenen Obersten. Sie kommt, um
Abschied für immer zu nehmen. Der Oberst aber ist ihr nachgeschlichen,
und gleich darauf steht auch er im Zimmer. Ohne viel Worte zu
machen, zieht er einen Revolver aus dem Mantel, streckt mit einem
Schusse sein Weib nieder und geht von dannen, den Räuber seiner
Ehre seinem Schicksal überlassend. Während letzterer nun die Waffe
auf sich selbst richten will, stürzt das Mädchen aus seinem Versteck hervor
und fällt ihm in den Arm. Auch ihm ertönt nun der Ruf des Lebens
lauter als der der Ehre, und über die zweite Leiche hinweg schreiten
die beiden zu niedrigstem Lebensgenuß. Der letzte Akt enthält nur
Retrospektives. Man erfährt, daß der Arzt, der übrigens auch der oben¬
erwähnte Raisonneur des Stückes ist, den Mord an dem Alten ver¬
tuscht hat, daß der Leutnant sich am nächsten Morgen, ehe das
Regiment ausrückte, neben der Leiche der Oberstenfrau erschoß. Das
Mädchen aber, das dies Furchtbare erlebt und mit verschuldet,
wandelt noch unter der Sonne. Die Vergangenheit soll sie nicht
anfechten, meint der Raisonneur, der Ruf des Lebens werde wieder
an sie ergehen und alles vergessen machen. Und um dieser seiner Weisheit
noch einen bildhaften Schluß zu geben, läßt Schnitzler hier noch ein
schwindsüchtiges Mädchen, eine episodisch verwendete Figur, inmitten
der blühenden Natur und in der prallen Sonne des Mittags sterben.
Ein weiterer Kommentar über das Stück ist nach dem Obengesagten
und der Angabe des Inbalts überflüssig. Das Abstoßende des Motivs
machte sich bei der Nachlässigkeit, mit der der zweite und dritte Akt,
die technisch hinter dem ersten weit zurückstehen, gearbeitet sind, um
so fühlbarer. In der Darstellung zeichnete sich vor allem Irene Triesch in
der schwierigen weiblichen Hauptrolle aus. Der Gestalt irgend welche Sym¬
pathien zu retten, vermochte aber auch ihre Kunst nicht. Mehr Anteilnahme
19. Der Ruf des Lebens
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Theater und Musik.
erweckle der Leu nant, den Herr= Stieler, soweit die Rolle es zuließ,
glaubhaft svielte. Mit wenigen sicheren Strichen zeichnete Basser¬
Ggessingtheater.
mann den Obersten, und Herr Reicher gab den Arzt, als sei er von
Arthur Schnitzlers Kunft wurzelt in der Reflexion, höbere
dessen recht zweifelhafter Weisheit überzeugt. Der anderen Aufgaben
Eingebungen find thr###ens#=fremd, wie ihrem Urheber eine auf das
nahmen sich die Damen Lehmann und Schiff, die Herren Marr,
Uebersinnliche gerichtete Weltanschauung. Das Einzige, was gewiß
Rittner u. a. mehr oder minder glücklich an. In der kleinen Rolle
ist, so ungefähr sagt der Raisonneur seines neuesten Schauspiels
des schwindsüchtigen Mädchens stellte sich Grete Hofmann, die Gattin
„Der Ruf des Lebens“ das am Sonnabend zum ersten Male hier
des Hofopernsängers Kraus, zum ersten Male als Darstellerin vor.
aufgeführt wurde, ist, daß die Sonne den Lebenden scheint, den Toten
Es war aber keine dankbare Aufgabe; man wird daher gut tun, ein
aber nicht mehr. Auf Grund dieses materialistischen Glaubens¬
Urteil über ihr Können auf später aufzusparen.
satzes, der freilich erst am Schluß ausgesprochen wird, predigt
und beschönigt das Stück, wenn man alle Umschreibungen
außer acht läßt und es nüchtern betrachtet, rücksichtslosen Egoismus
als einzigen Zweck des Lebensgenusses, auch wenn der Weg dazu
über Leichen gebt. Das zum Beweise ausgeklügelte Beispiel ist denn
auch möglichst kraß gewählt worden, und wirkt — auch wenn nicht ge¬
leugnet wird, daß manche Einzelheit der psochologischen Motivierung der
Vorgänge geistvoll und fesselnd durchgeführt ist,
zuletzt so ver¬
stimmend und abstoßend, daß der Beifall, der den Verfasser vor den
Vorhang rief, auf recht energischen Widerspruch stieß.
Dramatisch
am besten gelungen ist der erste, vorbereitende Akt. Er führt
in die Krankenstube eines unausstehlichen, eigenwilligen und selbst¬
süchtigen Alten, der von seiner Tochter gepflegt wird. Trostlos wird
ihre Lage geschildert; sie, die jung ist, sich nach dem Leben sehnt, darf
ihren Fuß nicht vor die Tür setzen. Eingekerkert mit einem Sterbenden,
dessen Siechtum nach dem Ausspruch des Arztes noch jahrelang
dauern kann, muß sie ihre Jugend vertrauern. Aber der Ruf
des Lebens ist
an
ergangen.
Einmal hat sie den
Alten überlistet und ist auf einem Ball gewesen, wo
sie
einen jungen Offiz'r kennen und lieben lernte. Nie sah
sie ihn, obwohl sie : Stelldichein verabredeten, seitdem wieder, und
sie erfährt nun, daß das Regiment, dem er angehört, am folgenden
Tage in den Krieg, ja, in den sicheren Tod gehe, weil es gelte, die
Schmach einer Niederlage, an der es früher Schuld getragen haben
soll, durch einen heldenmütigen Opfertod zu tilgen. Das Mädchen
erfährt das durch den Arzt, der ihren Vater behandelt; dieser gibt ihr
mit einer nicht mißzuverstehenden Andeutung ein Fläschchen in die
Hand, das für den Alten .den Schlaf von hundert Nächten“ enthalte.
Um einer Liebesnacht willen reicht das Mädchen dem Alten den
Todestrank. Das Maß der Schuld ist aber damit noch nicht voll.
Der zweite Akt führt in das Zimmer des jungen Offiziers, der im
Begriff steht, vor Antritt des Todesritts seinen Beziehungen zum Leben
ein Ende zu machen, indem er alle verräterischen Briefe und Papiere
verbrennt. Flüchtig nur gedenkt er des Mädchens, das einst sein
zu werden versprach und nicht Wort hielt, und feierlich erklärt
er dem ihn besuchenden Obersten, daß nichts mehr ihn an
das Leben binde. Während er dann einen Augenblick das Zimmer
verläßt, schleicht das Mädchen sich ein. Der Leutnant kehrt
zurück, aber nicht allein. Sie verbirgt sich hinter Vorhängen
und wird nun Zeuge der nachfolgenden, ebenso überrasch mnden wie
widerwärtigen Szene. In Begleitung des Leutnants befindet sich die
junge Fra# des von ihm betrogenen Obersten. Sie kommt, um
Abschied für immer zu nehmen. Der Oberst aber ist ihr nachgeschlichen,
und gleich darauf steht auch er im Zimmer. Ohne viel Worte zu
machen, zieht er einen Revolver aus dem Mantel, streckt mit einem
Schusse sein Weib nieder und geht von dannen, den Räuber seiner
Ehre seinem Schicksal überlassend. Während letzterer nun die Waffe
auf sich selbst richten will, stürzt das Mädchen aus seinem Versteck hervor
und fällt ihm in den Arm. Auch ihm ertönt nun der Ruf des Lebens
lauter als der der Ehre, und über die zweite Leiche hinweg schreiten
die beiden zu niedrigstem Lebensgenuß. Der letzte Akt enthält nur
Retrospektives. Man erfährt, daß der Arzt, der übrigens auch der oben¬
erwähnte Raisonneur des Stückes ist, den Mord an dem Alten ver¬
tuscht hat, daß der Leutnant sich am nächsten Morgen, ehe das
Regiment ausrückte, neben der Leiche der Oberstenfrau erschoß. Das
Mädchen aber, das dies Furchtbare erlebt und mit verschuldet,
wandelt noch unter der Sonne. Die Vergangenheit soll sie nicht
anfechten, meint der Raisonneur, der Ruf des Lebens werde wieder
an sie ergehen und alles vergessen machen. Und um dieser seiner Weisheit
noch einen bildhaften Schluß zu geben, läßt Schnitzler hier noch ein
schwindsüchtiges Mädchen, eine episodisch verwendete Figur, inmitten
der blühenden Natur und in der prallen Sonne des Mittags sterben.
Ein weiterer Kommentar über das Stück ist nach dem Obengesagten
und der Angabe des Inbalts überflüssig. Das Abstoßende des Motivs
machte sich bei der Nachlässigkeit, mit der der zweite und dritte Akt,
die technisch hinter dem ersten weit zurückstehen, gearbeitet sind, um
so fühlbarer. In der Darstellung zeichnete sich vor allem Irene Triesch in
der schwierigen weiblichen Hauptrolle aus. Der Gestalt irgend welche Sym¬
pathien zu retten, vermochte aber auch ihre Kunst nicht. Mehr Anteilnahme